Flüchtlinge am Westbahnhof. Beinharte Kostenrechnung statt gefeierter Solidarität

Notkapital: Die ÖBB fordern ihre Kosten vom Staat zurück

Notkapital: Die ÖBB fordern ihre Kosten vom Staat zurück

Drucken

Schriftgröße

Mitte Oktober richtete der Geschäftsführer der privaten Westbahn, Erich Forster, ein folgenreiches Schreiben an die staatliche ÖBB. In seinem Brief beklagte der Manager, "die andauernde Flüchtlingskrise“ löse auf den Bahnhöfen in Wien und Salzburg eine Situation aus, die für Westbahn-Kunden "völlig unzumutbar“ sei. Daher fordere die Westbahn von den ÖBB einen Verzicht auf die Einhebung von Bahnhofsgebühren und einen Nachlass von 20 Prozent beim Benützungsentgelt für die Schienen.

Sein Unternehmen vor wirtschaftlichem Schaden zu bewahren, mag zu den Pflichten eines Geschäftsführers zählen. Imagetechnisch geriet das Schreiben - nachdem es vom "Kurier“ veröffentlicht worden war - allerdings zum Fiasko. Im Internet zog ein Shitstorm über die kaltherzige Westbahn hinweg, samt Boykott-Aufrufen. Auch die SPÖ als politische Schutzpatronin der Bahn geriet in Rage. Am deftigsten formulierte die Wiener Stadträtin Sonja Wehsely: "Während sich die ÖBB seit der ersten Stunde solidarisch mit den Flüchtlingen gezeigt haben, fordert die Westbahn einen Gebührennachlass für einen etwaigen Geschäftsrückgang. Die ÖBB haben sich für Hilfe und Menschlichkeit entschieden, die Westbahn für einen profitorientierten Weg.“

Die gefeierte Solidarität der Bundesbahn ist fremdfinanziert.

An Wehselys Schelte ist zweierlei nicht ganz korrekt. Mangels Profiten kann die Westbahn sich auch nicht daran orientieren. Und zum Zweiten lassen sich auch die staatlichen ÖBB wie ein Privatunternehmen nicht von "Hilfe“ und "Menschlichkeit“ leiten, sondern von Kostenrechnung und Betriebsergebnis. Die gefeierte Solidarität der Bundesbahn ist fremdfinanziert: Laut profil-Informationen teilte das ÖBB-Management dem Verkehrsministerium (BMVIT) inoffiziell mit, die durch die Flüchtlingskrise angefallenen Kosten abwälzen zu wollen. Ein durchaus gerechtfertigtes Ansinnen: Sonderzüge, Überstunden und Einnahmenentgang schlagen voll auf die Bilanz durch. Bahnhöfe und Zugsgarnituren müssen zusätzlich gereinigt werden. Am Wiener Westbahnhof stellte die Bahn den Flüchtlingen ein Haus mit 500 Schlafstellen zur Verfügung.

All das kostet, wie aus einer Stellungnahme der ÖBB auf profil-Anfrage hervorgeht: "Die zusätzlichen Kosten, die voll ergebniswirksam sind, betragen rund 15 Millionen Euro, das ÖBB-Ergebnisziel wird dadurch heuer wohl unter Druck kommen.“ Fünf Millionen Euro haben die ÖBB laut profil-Informationen bereits dem BMVIT gemeldet.

Laut Verkehrsministerium agierten die ÖBB rechtlich gesehen als Verwaltungshelfer des Innenministeriums, das daher die Kosten zu tragen habe. Im BMVIT erfolge aber eine Vorprüfung, ob die von den ÖBB in Rechnung gestellten Aufwendungen "plausibel“ und "sachlich-rechnerisch korrekt“ seien. Derzeit gebe es noch keine Abrechnung.

Unsere Rechnung ist offen. Wir werden sehen, ob wir etwas bekommen. (ÖBB-Chef Christian Kern)

In einem fast legendären "ZiB 2“-Interview live vom Bahnsteig des Westbahnhofs hatte ÖBB-Chef Christian Kern sein Unternehmen im September als humanitären Leitbetrieb gepriesen. Dass man Teile der Kosten für die Flüchtlinge bereits abzuwälzen versucht, wird von den ÖBB dagegen nicht offensiv kommuniziert. Im Gegenteil: In Interviews mit den Bundesländerzeitungen vom vergangenen Freitag meinte ÖBB-Chef Christian Kern lapidar: "Unsere Rechnung ist offen. Wir werden sehen, ob wir etwas bekommen.“

Auf Anfrage von profil heißt es aus den ÖBB, man habe die Kosten bei der Regierung "noch nicht eingereicht“, das werde aber "in der nächsten Zeit gemacht“.

Gegenüber den Bundesländerzeitungen gab sich Kern nobel bis gönnerhaft: "Das Wichtigste ist dennoch, dass die Hilfsorganisationen und Privatpersonen, die Summen vorgeschossen haben, ihre Auslegungen zurückerstattet bekommen.“ Die Forderung des Westbahn-Managements nach einem Gebührennachlass bezeichnete er als "verhaltensoriginell“. Ein Sprecher der ÖBB hatte dem Konkurrenten nach der Veröffentlichung des umstrittenen Briefs sogar Nachhilfe in Wirtschaftsethik erteilt: "Es ist bemerkenswert, dass nun jemand aus der Not der Menschen Kapital schlagen möchte.“

Die Bahn holt sich ihr Kapital zur Not vom Staat zurück.

Gernot   Bauer

Gernot Bauer

ist Innenpolitik-Redakteur.