Rainer Nikowitz: Newsless

Machen Sie mit beim neuen Trend für den Urlaub und auch zu Hause: Nichts hören, nichts sehen.

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Wissen Sie, das Beste an so einem Urlaub auf einer griechischen Insel ist es ja, dass man nichts hört und sieht. Sofern man beim Buchen nicht leichtsinnig war und weit genug westlich geblieben ist. Außerhalb der kleinasiatischen Paddelweite quasi. Und sofern der Grieche verlässlich das tut, was er am besten kann, nämlich zum Beispiel nicht einmal WLAN ordentlich zu können. Das ist facebookmäßig natürlich ärgerlich, weil die brauchen dort ja im Moment jedes einzelne Strandsonnenuntergangs- oder Cocktailfoto wie einen Bissen Brot. Aber nachrichtentechnisch, sag ich Ihnen – eine Wohltat. Wenn man nach so langer Zeit, in der man in Wirklichkeit sowieso schon nichts mehr hören und sehen wollte, dann auf einmal tatsächlich nichts mehr hört und sieht – herrlich.

Darum dürfte das auch gerade überhaupt so eine Art Trend werden, also auch bei funktionierendem WLAN, hab ich irgendwo gelesen, als ich so was noch gelesen hab. Nachrichtenabstinenz ist das neue Schwarz. Nur keine Nachrichten sind gute Nachrichten. Aber neben den klassischen Politikverdrossenen finden das jetzt offenbar auch immer mehr höher Gebildete. Und vertiefen sich lieber in noch ein erbauliches Werk der Weltliteratur, statt am Lauf der realen Welt verzweifeln zu müssen.

Ich finde diesen eskapistischen Zugang ebenso sympathisch wie zielführend. Und wir werden immer mehr! Demnächst kommen dann sicher die ersten Umfragen, die besagen, dass wir Nachrichtenabstinenten besseren Sex haben als die anderen. Dann werden wir endgültig zur Massenbewegung. Und machen dann ein Volksbegehren zur Abschaffung von Nachrichten. Arbeitstitel im Moment: „Seid’s olle gusch!“ Da lässt sich aber sicher noch etwas intellektuell Ansprechenderes finden. Aber selbst, wenn das nicht durchgehen sollte, können wir es mit ein bisschen Durchhaltevermögen und missionarischem Eifer schaffen, dass Nachrichten und das dahinterliegende Geschehen generell einmal für alle so interessant sind wie vegane Speisekarten bei der Jahreshauptversammlung des Verbandes texanischer Viehzüchter. Und dann – dann wird ­ sicher alles gut.

Trump dreht weiter am Rad des Wahnsinns? Schlimm, aber bei mir im Glas dreht sich gerade der Grüne Veltliner.

Dass bis dahin noch ein paar News-Fetzen zu einem durchdringen, lässt sich allerdings selbst bei größter Anstrengung nur schwer vermeiden. Radios in Taxis. Smartphones bei U-Bahn-Sitznachbarn. Man müsste schon Amischer sein, um die reine Lehre leben zu können. Angeblich verzeichnen die eh schon verstärkten Zulauf von sensiblen Bildungsbürgern mit Tolstoi unterm Arm und frischem Bartflaum unterm Unterkiefer. Auch mitteilsame Kollegen sind ein steter Gefahrenherd. Vor allem in Redaktionen sind sie mitunter schwer von den Vorzügen der Neuigkeitsunterlassung zu überzeugen. Auch und gerade im Printsektor, der bekanntlich kaum zukunftsfit zu machen ist – was sich beim Verschlafen dieses Trends leider wieder einmal deutlich zeigt.

Wenn man also trotz größter Vorsicht nach längerer Pause irrtümlich an der Informationswolke anstößt, wabert dann zum Beispiel der Begriff „Ein-Euro-Jobs“ vorbei. Als Lösung für … irgendwas. Man muss gar nicht genau wissen, von wem die Idee kommt. Man kann es sich ungefähr vorstellen. In meiner persönlichen Endauswahl wären zum Beispiel Felix Baumgartner und Cathy Lugner. Und es muss auch Letztere gewesen sein, die das Burkaverbot irgendwie in die Schlagzeilen gebracht hat. Schon aus persönlichen Gründen.

Einer kommt mit der Notverordnung hier, dann der andere mit der Mindestsicherung dort – ich sag Ihnen ehrlich, seit mich das alles nicht mehr interessiert, hab ich es viel schöner. Oder auch Rio. Dort oder wo sind ja angeblich Olympische Spiele. Die könnte man an sich vom personalisierten Nachrichtenembargo ausnehmen, weil das ist ja nicht Politik und könnte somit theoretisch auch eine gute Nachricht sein – wenn es nicht mindestens so fundamental uninteressant wie Notverordnung und Mindestsicherung wäre. Erdogan bei Putin? Na ja, wie soll ich sagen: Oje! Trump dreht weiter am Rad des Wahnsinns? Schlimm, aber bei mir im Glas dreht sich gerade der Grüne Veltliner. Weinbesprechungen les ich ja noch, und der da hatte vier von vier Dings in diesem Dings-Magazin. Restaurantkritiken les ich auch, die braucht man vor allem, wenn man auf der geistigen Flucht vor der Weltlage eine Landpartie unternimmt und dann irgendwo in der in ihrer beruhigenden Ereignislosigkeit daliegenden Pampa Gusto auf was biologisch Regionales bekommt.

Aber sonst braucht man uns mit nichts mehr zu kommen. Es geht ja schließlich auch um die persönliche Lebensqualität. Und es wird schon nichts so ungeheuer Wichtiges passieren, dass man es unbedingt genau wissen müsste. Oder gar mitreden. Oder dass man gar einmal etwas verhindern müsste. Und falls doch: Uns bleibt ja immer noch die griechische Insel.

Rainer   Nikowitz

Rainer Nikowitz

Kolumnist im Österreich-Ressort