Deflation im Reich der Inflationspanik

Peter Michael Lingens: Deflation im Reich der Inflationspanik

Peter Michael Lingens

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Seit vergangener Woche herrscht in der EU offiziell „Deflation“: Die Preise sinken statt zu steigen. Das wurde zwar durchwegs gemeldet, doch erschrockene Kommentare von Ökonomen wie Wirtschaftsjournalisten blieben erstaunlich rar. Dabei ist „Deflation“ das bisher stärkste Indiz dafür, dass Angela Merkels Sparpakt die Konjunktur tatsächlich abwürgt und die EU an die Schwelle einer Abwärtsspirale rückt, in der sinkendes Wirtschaftswachstum und steigende Arbeitslosigkeit einander potenzieren könnten.

Doch dieses Horrorszenario verdrängt man lieber (findet in der Ukraine-Krise eine unzutreffende Ausrede für die Rezession). Eine Korrektur ökonomischer Fehlinformationen findet nicht statt.

Um deren Ausmaß zu illustrieren, ein Zitat aus einem „Presse“-Leitartikel des Jahres 2011: „Gewarnt wurde vor allem vor Deflation. Davon ist nichts zu sehen – dafür gehen die Preise durch die Decke … Am Pranger stehen müssten die ­Notenbanken für ihre Geldpolitik … Hinweise, wonach genau diese Politik die Preise hochtreibe, wurden abgetan. Dabei wussten nicht nur Notenbanker, dass die Geldmenge etwa doppelt so schnell gewachsen war wie die Wirtschaftsleistung. Womit der Wert des Geldes sinken musste.“ Derselbe Autor als „Durchblicker.at“: „Vermögende kennen derzeit keine größere Sorge, als ihre Knete vor dem rücksichtslosesten aller Räuber in Schutz zu bringen: der Inflation. Gefüttert werden die Ängste vor der Entwertung von Prognosen renommierter Ökonomen. Thomas Straubhaar, Chef des seriösen ‚Hamburgischen Weltwirtschaftsarchivs‘, prognostiziert den Europäern ab 2011 eine Hammerinflation: Geld werde 5 bis 10 Prozent an Wert verlieren.“

Ich will der „Presse“, die ich dennoch für die beste Zeitung des Landes halte, weitere Zitate ersparen, zumal Franz Schellhorn, der sie verantwortet, in den Chefsessel der Agenda Austria gewechselt ist. Aber ich meine, dass Österreich Anrecht auf seriöse Diskussion hat: Immerhin ist es die Inflationspanik deutscher Ökonomen, die dazu geführt, hat, dass die EZB ihre Regeln mit Gewalt spreizen muss, sooft sie rettend ins Finanzgeschehen eingreift; dass sie derzeit, wenn sie mit „Quantitative Easing“ Kredite fördern möchte, schon wieder auf deutschen Widerstand stößt.

Er beruht einmal mehr auf Wolfgang Schäubles volkswirtschaftlicher Mangelernährung. Denn Geld, das die EZB für finanzpolitische Maßnahmen bereithält, wird nur zu einem Bruchteil nachfragewirksam, weil die Banken noch lange mit Krediten geizen und Unternehmen diese noch lange nur zögernd in Anspruch nehmen. Zugleich ist die „Gütermenge“, die der „Geldmenge“ gegenübersteht, nur ausnahmsweise eine feste Größe: Wenn ein Picasso-Bild versteigert wird und die bietenden Museen Budgetlimits von 30 Millionen Euro haben, wird es 30 Millionen kosten – während es tatsächlich doppelt so teuer würde, sobald man die Budgets auf 60 Millionen erhöhte. Denn Picasso-Bilder sind unvermehrbar. Wenn dieselben Museen hingegen Klimageräte kaufen, beeinflusst die unterschiedliche Menge des Geldes, das sie zur Verfügung haben, deren Preise höchstens marginal – weil Klimageräte beliebig vermehrbar sind.

Inflation setzt Güterknappheit voraus – die Nachfrage muss das Angebot kritisch übersteigen: Aktien neigen bei erhöhter Geldmenge zur Blasenbildung, denn ihre Zahl ist definitionsgemäß begrenzt; Gold neigt zu überhöhten Preisen, weil seine Produktion sich nicht beliebig steigern lässt; City-Immobilien boomen, weil sie fast so rar wie Picassos sind. Die Preise aller anderen Güter sind von der Geldpolitik weitgehend unbeeindruckt.

Woher kommt dann die Mär, dass die Vermehrung der Geldmenge zwingend Inflation auslöst? Aus falscher, monetaristischer Interpretation der Hyperinflation von 1915 bis 1923: Nachdem der Weltkrieg Millionen Arbeitskräfte getötet, Ressourcen verpulvert, Äcker vernichtet und Fabriken in Schutt und Asche gelegt hatte, waren Güter zwangsläufig knapp – ihr Angebot konnte der gewaltigen Nachkriegsnachfrage unmöglich genügen. Dass man der Bevölkerung einfach mehr Geldscheine in die Hand gedrückt hat, statt – wie nach dem Zweiten Weltkrieg mit Mitteln des Marshall-Plans – die Produktionsanlagen rasch zu erneuern, erzeugte Hyperinflation.
Aber nicht das viele gedruckte Geld hat sie bewirkt, sondern sie war nur die finanztechnische Begleiterscheinung eines dramatischen Überhangs der Nachfrage über ein geringes Angebot.

In den Köpfen der Deutschen und Österreicher – leider auch den Köpfen vieler Ökonomen – hat sich aber fälschlich festgesetzt: hohe Geldmenge = Inflation!

Derzeit addieren sich leider die Folgen dieses Denkfehlers: Er ließ deutsche Ökonomen die EZB nur als Inflationsabwehr akzeptieren; er lässt sie Bemühungen der EZB, die Nachfrage durch lockere Geldpolitik zu fördern, ständig torpedieren; und er lässt sie an einem Sparpakt festhalten, der die Nachfrage abwürgt.

Weil sie genauso wenig, wie sie die Mechanik der Inflation verstanden haben, verstehen, dass das Zurückbleiben der Nachfrage hinter dem Angebot die Krise prolongiert.

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