Heinz-Christian Strache waehrend der Totenrede im Rahmen einer "Heldenehrung" der Burschenschafter im Jahr 2004.
Geschichte: Wie man aufrichtig mit der eigenen dunklen Vergangenheit umgeht

Wie man aufrichtig mit der eigenen dunklen Vergangenheit umgeht

Wie geht man aufrichtig mit der eigenen dunklen Vergangenheit um? Edith Meinhart über einen vielschichtigen Prozess und seine schmerzhaften Nebenwirkungen.

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Am Anfang stand das Fragezeichen. Ein Gedenkdiener malte es mit seinem Finger in den Staub, der sich auf dem Lack jener monumentalen Tafel abgesetzt hatte, mit der Österreich seit 1978 die Besucher der Länderausstellung im staatlichen Museum Auschwitz-Birkenau empfing. "11. März 1938", stand da zu lesen: "Österreich, das erste Opfer des Nationalsozialismus."

Niemand widersprach. Lange Zeit. Auch Polen nicht, wo das ehemalige Vernichtungslager der Nazis und die heutige Gedenkstätte liegt. Als hätte das erste Fragezeichen den Bann gebrochen, kritzelten Besucher bald weitere dazu. Fast 40 Jahre lang war die Ausstellung zu sehen gewesen. Im Oktober 2013 sperrte Österreich sie zu. Man montierte die Tafel ab, das Artefakt eines überholten Geschichtsbilds, und entfernte die Fragezeichen. An ihrer Stelle blieb ein dunkler Fleck.

Manchmal spiegeln sich große Dramen noch in den Details am Rande. 2014 gewannen der Tiroler Kurator und Schriftsteller Hannes Sulzbacher und der Historiker Albert Lichtblau den Wettbewerb für eine neue Auschwitz-Ausstellung. Die Täterschaft sollte nicht länger verleugnet werden. Hinter den Kulissen aber tobten die Kämpfe um Österreichs Rolle im Nationalsozialismus weiter. Mehr als ein Mal musste Projektleiter Sulzenbacher sich vorhalten lassen, Kübel von Schuld über dem Land auszuleeren, und sich dafür rechtfertigen, dass er vom "Anschluss 1938" sprach und nicht von einem "Überfall". Geschichtsbilder können revidiert, Irrtümer eingestanden, Fehler bereut werden, jedoch sind Einsicht und echte Veränderung weder schnell noch billig zu haben. Wer die dunklen Kapitel der eigenen Geschichte aufschlägt, merkt schnell, dass er sich auf ein mutiges, kräftezehrendes, von Widersprüchen und Spannungen begleitetes Unterfangen mit unvorhersehbaren Folgen einlässt. Sie zeigen sich im Ansatz, wenn FPÖ-Vizekanzler Heinz-Christian Strache vom Antisemitismus in den eigenen Reihen abrücken oder die "dunklen Flecken" der Parteigeschichte aufarbeiten will.

Kalkül oder Ernst?

Für Außenstehende ist schwer auszumachen, ob dahinter taktisches Kalkül steht, um sich aus den Schlagzeilen zu manövrieren (wie dies der blaue EU-Abgeordnete Andreas Mölzer zunächst bekundete und später zurücknahm), oder ob es die heutige Regierungspartei FPÖ damit vielleicht doch ernst meint. Symbolische Gesten gehören dazu, ersparen den Betroffenen aber nicht die Mühen der Ebene -so wie das Verräumen einer Tafel oder aus dem Lack geätzte Fragezeichen nicht automatisch einen aufrichtigen Umgang mit der Vergangenheit nach sich ziehen.

Aus psychoanalytischer Sicht gehen tiefschürfende Veränderungen mit Trauer, Reue und Schmerzen aller Art einher, wenn einstige Helden vom Sockel stürzen und ihre Anhänger sich eingestehen müssen, dass sie verblendet waren oder auf der falschen Seite standen. Die österreichische Nachkriegsgeschichte kennt kaum Bekenntnisse dieser Art. Einer der wenigen, die öffentlich bereuten, war der Arzt und Psychoanalytiker Hans Strotzka, der als junger Mann für die Nationalsozialisten entflammte, Mitglied der illegalen SA wurde und von März bis August 1940 in der Anstalt Am Steinhof arbeitete. Bis zu seinem Tod 1994 plagten ihn Schuldgefühle, was er mehrfach thematisierte -unter anderem in seiner Autobiografie.

Sie ist allerdings nie erschienen. Strotzkas Sohn war gegen eine Veröffentlichung; er fürchtete, man würde seinem Vater die jugendliche Verirrung nicht abnehmen. Strotzkas Erinnerungen erschienen später auszugsweise in einer Biografie über ihn. Dass sein Ringen um einen wahrhaftigen Rückblick nicht nur auf Verständnis stieß, sondern oftmals Irritationen auslöste, ist auch in dem 2016 im Löcker-Verlag erschienenen Buch "Unbewusste Zeitgeschichte" des psychoanalytischen Sozialforschers Karl Fallend nachzulesen. Fazit: Einigen sei es zu viel gewesen, anderen zu wenig glaubhaft; seine Frau habe ihm geraten, damit aufzuhören, Kollegen wirkten peinlich berührt. Gut möglich, dass sie nicht wissen wollten, was Strotzka quälte: Es hätte an eigene wunde Punkte rühren können.

Erinnern und Aufarbeiten sind das ureigene Metier von Psychoanalytikern. Doch selbst sie sind nicht davor gefeit, ihrer inneren Abwehr zu erliegen. Das erfuhr Fallend am eigenen Leib, und weil sich das Persönliche und Gesellschaftliche bei ihm eng verweben, lässt er die Leser seines Buches daran teilhaben. Fallend studierte in Salzburg am Institut des legendären Analytikers Igor A. Caruso. Dieser hatte nach dem Krieg den Arbeitskreis für Tiefenpsychologie gegründet, zu dem ehemalige NSDAP-, SS-und SA-Mitglieder zählten, sich später aber linken Strömungen zugewandt. So wurde er zur Ikone der 1968er-Studentengeneration.

Spätes Geständnis

Vor zehn Jahren schrieb profil-Kollegin Christa Zöchling über ein seltsam folgenloses Radiogeständnis Carusos. Der aus einer zaristischen Adelsfamilie aus dem heutigen Transnistrien stammende Psychoanalytiker deutete in einem Interview am 4. April 1979, zwei Jahre vor seinem Tod, an, ein Handlanger der NS-Euthanasie gewesen zu sein. Als Ausländer sei er nicht eingeweiht gewesen: "Aber dumm bin ich nicht oder war ich nicht und habe allmählich die grausige Wirklichkeit erfahren. Man hat die schwer schwachsinnigen Kinder im, also am Spiegelgrund da, (...) getötet, nicht wahr. Das hat man." 789 Kinder wurden in der Wiener Jugendfürsorgeanstalt umgebracht, die Überlebenden setzte man qualvollen Experimenten aus. Caruso arbeitete von Februar bis Oktober 1942 als Erzieher und psychologischer Gutachter am Spiegelgrund.

Man hätte schon damals, 1979, nachhaken können. In Österreich sei der Nationalsozialismus keine verdrängte, sondern eine mit großem emotionalen Aufwand unterdrückte Geschichte, bemerkt Fallend. Jedoch: "Die Fama, Caruso habe sich vom klerikalen Analytiker (...) zum Marxisten gewandelt, war uns sehr willkommen." Man habe im Dienste der politischen Agitation ein widerspruchsfreies Bild hochgehalten, "das im Laufe der Auseinandersetzungen vor allem nach außen immer mehr den Charakter eines positiven Mythos bekam". Lange Zeit wollte niemand daran kratzen. Zu groß war die Angst vor Entidealisierung. Es war einfacher, braune Farbbeutel auf den damaligen rechtsradikalen Präsidentschaftskandidaten Norbert Burger zu werfen. Dieselbe Studentengeneration, die gegen das Schweigen revoltierte, das sich nach dem Krieg für Jahrzehnte über das Land gesenkt hatte, in dem so gut wie jede Familie auf die eine oder andere Weise in den Nationalsozialismus verstrickt war, fragte nicht nach, als es um einen ihrer Helden ging -selbst dann noch, als seine Unvollkommenheit kaum noch zu übersehen war.

Fallends selbstkritische Besinnung ist ein Geschenk für alle Seiten. Man kann es drehen und wenden, wie man will: Sich einer verpönten Geschichte zu stellen, eigene Lebenslügen aufzudecken und sich von vermeintlich ewigen Idealen zu lösen, bleibt ein vielschichtiger, langwieriger Prozess mit ungewollten, oft schmerzvollen Nebenwirkungen. Weggefährten werden zu Gegnern, mitunter bedrohlichen, wie etwa Aussteiger aus rechtsextremen Szenen zu berichten wissen, alte Sicherheiten zerbrechen, und es fällt schwer, sich im Widerspruch zu entspannen. Vielleicht ist das Höchste, was man dabei erreichen kann, "zu wissen und auszuhalten, dass es so und nicht anders gewesen ist", wie Hannah Arendt sagte. Am Ende geht es nicht um Tribunale, nicht um Verurteilte und Freigesprochene, sondern darum, Verdrängtes ans Licht zu bringen, damit es sich nicht zum Herrscher über die Zukunft aufschwingt.

Edith   Meinhart

Edith Meinhart

ist seit 1998 in der profil Innenpolitik. Schreibt über soziale Bewegungen, Migration, Bildung, Menschenrechte und sonst auch noch einiges