„Mir geht es wie Bill Clinton“

Eugen Freund: „Mir geht es wie Bill Clinton“

Interview. Eugen Freund über SPÖ-Rituale und die Intelligenz von Werner Faymann

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Interview: Eva Linsinger, Rosemarie Schwaiger

profil: Ihr Ex-ORF-Kollege Armin Wolf nennt prominente Quereinsteiger wie Sie „Pseudopolitiker“. Fühlen Sie sich in der Rolle wohl?
Freund: Ich glaube nicht, dass ich benützt werde. Ich habe in meinen mehr als 40 Jahren in der Außenpolitik und im Journalismus immer bewiesen, dass ich meine Funktion mit Kopf und Geist ausfülle und nicht nur genommen wurde, weil ich ein bekanntes Gesicht bin.

profil: Aber Ihre Bekanntheit ist der Hauptgrund für Ihre Kür.
Freund: Wenn die nur ein prominentes Fernsehgesicht wollen würden, hätten sie auch die – wie heißt die Burgenländerin, die diese Diskussionen am Nachmittag macht?

profil: Barbara Karlich?
Freund: Ja, dann hätte die SPÖ auch sie nehmen können. Man hat mich genommen, weil man weiß, dass ich mich seit Jahrzehnten mit Außenpolitik beschäftige. Klar habe ich einen Vorteil, weil ich aus dem Fernsehen bekannt bin.

profil: Angeblich hat auch die ÖVP überlegt, mit Ihnen zu kandidieren, und zwar statt Ernst Strasser im Jahr 2009.
Freund: Ich wurde von der ÖVP nie gefragt. Von meiner ganzen Sozialisierung her musste es schon die SPÖ sein. Ich war 1978 unter der SPÖ-Alleinregierung Sprecher des parteifreien Außenministers. Deshalb wurde ich schon in meiner ORF-Zeit als „rotes Gfries“ bezeichnet, und diese Punzierung bekam ich nie wieder weg. Dabei war ich als Journalist immer objektiv und unparteiisch.

profil: Sind Sie am 1. Mai beim SPÖ-Aufmarsch mitmarschiert?
Freund: Ich war nur einmal dabei, irgendwann in den 1980er-Jahren, da waren Kreisky und Androsch am Podium. Da habe ich wunderbare Schwarz-Weiß-Fotos gemacht.

profil: Grüßen Sie mit „Freundschaft“?
Freund: Nein. Ich habe mich immer gewundert, dass im ORF ab 10.30 Uhr jeder mit „Mahlzeit“ grüßt. Das kommt mir so seltsam vor wie …

profil: Der Gruß „Freundschaft“?
Freund: „Freundschaft“ ist halt ein Ritual. Ich habe solche Rituale nicht.

profil: Teilen Sie die Utopie einer klassenlosen Gesellschaft?
Freund: Ich glaube nicht, dass die SPÖ noch hinter einer klassenlosen Gesellschaft steht.

profil: Steht im Parteiprogramm.
Freund: Immer noch? Wahrscheinlich steht im Parteiprogramm noch viel mehr, das mit der heutigen Realität wenig zu tun hat. Aber ich wünsche mir eine Gesellschaft, in der es den Armen besser geht und die Reichen mehr beisteuern.

profil: Was ist das Sozialdemokratische an Ihnen?
Freund: Ich wurde sozialisiert unter Bruno Kreisky, Willy Brandt und Olof Palme. Das waren imponierende Gestalten. Und für uns junge Journalisten war Kreisky eine große Herausforderung – supergescheit, aber nicht leicht im Umgang.

profil: Kreisky ist schon lange tot. Welcher Wert bindet Sie heute an die SPÖ?
Freund: Nicht zuletzt aufgrund der Finanzkrise zeigt sich, dass die Reichen profitieren und die Armen draufzahlen. Das darf nicht so sein, das ist ein wesentliches Element meines Denkens – und das teile ich mit der SPÖ.

profil: Sind Sie für Vermögenssteuern?
Freund: Grundsätzlich bin ich dafür. Ich agiere nicht in der Innenpolitik, daher will ich mich nicht auf Details einlassen, ab welcher Grenze Vermögenssteuern sinnvoll sind.

profil: Die SPÖ versteht sich immer noch als Arbeiterpartei. Glauben Sie, dass Sie mit Aussagen wie „von der ASVG-Höchstpension kann ich nicht leben“ bei Arbeitern gut ankommen – die von einer geringeren ASVG-Pension leben müssen?
Freund: Ich habe meinen Lebensstil: Meine Wohnung kostet einiges, meine Kinder studieren, eine Tochter in Amerika. Genauso gut könnte man den Bundeskanzler oder den Vizekanzler fragen, warum sie x-mal so viel verdienen wie ein durchschnittlicher Arbeiter.

profil: Wie viel verdient ein Arbeiter im Durchschnitt?
Freund: Ich weiß es nicht – ungefähr 3000 Euro brutto?

profil: Um ein Drittel weniger, 2000 Euro pro Monat.
Freund: Netto?

profil: Brutto.
Freund: Das ist sehr wenig. Aber ich glaube nicht, dass ich etwas dafür kann.

profil: Das behauptet niemand. Die Frage ist, wie sehr Sie sich in eine Klientel hineinfühlen können, die Sie vertreten sollen.
Freund: Ich kann mich insofern hineinfühlen in Arbeiter, indem ich immer wieder versucht habe, Leuten zu helfen. Wenn jemand mir erzählt hat, dass er arbeitslos ist, habe ich ein paar Leute angerufen, die ich kenne, und versucht, einen Job für ihn zu finden.

profil: Sie haben Ihren Rauskick aus dem ORF sehr beklagt. Warum haben Sie dann seinerzeit Ihrem Arbeitsende zugestimmt?
Freund: Der ORF hat mich ziemlich übervorteilt und immer gesagt, über den Zeitpunkt des Ausscheidens kann man noch reden. Zur Verlängerung kam es aber nie. Wenn man nach 40 Jahren brieflich aufgefordert wird, in Pension zu gehen und den Schlüssel abzugeben, ist das schon sehr kränkend.

profil: Kriegen Sie derzeit eine Pension?
Freund: Ich kriege nichts, auch kein Arbeitslosengeld, und habe auch nicht um die Pension angesucht. Auch die ORF-Pension bekomme ich erst, wenn ich zu arbeiten aufhöre. Und ich habe auch keinen Golden Handshake vom ORF bekommen.

profil: Sie wollten mit 62 Jahren auf keinen Fall in Pension gehen. Verstehen Sie Frauen, die nicht mit 60 Jahren gehen wollen?
Freund: Die meisten Frauen haben ja eine Doppelbelastung wegen der Kinder. Aber ich maße mir nicht an, beurteilen zu können, ob Frauen mit 60 in Pension gehen sollen.

profil: Es ist aber ein politisches Streitthema.
Freund: Diese Entscheidung überlasse ich Leuten, die davon mehr verstehen als ich.

profil: Ganz generell hatte man in den letzten Jahren bei der Lektüre Ihrer Interviews den Eindruck, dass Sie eher dünnhäutig sind. Politik ist ein hartes Geschäft – zu hart für jemand wie Sie?
Freund: Politik ist ein hartes Geschäft. Aber Rücksicht auf die Befindlichkeit meiner Person nahm auch der ORF nicht, ich habe dort einiges miterlebt, das mich gehärtet hat.

profil: Zum Beispiel?
Freund: Ich war während der Clinton-Affäre in Washington Korrespondent und daher das bekannteste ORF-Gesicht. Ich war präsent, präsent, präsent – und kam zurück aus Amerika und hatte nicht einmal einen Schreibtisch. In Amerika werden mit Gesichtern wie meinem Autobusse plakatiert, um für den Fernsehsender zu werben. Sage ich in aller Bescheidenheit.

profil: Plakatiert werden Sie jetzt zwar werden, aber gegen die Attacken, die etwa von der FPÖ kommen werden, ist das Vorgehen des ORF harmlos.
Freund: Wir werden das auf einer sehr sachlichen Ebene abhandeln.

profil: Sie vielleicht, bei der FPÖ wäre es eine Überraschung.
Freund: Ich will mich sicher nicht auf die Ebene dieser Art des Diskurses begeben, die möglicherweise zu erwarten ist.

profil: Wie politisch ist der ORF? Wie oft intervenieren Politiker?
Freund: Mir ist das nicht passiert. Trotzdem wünsche ich mir einen ORF-Generaldirektor der sagt: „Vielen Dank, politische Parteien, dass ihr mich gewählt habt – aber jetzt zeige ich euch, was ein unabhängiger Generaldirektor ist.“ Den gab es aber noch nie.

profil: Wenn Sie die Gründe für Ihre Kandidatur gewichten müssten: Geht es hauptsächlich darum, ein Anliegen zu vertreten, der SPÖ zu helfen – oder um Ihren persönlichen Ehrgeiz?
Freund: Es geht um alle drei Gründe. Ich wollte immer eine Herausforderung, kann sehr gut die Vorstellungen der SPÖ vertreten, und ich habe mich beruflich stets auf das Verhältnis zu Amerika konzentriert. Wenn die NSA sogar in Computern Funkchips einbaut, um sie auszuspionieren, regt mich das auf. Diese Art der Überwachung durch Amerika werde ich ganz rasch zu einem Thema machen. Auch das Freihandelsabkommen ist ein Thema und die Außenpolitik insgesamt.

profil: Warum wollen Sie eigentlich nicht Delegationsleiter der SPÖ werden?
Freund: Ich erachte es für nicht gut, wenn jemand das macht, der neu in die Politik einsteigt. So bescheiden bin ich schon, dass ich den Erfahrenen nicht sage, wo’s lang geht.

profil: Sie haben das Freihandelsabkommen angesprochen. Welche Meinung haben Sie dazu?
Freund: Die Europäer sollen sich von den Amerikanern nicht überfahren lassen. Dinge, die Amerikanern selbstverständlich sind, wie genmanipuliertes Fleisch, entsprechen nicht europäischen Standards. Und vor allem soll auf Augenhöhe verhandelt und nicht gemauschelt werden.

profil: Auch ein großes Thema ist der angebliche Sozialtourismus aus Bulgarien und Rumänien in reichere EU-Staaten wie Deutschland oder Österreich. Wie soll man das regeln?
Freund: Im Team der SPÖ-Parlamentarier gibt es Leute, die sich dabei viel besser auskennen als ich. Ich habe das natürlich mitbekommen, ich bin ja nicht auf der Nudelsuppe dahergeschwommen. Aber mir ist etwas anderes wichtiger: In Griechenland und Spanien sind 50 Prozent der Jugendlichen ohne Arbeit. Dagegen muss mehr unternommen werden. Wir dürfen nicht vergessen, dass diese beiden Länder bis vor 40 Jahren Militärdiktaturen hatten. Im Moment verhalten sich die Jugendlichen überraschend friedlich. Aber ich weiß nicht, wie lange das anhält.

profil: Das Problem ist nur, dass das Europaparlament in dieser Frage überhaupt nichts mitzureden hat. Das macht ausschließlich der Rat der Regierungschefs.
Freund: Richtig, das ist ein Problem. Es gehört auch zu meinen Anliegen, die Rechte des Parlaments zu stärken.

profil: Sie werden einer von 751 Abgeordneten sein. Wie wollen Sie verhindern, so wie andere dort unterzugehen?
Freund: Die Gefahr besteht. Aber ich hätte in den letzten 25 Jahren in Österreich auch untergehen können und habe es immer geschafft, meiner Stimme Gehör zu verschaffen. Ich werde mich bemühen, das auch in Brüssel zu schaffen.

profil: Und wofür jetzt genau?
Freund: Ich weiß, dass Journalisten immer möglichst viel aus einem Gesprächspartner herauspressen wollen. Aber ich bin so kurz nach meiner Bestellung. Es ist zu viel verlangt, dass ich jetzt schon ein fertiges Programm haben soll.

profil: Was haben Sie sich denn gedacht, als Sie vor fünf Jahren den Brief von Alfred Gusenbauer und Werner Faymann in der „Kronen Zeitung“ gesehen haben?
Freund: Ich habe mir das gedacht, was heute ja auch ein Problem der EU ist: Viele Entscheidungen werden getroffen, die von der Mehrheit der Europäer nicht begrüßt werden. Es geht den Leuten zu schnell.

profil: Aber das Problem dieses Briefes war doch, dass er ein Kniefall vor der „Kronen Zeitung“ war.
Freund: Und was soll ich jetzt machen? Soll ich das auch kritisieren? Man hat eh damals ein Riesentheater daraus gemacht.

profil: Versuchen Sie gerade, keine Meinung zu haben?
Freund: Ich finde, das ist ordentlich abgehandelt worden. Der Bundeskanzler hat in den letzten Jahren eine eindeutig pro-europäische Politik gemacht.

profil: Die „Kronen-Zeitung“ ist immer noch das Zentralorgan des manchmal recht dumpfen Anti-EU-Populismus. Was können Sie dagegen unternehmen?
Freund: Ich werde versuchen, den Diskurs über Europa auf eine andere Ebene zu bringen. Vielleicht gelingt es mir, mehr Leute für Europa zu interessieren, weil sie mich kennen. Ich habe ein Image in der österreichischen Bevölkerung, auf das ich ein wenig stolz sein kann.

profil: Die SPÖ schreibt gerade an einem neuen Parteiprogramm. Was wäre Ihnen wichtig daran?
Freund: Ich kenne nicht einmal das alte Parteiprogramm. Da ist es ein bisschen viel verlangt von mir, jetzt für das neue Programm Änderungen vorzuschlagen. Es gibt viele kluge Köpfe in der SPÖ, die das sehr gut können.

profil: Sie repräsentieren jetzt aber auch die Partei. Das ist Ihnen noch nicht so ganz bewusst, oder?
Freund: Nein, das gebe ich zu. Das geht nicht so schnell. Ich habe mich in den letzten Jahren unabhängig von allen Parteien gezeigt. Also kann ich jetzt nicht das sozialdemokratische Parteiprogramm auswendig aufsagen. Wichtig ist, dass ich die Leute überzeuge, zur Wahl zu gehen und diesem Europa das Gewicht beizumessen, das ihm gebührt.

profil: Sie haben erzählt, wie sehr Ihnen Bruno Kreisky imponierte. Derzeit wird eher die Farblosigkeit der Politiker beklagt, auch die des SPÖ-Vorsitzenden. Wenn man, wie Sie, durch Kreisky politisiert wurde: Verzweifelt man da nicht am aktuellen Personal?
Freund: Kreisky hat damals gesagt, die Menschen sollten ein Stück des Weges mit ihm gehen. Interessanterweise hat Werner Faymann diese Idee jetzt aufgegriffen, indem er mich gefragt hat zu kandidieren. Da kann ich nur sagen: Alle Achtung! Werner Faymann weiß, dass ich kein Hohlkopf bin.

profil: Der Beweis, dass Faymann besser als sein Ruf ist, besteht darin, dass er Sie gefragt hat?
Freund: Ich habe jetzt einige Gespräche mit Werner Faymann geführt und war überrascht, weil er ganz anders ist als das in den Medien verbreitete Image von ihm. Er ist intelligent und spricht klug über alle möglichen Dinge.

profil: Worauf freuen Sie sich am meisten im Wahlkampf?
Freund: Auf die Gespräche mit den Leuten. Ich bin ein sehr geselliger Mensch. Da geht es mir wie Bill Clinton. Der hat den Kontakt zu den Menschen auch nie gescheut.