Peter Michael Lingens: Sozialist gegen Oligarchie

Peter Michael Lingens: Sozialist gegen Oligarchie

Drucken

Schriftgröße

Die Sensation der Vorwahlen von Iowa ist nicht das schwächer als erwartete Abschneiden Donald Trumps, sondern das hervorragende Abschneiden Bernie Sanders’, der Hillary Clinton Paroli bot. Denn Sanders machte Aussagen, die ihn noch vor zehn Jahren zum „Kommunisten“ gestempelt hätten: Er warnte, dass die USA zu einer „Oli­garchie der Milliardäre“ verkämen und sieht das zentrale Problem des Landes in der „himmelschreienden Ungleichheit“. Das belegt er mit Zahlen, wie sie hierzulande die Arbeiterkammer vorträgt: Seit 1999 hätten Mittelklasse-Familien rund 5000 Dollar Jahreseinkommen eingebüßt; gleichzeitig verfüge ein Prozent der Bevölkerung über 41 Prozent des US-Reichtums; Amerikas 16.000 reichste Familien besäßen etwa so viel Vermögen wie die unteren 90 Prozent.

Gegen diese Ungleichheit will der „demokratische Sozialist“ (Eigendefinition) mit höheren Erbschafts- und Einkommenssteuern vorgehen, eine Finanztransaktionssteuer einführen, Banken zerschlagen, die „too big to fail“ sind, die Sozialleistungen und Mindestlöhne massiv erhöhen und staatliche Infrastrukturinvestitionen tätigen.

Dass man mit solchen Aussagen und Forderungen eine erhebliche Zahl amerikanischer Wähler für sich einnehmen kann, ist so neu, dass es Hillary Clinton den Atem verschlagen musste – als ob ein Viertel der Amerikaner plötzlich ­Latella und Kornspitz statt Cola und Big Mac konsumierte.

Die meisten Amerikaner erleben sich mittlerweile als Menschen, denen es eher schlechter als besser geht.

Denn bisher war die Einstellung der Amerikaner zu Eingriffen des Staates eine ausschließlich negative und zum enormen Reichtum einiger unter ihnen eine ausschließlich positive. Sie klammerten sich eisern an den berühmten Traum, dass es jeder vom Tellerwäscher zum Millionär bringen könnte – auch wenn er kaum mehr eintraf. Und sie waren überzeugt, dass es auch ihnen umso besser ginge, je besser es den Reichen geht. Ein Überzeugung, die zwar die Relationen völlig außer Acht ließ – es ging ihnen nicht entfernt im Ausmaß der Reichen besser –, die aber doch bis etwa 1999 nicht widerlegt wurde: Es ging ihnen zumindest nicht von Jahr zu Jahr schlechter. Diese Überzeugung ist seit der Finanzkrise obsolet. Die meisten Amerikaner erleben sich mittlerweile (wie die meisten Österreicher) als Menschen, denen es eher schlechter als besser geht: Sie fühlen die verlorenen 5000 Dollar Jahreseinkommen.

Und zumindest etliche unter ihnen beginnen diesen Tatbestand mit dem übermäßigen Zuwachs an Reichtum an der Spitze in Verbindung zu bringen: Sie sind nicht mehr vom Funktionieren des wirtschaftspolitischen Systems überzeugt und lasten das dem „politischen Establishment“ an – der Schritt hin zur Position von Sanders, der nicht Personen, sondern die von ihnen vertretene Politik verantwortlich macht, ist nicht mehr sehr weit.

Sanders wird Hillary Clintons Nominierung nicht gefährden – aber allein, dass 58 Prozent der Amerikaner ihn in bundesweiten Umfragen für einen geeigneten Präsidentschaftskandidaten halten, zeigt das Ausmaß des Wandels.

„Sanders wäre ein guter Präsident – für Schweden!“, spottete der republikanische Wahlsieger von Iowa, Ted Cruz, und löste damit unter seinen Anhängern frenetisches Gelächter aus. Es ist die gleiche Dummheit, die diverse ÖVP-­Granden das „Schwedische Modell“ noch bis vor wenigen Jahren verteufeln ließ: Schwedens Wirtschaft war fast immer bärenstark, obwohl die Politik der Bevölkerung ein Höchstmaß an sozialer Unterstützung sicherte. Als Sanders in einer Debatte mit Hillary Clinton auf die guten Wirtschaftsdaten Dänemarks sowie Norwegens und deren ebenfalls hohe Sozialleistungen hinwies, erntete Clinton mit den Worten „Aber wir sind nicht Dänemark – wir sind die USA“ zwar ebenfalls frenetischen Applaus ihrer Anhänger – aber das verhinderte wohl nicht, dass sie beim Heimgehen darüber nachdachten, warum es ihnen nicht besser geht, obwohl das US-BIP ständig gestiegen ist.

Die Erkenntnis diverser Wirtschaftsnobelpreisträger des vergangenen G20-Gipfels oder der OECD, dass die gestiegene Ungleichheit tatsächlich das zentrale Problem der aktuellen Wirtschaftsordnung darstellt, hat sich zwar in den USA noch so wenig durchgesetzt wie hierzulande – man denke nur an die Vehemenz, mit der die ÖVP Vermögenssteuern ablehnt – aber sie greift um sich.

Leider vorerst als allgemeine Politikverdrossenheit. Nur 19 Prozent der Amerikaner halten Politiker für kompetent und vertrauenswürdig – ihre Wut gegen das politische Establishment ist der unserer „Wutbürger“ vergleichbar.

Die große Frage (in meinen Augen die größte der Gegenwart – und nicht nur in den USA) lautet: Verändert diese Wut die Politik in die Richtung von Sanders oder spült sie Männer wie Donald Trump und Ted Cruz an die Spitze von Staaten? Denn eine wirtschaftlich ahnungslose Bevölkerung – in den USA wie in Europa – ist in ihrer blinden Wut bereit, auch deren Thesen zu applaudieren, obwohl sie ihnen die aktuelle Misere verdankt: So will Cruz Unternehmen noch weniger besteuern und Sozialleistungen noch weiter einschränken. Wenn das käme, reiften in den USA revolutionäre Verhältnisse heran.