Gernot Bauer: Lasst die Blauen ran!

Gernot Bauer: Lasst die Blauen ran!

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Alexander Van der Bellen meinte jüngst, er würde als hypothetischer Bundespräsident keine FPÖ-geführte Regierung angeloben. Sollte der ehemalige Grünen-Chef tatsächlich Staatsoberhaupt werden wollen, wird ihn dieser Satz im Wahlkampf noch verfolgen. Wahrscheinlich ahnt der kluge Van der Bellen bereits, dass seine Antwort zu apodiktisch war. Wird die FPÖ eines (eher nahen als fernen) Tages bei Wahlen stärkste Partei und organisiert sich eine parlamentarische Mehrheit, ist ihr die Angelobung faktisch nicht mehr zu verwehren. Warum also ein derart emotionsgetriebenes Statement? Van der Bellens Antwort ist Ausdruck des Unbehagens (oder gar Grauens) bei der Vorstellung, dass Heinz-Christian Strache tatsächlich Bundeskanzler, Vizekanzler oder Wiener Bürgermeister werden könnte; dass die FPÖ in immer mehr Ländern (Burgenland, demnächst wahrscheinlich Oberösterreich) Koalitionspartner wird; generell: dass die Dämme brechen und blaue Rechtspopulisten an die Macht gelangen.

Es ist an der Zeit, dieses Unbehagen (oder gar Grauen) zu überwinden und die FPÖ als möglichen Koalitionspartner zu akzeptieren. Wer die Freiheitlichen weiterhin von den Regierungsämtern fernhalten will, beschädigt Ideale, die er zu schützen glaubt.

Demokratischer Machtanspruch beginnt nicht erst bei einer absoluten Mehrheit. Mit den Wahlen in Wien und Oberösterreich ist die FPÖ endgültig zur Großpartei geworden – man kann ein Drittel der Wähler nicht mehr ignorieren. Wie Bernd-Christian Funk in seiner „Einführung in das österreichische Verfassungsrecht“ schrieb, liegt „die leitende Idee der Demokratie in der Forderung, dass jede Form von politischer Macht in der Gesellschaft durch den Willen jener legitimiert sein soll, die dieser Macht unterworfen sind“.

Die Blauen haben jene kritische Größe erreicht, ab welcher der bisher praktizierte Cordon sanitaire nicht länger die FPÖ eindämmt – sondern die Demokratie.

Man spricht in diesem Zusammenhang auch von der „Identität von Herrschern und Beherrschten“. Dieses demokratische Grundprinzip wird aber zwangsläufig verletzt, wenn eine 30-Prozent-Partei auf Dauer von der Exekutive ausgeschlossen bleibt: Die Blauen haben jene kritische Größe erreicht, ab welcher der bisher praktizierte Cordon sanitaire nicht länger die FPÖ eindämmt – sondern die Demokratie.

Wie wenig Herrscher und Beherrschte noch gemein haben, zeigen die Detailanalysen der letzten Wahlen. Bei schlechter Gebildeten, schlechter Bezahlten, Jungen (mit Ausnahme der privilegierten Gruppen der Studenten und Maturanten) und Arbeitern ist die FPÖ stärkste Partei, und nicht mehr die SPÖ. Schließt man wie Werner Faymann und Michael Häupl Koalitionen mit der FPÖ prinzipiell für alle Zeit aus, sind gerade die Schwächsten der Gesellschaft in der Regierung nicht mehr repräsentiert. Eine Elite bestimmt über die ihr verloren gegangene Unterschicht. Kann das im Sinne eines Sozialdemokraten sein?

Bleiben zwei Argumente gegen blaue Machtbeteiligungen: zum einen der Generalverdacht des politischen Dilettantismus, wohlbegründet mit dem Hypo-Alpe-Adria-Fiasko in Kärnten. Das Gegenargument: Demokratie darf etwas kosten, ein Machtwechsel ein Risiko sein. Es liegt am Wähler, aus vergangenem oder zukünftigem blauen Schaden klug zu werden – oder auch nicht. Zumal auch in anderen Großparteien dilettiert wird, wie der Finanzskandal 2012 im damals rot-schwarz regierten Salzburg zeigte.

Zum zweiten die politische Moral: Darf man mit einer Partei wie der FPÖ – trotz der regelmäßigen rassistischen Rechts-Rülpser aus vorderen und hinteren Reihen – eine Regierung bilden? Man darf, weil Moral zwar eine politische Kategorie ist, aber Verfassung und Gesetz über ihr stehen. Der Status der FPÖ als Parlamentspartei legitimiert sie zur Ausübung von Staatsgewalt. Und der Parteichef? Heinz-Christian Strache ist kein „Neonazi“, kein „Faschist“, kein „Neo-Austrofaschist“, sondern „ein normaler Rechtspopulist“ – sagt ein sehr glaubwürdiger Zeuge im „Falter“: Michael Häupl. Rechtspopulismus ist zweifelhaft, in Österreich aber nicht verboten.

Dass – wie oft erhofft – die FPÖ in einer Koalition gezähmt und geschwächt wird, ist keineswegs garantiert. Ihre politischen Gegner sollten sich jedenfalls nicht darauf verlassen. Abseits ihrer demokratiepolitischen Notwendigkeit beendet die Macht-Teilhabe der FPÖ aber zumindest die Propaganda-Tauglichkeit der von Strache dankbar verwerteten „Ausgrenzung“.

Auch wenn es nach Michael Häupls milder Niederlage unwahrscheinlich ist: Die Wiener SPÖ sollte der FPÖ ein ernsthaftes Angebot machen. Sonst geschieht dies beim nächsten Mal, oder bei Nationalratswahlen, andersrum.

Gernot   Bauer

Gernot Bauer

ist Innenpolitik-Redakteur.