Flüchtlingskrise: Die große Enttäuschung

Flüchtlingskrise: Die große Enttäuschung

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Vom ehemaligen Wettcafé ist ein verwitterndes „Sport“ übrig geblieben. „Morgenland“ steht auf dem Schild neben der Tür. In dem Vereinslokal am Wiedner Gürtel in Wien treffen sich abends syrische Männer zum Teetrinken und Kartenspielen. Sie sind Architekten und Schneider, Häusermakler und Buchhalter, fast alle Flüchtlinge. Sie kamen vor ein, zwei Jahren nach Österreich, ein paar sind schon länger da. Manchmal schlafen im Stüberl nebenan Familien auf dem Boden, die nach Deutschland weiter wollen und kein Notquartier für die Nacht gefunden haben. Eine Wasserpfeife wird herumgereicht. Aus der Küche kommt in dampfenden Schüsseln ein arabisches Kartoffelgericht.

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Anas Alsamman, 29, Sohn eines Druckereibesitzers aus Damaskus, hatte im Internet nur Gutes über das neutrale, politisch stabile Österreich gelesen, aber nichts über den langsamen Gang der Bürokratie. Zwei Jahre lang versucht er nun schon, seinen Uni-Abschluss in Betriebswirtschaft anerkennen zu lassen: „Inzwischen denke ich, dass es einfacher ist, das Studium noch einmal zu machen.“ Ohne Sprache keine Arbeit, ohne Lohnzettel keine Wohnung. Sein Freund Wael Mazarzaa, 39, hatte in Damaskus ein IT-Unternehmen mit sieben Angestellten. Er hörte das Lied der syrisch-drusischen Sängerin Asmahan über die frohen Nächte in Wien und hatte in Erfahrung gebracht, dass es die lebenswerteste Stadt der Welt sei. Doch dann war alles viel mühsamer, als er gedacht hatte. Der Bachelor, den er aus Syrien mitgebracht hatte, galt hier nichts. Für den Gratis-Deutschkurs an der Uni war er zu alt. Asyl hat er inzwischen erhalten, aber er wartet immer noch, dass seine Familie zu ihm kommen darf. „Ich fühle mich wie eingefroren“, sagt Mazarzaa.

Wie Seifenblasen, die eine Weile in der Luft schweben, bevor sie zu Boden gehen, platzen nun die schönen Illusionen in der Flüchtlingskrise.

Der Verein „Morgenland“ ist einer von vielen Orten, an denen sich die Enttäuschten treffen. Es gibt sie nicht nur unter den Flüchtlingen, sondern auch unter den erschöpften Helfern, unter den Hetzern, auf allen politischen Ebenen bis hinauf nach Brüssel, es gibt sie unter Grenzschützern ebenso wie unter Sozialromantikern. Wie Seifenblasen, die eine Weile in der Luft schweben, bevor sie zu Boden gehen, platzen nun die schönen Illusionen in der Flüchtlingskrise

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Gernot   Bauer

Gernot Bauer

ist Innenpolitik-Redakteur.