Rakhat Aliyev und profil-Redakteur Martin Staudinger 2007 in Wien

Der Fall Aliyev: Ein Abgrund, der in dich hineinblickt

Wer mit dem Fall Aliyev in Berührung kam, lief unweigerlich Gefahr, instrumentalisiert, kompromittiert oder denunziert zu werden. Nach acht Jahren Recherche weiß Martin Staudinger das aus eigener Erfahrung.

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Dass man als Journalist genötigt ist, in einen Abgrund zu blicken, kommt immer wieder vor - dass dieser Abgrund aber, um den alten Nietzsche zu strapazieren, auch in dich hineinblickt, hingegen so gut wie nie. In der Causa Aliyev war jedoch genau das der Fall. Mehr noch: Sie war ein Abgrund, in den man leicht hineingezogen werden konnte, wenn man ihm zu nahe kam.

Mir wurde das bewusst, als nach einigen Monaten Recherche über den abtrünnigen Ex-Schwiegersohn des kasachischen Autokraten Nursultan Nasarbajew mein Telefon klingelte. Am anderen Ende der Leitung war ein befreundeter Kollege. "Heast, Oida“, rief er heiter: "Was machst denn jetzt mit den 10.000 Dollar, die dir der Aliyev für deine Geschichten gezahlt hat?“

Wie bitte?

Doch, doch, richtig gehört: Ein Interviewpartner habe ihm das gerade erzählt. Die Wirtshausrechnung beim nächsten Mal gehe also auf mich, haha!

Was tut man da - außer mit matter Ironie die Frage aufzuwerfen, was eigentlich die größere Frechheit sei: die Unterstellung, alles verraten zu haben, was einem beruflich heilig ist? Oder der dafür vergleichsweise mickrig veranschlagte Betrag?

Fehlende Trennlinien zwischen professioneller und privater Sphäre

Es war nicht die einzige Zumutung in fast acht Jahren Berichterstattung über die Affäre, in der sowohl Aliyev als auch das kasachische Regime alle nach hiesigen Standards geltenden Trennlinien zwischen professioneller und privater Sphäre hinhaltend ignorierten. Untersuchungsrichter und Polizeiermittler, Staats- und Rechtsanwälte, Politiker und auch Journalisten: Es gab wohl niemanden im Umfeld der Causa, bei dem nicht der Versuch unternommen wurde, ihn oder sie auf eine Seite zu ziehen, zu instrumentalisieren, kompromittieren oder - sollte das nicht gelingen - zumindest als von der Gegenseite gekauft zu denunzieren.

Aliyev zum Beispiel versuchte es auf die Kumpel-Tour: "Mein Lieber, wir sollten mehr Zeit miteinander verbringen“, gurrte er mir beim Abschied nach einem Gespräch einmal zu: "Kommen Sie doch ein paar Tage auf meine Yacht. Ich lasse Sie im Privatjet einfliegen.“ Ganz lieb, danke! Und, einmal abgesehen davon, dass sich die Annahme einer derartigen Einladung ohnehin von allein verbietet - dann sind vielleicht plötzlich ein paar Escorts da, und eine Kamera läuft. Sonst noch was?

Die Kasachen wiederum hetzten mir während einer (von profil selbst finanzierten) Recherchereise nach Astana und Almaty ein TV-Team an den Hals, das meine Interviews für die Hauptnachrichten mitfilmen sollte - nicht zuletzt wohl, um ein gewisses Naheverhältnis zum Nasarbajew-Regime zu suggerieren. Die Aufnahmen unterblieben nur, weil ich unter schlimmen Verwünschungen meine Abreise mit dem nächsten verfügbaren Flug androhte.

Wenig später machte in Wien das Gerücht die Runde, ich hätte mich von Aliyev bestechen lassen.

Milieu zwischen großer Politik und Kleinkriminalität

Immerhin: All das vermittelte mir einen lebhaften Eindruck davon, wie es zugeht, wenn in einem Milieu, in dem die Grenzen zwischen großer Politik und Kleinkriminalität verschwimmen, um sehr viel Geld, sehr viel Macht und das nackte Überleben gekämpft wird.

Es war ein - todernstes - Spiel auf unzähligen Ebenen, und wenn man sich als Schauplatz ein Gebäude vorstellen müsste, dann wäre es voll von Spiegeln, Falltüren und doppelten Böden. Man durfte nichts so nehmen, wie es schien, und musste es trotzdem für möglich halten. Simple Lügen? Kinderkram. Wahrheiten als Lügen darstellen, um sie dadurch glaubhaft zu machen? Schon besser. Lügen so offensichtlich als Lügen präsentieren, dass sie als Wahrheiten missverstanden werden? Jetzt wird es endlich interessant.

Ein gutes Beispiel ist die Geschichte von Alnur M., einem Nachfolger Aliyevs als kasachischer Geheimdienstchef, der im Lauf der Zeit so oft die Fronten gewechselt hat, dass er inzwischen wohl selbst nicht mehr weiß, wo er steht. 2011 soll sich M. bei einem Telefonat via Skype gebrüstet haben, über ein schriftliches Geständnis zu verfügen, das Aliyev des Mordes überführen könnte. Kasachstan, dessen Geheimdienst das Gespräch abgefangen haben will, spielte es der österreichischen Justiz zu. Alnur M. wurde verhaftet, das Geständnis bei einer Hausdurchsuchung prompt gefunden - aber nur, um sich umgehend als plumpe Fälschung herauszustellen.

Aliyev wiederum gestaltete Interviews gerne spannend, indem er sie überfallsartig beendete: Späher vor dem Haus hätten kasachische Geheimagenten im Anmarsch entdeckt, sofortiger Ab- und Aufbruch wegen höchster Attentatsgefahr. Echte Bedrohung? Oder doch bloß Inszenierung? Wer konnte das schon wissen. Versuche, den Abtrünnigen zu entführen, sind ja tatsächlich aktenkundig. Allerdings wurde selbst die Polizei nie wirklich schlau daraus, ob diese nun ernst gemeint oder nur vorgetäuscht waren.

Rund um die Hauptfiguren der Affäre entfaltete sich ein bizarres Treiben, an dem alle möglichen Schattenmänner und andere fragwürdige Existenzen beteiligt waren. Es traten (unter anderem) an mich heran:

* ein Wiener Anwalt, der mich so unverschämt der Unwahrheit bezichtigte, dass wir uns in der Lobby eines Ringstraßenhotels beinahe in die Haare geraten wären - wenn sich nicht ein ebenfalls anwesender kasachischer Botschafter beherzt dazwischengeworfen hätte.

* ein mutmaßlich russisch-stämmiger US-Amerikaner, von dem nicht mehr in Erfahrung zu bringen war, als dass er als One-Man-Show eine selbstgegründete NGO mit vollmundigem Namen und halbleerer Website betrieb.

* ein österreichischer Geschäftsmann, der mit Nursultan Nasarbajew quasi per Du war, eh nur vermitteln und seinen Namen gleich wieder vergessen wissen wollte.

* Und dann all die Geheimagenten, die aus ihrem Status gar kein Geheimnis machten. Von einem, der mich als Aufpasser in Kasachstan begleitete, erfuhr ich nachträglich, dass er von der deutschen Justiz wegen Beteiligung an einem Entführungsversuch zur Fahndung ausgeschrieben war.

"Aliyev! Er provoziert schon wieder!"

Ein anderer, in Wien stationiert, bat einmal dringend um ein Treffen, um mir empört eine Postsendung unter die Nase zu halten, die zwar an Aliyev privat adressiert und trotzdem der Botschaft zugestellt worden war. "Sehen Sie nur!“, rief er anklagend: "Es ist unfassbar! Aliyev! Er provoziert schon wieder!“ Bis heute ist mir ein Rätsel, was er damit gemeint haben mag und was tatsächlich dahintersteckte - wie bei so vielem, das mir in den vergangenen acht Jahren im Zusammenhang mit dem Fall untergekommen ist.

Klar war nur: Sowohl für die kasachische Regierung als auch für Aliyev stand dabei so viel auf dem Spiel, dass beide jedes erlaubte und auch unerlaubte Mittel einzusetzen bereit waren, um zu gewinnen oder wenigstens nicht zu verlieren.

Und: Es gab keine Guten in der Geschichte. Beiden Seiten war all das, was sie sich gegenseitig vorwarfen, auch tatsächlich zuzutrauen; und keiner der beiden Seiten war gleichzeitig zu trauen, was ihre Vorwürfe gegen die andere betraf.

Letztlich kam der Fall daher wie eine Echtzeit-Realisierung von "Die Sopranos“, "House of Cards“ (okay, jeweils das Zentralasien-Remake) und, weil über weite Strecken in Österreich spielend, "SOKO Donau“ - zwischendurch belustigend, im Großen und Ganzen aber beängstigend.

Schließlich hat die Affäre mindestens drei Menschenleben gefordert. Und auch wenn man Rakhat Aliyev sein tragisches Ende ebenso wenig gönnen will wie seinen mutmaßlichen Opfern Aybar Khasenov und Zholdas Timraliyev das ihre - dass der Fall nunmehr zu einem Ende gekommen ist und niemanden mehr in den Abgrund reißen kann, ist jedenfalls kein Schaden.

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