Rainer Nikowitz: Den Latte hoch!

Dem Erfolg der Rechten kann die Linke natürlich nur auf eine Weise begegnen: Sie muss auf jeden Fall so bleiben, wie sie ist.

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So komisch das vielleicht klang, aber: Irgendwie war Sophie ja fast schon wieder froh. Schließlich wusste jeder, der sie kannte, dass sie in der Nazizeit selbstverständlich im Widerstand gewesen wäre. Sie konnte sich auch gar nicht mehr erinnern, unter wie vielen kämpferischen Hashtags sie das schon auf Twitter kundgetan hatte. Na ja, und jetzt, mit Trump in den USA und bald wahrscheinlich Hofer bei uns, war ja wohl die Zeit gekommen, in der eine linke Feministin wie sie – also nicht so eine ideologisch weitgehend ungefestigte Gemeindebau-Linke, nein, eine richtige Linke – nur mehr in den Widerstand gehen konnte. Oder in die Wiener Stadtregierung – aber das war ja eigentlich eh dasselbe. Glücklicherweise hatte sie auch wieder mehr Zeit, jetzt, wo die Kinder aus dem Gröbsten heraußen waren.

Hannah ging seit heuer ins Theresianum, und Luca war in dieser katholischen Privatvolksschule auch sehr glücklich. Sophie hätte natürlich ihre Kinder liebend gern auf eine Brennpunkt-Schule in Favoriten geschickt, aber: Die hatten dort leider keine Montessori-Elemente. Und das war Sophie halt schon sehr wichtig. Beim Theresianum hätte sie es ehrlich gesagt gar nicht gewusst, wenn es ihr nicht eine Freundin verraten hätte: „Wenn dich draußen jemand fragt, warum – sag Montessori!“, hatte sie ihr am Elternabend zugeraunt. Und dann mit leicht vorwurfsvollem Ton die Lehrerin gefragt, warum man nicht wenigstens am Nachmittag als Freifach Türkisch anbiete. So viel Kontakt zu unseren geänderten Lebensrealitäten sollte man von einer sündteuren Privatschule schließlich schon erwarten dürfen, fand sie. Sophie fand das auch. Und natürlich war es auch ein bisschen schade, dass es in den Schulen ihrer Kinder so überhaupt keine afghanischen oder tschetschenischen Mitschüler_innen gab. Aber was sollte man machen – die hatten es wohl nicht so mit Montessori. Auch einer dieser kulturellen Unterschiede, die man einfach akzeptieren musste.

Schuld an der offensichtlichen Entfremdung zwischen dem Proletariat und der linken Intelligenz war vieles – aber jedenfalls auf gar keinen Fall die linke Intelligenz.

Dienstag hatte Sophie am Nachmittag ihren Tango-Kurs, Mittwoch musste sie Hannah zur Cello-Stunde bringen. Und am Wochenende spielten beide Kinder Landhockey. Luca hätte ja lieber Fußball gespielt. Aber das war erstens schon ziemlich Neunziger – und zweitens hatten sie da keine Montessori-Elemente. Jedenfalls: An allen anderen Tagen hatte Sophie ganz gut Zeit für Widerstand. Und jetzt saß sie in ihrem Lieblingslokal am Yppenplatz, also dort, wo sich praktisch alle Kulturen, die es in Wien gab, trafen. Und praktischerweise in so sicherer Entfernung von ihrer Latte- und Orange-Wine-Station, dass sie es zwar sah, aber nicht spürte. Also der absolut ideale Ort für die urbane Aufgeschlosseneria.

Sophie dachte darüber nach, was jetzt zu tun war. Sie hatte praktisch alle Erklärstücke gelesen, die es in der linksliberalen Presse zu Trumps Erfolg und überhaupt zum Siegeszug des Rechtspopulismus gegeben hatte. Und die hatten – neben der Verbreitung angemessener Fassungslosigkeit – eigentlich eh alle die richtigen Schlussfolgerungen gezogen. Schuld an der offensichtlichen Entfremdung zwischen dem Proletariat und der linken Intelligenz war vieles – aber jedenfalls auf gar keinen Fall die linke Intelligenz. Das war ja auch denkunmöglich. Die wusste ja schließlich, was gut war. Und zwar für alle. Und wenn das manche von diesen allen heutzutage nicht mehr erkennen konnten, dann nur, weil sie von Neoliberalismus oder Kapitalismus so schrecklich devastiert worden waren. Mitunter auch von beiden. Jedenfalls: Schuld waren eindeutig die Rechten. Und deshalb war es natürlich auch eine besondere Ungerechtigkeit, dass die für all das, was sie angerichtet hatten, jetzt auch noch mit Wahlsiegen belohnt wurden. Noch dazu, wo sie doch immer nur ein und dasselbe ermüdende Thema hatten: die angeblich so hohe Immigration.

Sophie konnte das nicht nachvollziehen. Wo waren die denn bitte alle, diese angeblich so vielen und irgendwie kulturfremden Immigranten? Weder sah sie zu Hause am Währinger Schafberg jemals einen marokkanischen Kleinkriminellen, noch wurde sie in der kleinen Wochenend-Mühle im Waldviertel, die sie mit viel Liebe und einigen ebenso emsigen wie günstigen Tschechen revitalisiert hatten, jemals von einem Salafisten heimgesucht. Die armen Leute, die all diesen bösen Märchen aufsaßen, hatten einfach jeden Bezug zur Realität verloren! Dem konnte man nur auf eine Weise begegnen: Man musste die hässliche Fratze des Rassismus mit seiner eigenen Schönheit beschämen! Man musste den Maurer aus Hernals auch weiterhin lautstark als Nazi geißeln, wenn der fand, dass das alles jetzt doch ein bisschen viel sei. Man musste diesen Leuten deutlich vor Augen führen, wie moralische Überlegenheit aus der Nähe aussah – auf dass sie sich an diesem leuchtenden Vorbild aufrichten konnten! Den Latte hoch, die Reihen fest … Moment einmal. War heute nicht Dienstag?

Rainer   Nikowitz

Rainer Nikowitz

Kolumnist im Österreich-Ressort