Norbert Hofer: Bitte rechts freundlich

Norbert Hofer gilt als nettes Gesicht der FPÖ. Jakob Winter über den blauen Hofburg-Kandidaten, der am Ende des Wahlkampfes doch noch polarisierende Kräfte entwickelt.

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Er redet schon vom 26. Oktober. Am Nationalfeiertag, so prophezeit FPÖ-Präsidentschaftskandidat Norbert Hofer vergangene Woche 300 Anhängern im exquisiten Innsbrucker Innenstadthotel "Grauer Bär", werden sie ihn wiedersehen. Und zwar in der Hofburg, beim Tag der offenen Tür. Da spricht einer, der erst von allen unterschätzt wurde -sogar von sich selbst. Im Endspurt des Wahlkampfes legt er ein Maß an Selbstbewusstsein an den Tag, das der Selbstüberschätzung durchaus nahe kommt. Anfangs hatte der 45-jährige Burgenländer nicht erwartet, mehr als ein Zählkandidat sein zu können, geschweige denn einer der beiden aussichtsreichsten Anwärter für die Stichwahl zu werden. Sein Amt als Dritter Nationalratspräsident hat er vorsorglich behalten. Doch Hofer erwies sich in den vergangenen Wochen als äußerst talentierter Wahlkämpfer (obwohl er im klassischen Sinne kaum wahlkämpft) und konnte den Mythos pflegen, er sei das freundliche Gesicht der FPÖ.

Freiheitliche Bandbreite

Aus den Lautsprechern hallen Tiroler Volkslieder, gesungen von einer Schützenkompanie. Neben geschniegelten Anzugträgern sitzen Frauen in ausgebleichten Jeansjacken und Männer, die auf ihren Fleece-Pullovern "Dem Land Tirol die Treue" schwören. Sie repräsentieren die freiheitliche Bandbreite; in bundesweiten Umfragen liegen die Blauen konstant über 30 Prozent. Norbert Hofer, der dieses Potenzial bei der Präsidentschaftswahl ausschöpfen soll, sitzt nebenan in der dunklen, aber stilvollen Hotelbar, ordert ein Glas Blaufränkischen und raucht an seiner E-Zigarette. Ein Mann entdeckt Hofer und klagt, er sei Deutscher und lebe seit 14 Jahren in Österreich. Ob er noch schnell die österreichische Staatsbürgerschaft bekommen könne, will der Mann wissen, wo er Hofer doch gerne wählen würde. Der Kandidat verneint. Es wird die einzige unangenehme Situation des Abends bleiben.

Hofer führt einen vergleichsweise behaglichen Wahlkampf: Die unberechenbare Tuchfühlung mit dem Wahlvolk auf der Straße lässt er weitgehend aus, auch wegen seiner Gehbehinderung, die Folge eines Absturzes mit dem Paragleiter. Der blaue Vizeparteiobmann absolviert lieber Medientermine und umgibt sich mit seinen Getreuen.

Geduldig warten nach dem Auftritt in Innsbruck knapp 30 Personen auf ihr Foto mit Hofer. "Darf ich Sie umarmen?", fragt eine junge tätowierte Dirndlträgerin mit Nasenring und fällt dem Freiheitlichen um den Hals. "Ich habe in meiner Heimatgemeinde Plakate von Ihnen aufgehängt", sagt ein junger Bursche voller Stolz. Ein Mann mit zerzaustem Haar und braun-kariertem Anzug -an seinem Revers hängen Buttons von Griss und Khol, heute kommt noch einer von Hofer dazu - glaubt gar, der blaue Kandidat werde bereits im ersten Wahlgang die absolute Stimmenmehrheit schaffen.

Wollt ihr einen roten oder schwarzen Bundespräsidenten?

Dabei verlief der Wahlkampf anfangs nicht friktionsfrei. Die Partei verzettelte sich bei der Kandidatensuche, waren doch zuerst Ursula Stenzel und Johann Gudenus im Gespräch, bis sich der zaudernde Hofer Ende Jänner erweichen ließ. Für einen Wahlkämpfer genießt er bemerkenswerte Freiheiten: eine terminfreie Osterwoche etwa, um mountainbiken zu gehen. Anfang April bat Hofer, gelernter Flugzeugtechniker, eine Handvoll Journalisten zur Heißluftballonfahrt in die Steiermark. Doch das Wetter spielte nicht mit. Auch seinen angekündigten Auftritt bei der Demonstration gegen ein Asylquartier in Wien-Liesing sagte Hofer kurzfristig ab, ohne Begründung. Vorvergangene Woche erkrankte Hofer an einer Sommergrippe und versäumte deshalb sogar die 60-Jahr-Feierlichkeiten der FPÖ.

Hofers Stimme klingt noch etwas angeschlagen, als er vorvergangenen Freitag auf der kargen Bühne des St. Pöltner Volksfestzeltes "Hasenstall" steht. Draußen regnet es, im Zelt drängen sich Hunderte Zuhörer auf Heurigengarnituren zusammen, Bier und Würstel sponsern die Freiheitlichen. "Wollt ihr einen roten oder schwarzen Bundespräsidenten?", fragt Hofer in die Menge, die mit "Buh"-Rufen antwortet. Hofer: "Dann machen wir einen blauen!" Die Fans schwenken rot-weiß-rote Fahnen und stimmen Sprechchöre an. "Hofer! Hofer! Hofer!", hallt es durchs Zelt.

Heinz-Christian Strache sitzt neben der Bühne. Norbert Hofer nützt die Kritik am amtierenden Staatsoberhaupt für ein Loyalitätsgelöbnis gegenüber seinem Parteichef: Heinz Fischer sei in den vergangenen Jahren nur damit aufgefallen, dass er Strache den Orden für Verdienste um die Republik verwehrte. "Lieber HC, dann wirst du den Orden eben von mir bekommen", verspricht Hofer.

Brav spult er sein Programm herunter, zu brav. Bei seinen Auftritten bietet Hofer freiheitliche Standardkost, ohne das Spiel mit den Tonlagen so gut zu beherrschen wie Strache: Er polemisiert gegen Bundesregierung und Europäische Union, die er in einem "Teufelskreis der Lügen" gefangen sieht, spricht über Asyl, Arbeitslosigkeit und appelliert an Verschwörungstheoretiker: "Die Zeiten, wo die Leute gerne die 'Zeit im Bild' geschaut haben und gesagt haben, 'Ja, das ist so', die sind vorbei. Die Leute hinterfragen!"

Lügenpresse. Er spricht dieses Wort nicht aus, und trotzdem steht es im Raum. Hofers Wahlkampf lebt auch von den Öffentlichkeitskanälen, die sich die Blauen geschaffen haben. Nach seiner 20-minütigen Rede in St. Pölten verlässt Hofer das Zelt durch einen Seitenspalt, um die grölende Menge, die zwischen ihm und dem Ausgang steht, zu umgehen. Dicht an seinen Fersen: Philippa Beck, Lebensgefährtin von Strache und Moderatorin von FPÖ-TV. Hofer sitzt schon im Auto, durch das Seitenfenster des Beifahrersitzes wird er interviewt: Geht es ihm nach der Grippe schon wieder besser? Wie hat ihm die Stimmung gefallen? Die Kurzvideos seiner Wahlkampfauftritte verbreiten sich über Facebook und YouTube, sie zeigen die menschliche Seite von Norbert Hofer. Keine Partei kann das so gut wie die FPÖ.

Der Wunsch nach einem Abtreibungsverbot gehört zu Norbert Hofers Wertefundament. Neben ihm wirkt selbst Andreas Khol wie ein Liberaler.

Mit seiner sanftmütigen Stimme passt Hofer gut ins Fernsehen. Dort überrascht er, wirkt charmant, lächelt Vorwürfe der Deutschtümelei einfach weg. Hofers freundliche Selbstinszenierung nimmt kaum Schaden.

Zu Unrecht. Ende März im Wiener Hotel Bristol. Der Liberale Club, eine FPÖ-nahe Vereinigung, hat zum Diskussionsabend mit Hofer geladen. Vor gutbürgerlichem Publikum ist der blaue Kandidat um Abgrenzung zur schwarzen Konkurrenz bemüht. Andreas Khol habe, so Hofer, bei einer Veranstaltung über muslimische Frauen mit Kinderwagen gesagt, sie seien die Zukunft Österreichs. Hofer: "Das ist nicht meine Meinung. Ihr, eure Kinder und Enkelkinder - das ist die Zukunft Österreichs!" Bei anderen Wahlevents wird er noch deutlicher und warnt davor, dass bereits im Jahr 2050 mehr Muslime als Christen im Land leben würden: "Das will ich meinen Töchtern ersparen." Die politische Konsequenz spricht er jetzt nicht aus - anders als vor gut drei Jahren, als er, lange vor der Flüchtlingskrise, "Minuszuwanderung" forderte.

Hofer, selbst Burschenschafter bei der Pinkafelder Marko Germania, machte dereinst dem umstrittenen Nationalratspräsidenten und Rechtsaußen Martin Graf die Mauer; dessen Kritiker nannte er "feige Heckenschützen". Verständnisvoll zeigte er sich auch gegenüber der fremdenfeindlichen Pegida-Bewegung. Der gläubige Christ - in seiner rechten Hosentasche hat er stets ein silbernes Kruzifix als Glücksbringer eingesteckt -tritt vehement gegen Homo-Ehe und Adoptionsrecht für homosexuelle Paare ein; der Wunsch nach einem Abtreibungsverbot gehört ebenfalls zu seinem konservativen Wertefundament. Das "Handbuch freiheitlicher Politik" aus dem Jahr 2013 trägt Hofers Handschrift. Darin wird von einer Verteilung der Sozialleistungen anhand nationaler Zugehörigkeit fantasiert, das Arbeitsmarktservice etwa sollte sich "ausschließlich mit der Vermittlung österreichischer Arbeitskräfte befassen".

Neben Norbert Hofer wirkt selbst Andreas Khol wie ein Liberaler.

Strahlender Sonnenschein am Wiener Rochusmarkt vergangenen Mittwochnachmittag. Ein blauer Wahlkampfstand zwischen Markthäuschen und U-Bahnstation, davor eine Traube freiheitlicher Bezirkspolitiker und mehrere Kamerateams. Dann kommt Hofer: Anzug, die Initialen ins weiße Hemd gestickt, Stecktuch. Es ist das einzige Mal, dass er sich im Intensivwahlkampf auf offener Straße zeigt.

Als Hofer die ersten Marktstände ansteuert, hüpft ihm eine Schülerin vor die Füße, in der Hand ein Kebab. "Ich finde nicht gut, was Sie machen", sagt sie. "Sie wissen aber schon, dass wir in einer Demokratie leben", kontert Hofer. Das Mädchen weiß das, sie grinst. Der blaue Pressesprecher gibt dem Kandidaten Hinweise, wo die freiheitlichen Wirtschaftstreibenden auf dem Markt zu finden sind: "Hier vorne rechts könnten wir noch reinschauen", flüstert er.

"Herr Hofer, Herr Hofer!"

Hofer kauft Erdbeeren und Himbeeren für seine Tochter und Radieschen fürs Frühstücksbrot. Draußen bittet ihn eine ORF-Journalistin zum Interview. Hofer, seit seinem 25. Lebensjahr in der Berufspolitik, mimt den Anti-Politiker: Die Leute hätten den "Polit-Sprech" satt, sagt er in die Kamera. Ringsherum schmausen Marktbesucher an Stehtischen überbackene Hendlkeulen, die Tauben picken Essensreste vom Boden auf. "Zehn Leberkäsesemmeln" ordert Hofer für sein Wahlkampfteam. Ein älterer Herr streut ihm Rosen: "Wo er besonders recht hat: dass man nicht alles reinlassen kann bis zum Gehtnichtmehr."

Ein letzter Stopp im Blumengeschäft. Die Verkäuferin, eine Burgenländerin, outet sich als Hofer-Fan, er kauft zehn rote Rosen für seine Frau.

"Herr Hofer, Herr Hofer!", rufen zwei Burschen. Der Kandidat bleibt stehen, die Burschen stellen sich links und rechts neben ihn. Plötzlich strecken sie den Mittelfinger aus und drücken ab -das spöttische Selfie ist im Kasten. Lachend laufen sie davon. "Na geh, das ist aber nicht nett", ruft Hofer ihnen nach.

Er polarisiert also doch.

Jakob   Winter

Jakob Winter

ist Digitalchef bei profil und leitet den Faktencheck faktiv.