Unterwegs mit Herbert Kickl: „Dann beiße ich zu“

Der ehemalige FPÖ-Innenminister Herbert Kickl steht in einem Wahlkampf zum ersten Mal selbst im Rampenlicht. Genüsslich zündelt er gegen Linke, Flüchtlinge – und Sebastian Kurz.

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Herbert Kickl ist ein Phänomen, das sich eben erst zu entpuppen beginnt. Der Erfahrenste unter den Parteistrategen, seit mehr als zwei Jahrzehnten in Wahlkämpfen unterwegs. Mittlerweile ist er nicht mehr der Redenschreiber für andere. Er bringt seine Sprüche selbst unters Volk, erntet helle Lachstürme und dumpfes Gebrüll. Am besten gefällt dem Publikum, wenn Kickl andere Politiker verhöhnt, „linkslinken Schreiberlingen“ droht oder sich Strafaktionen gegen die „verkiffte Antifa“ ausdenkt.

Dabei bleibt er cool. Kickl ist kein von sich selbst Verführter. Er hat alles unter Kontrolle.

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Auf die Frage eines TV-Journalisten, wie er es aushalte, der unbeliebteste Politiker des Landes zu sein, antwortet Kickl schulterzuckend, das sei immer schon so gewesen. Er werde seit je bekämpft, immer von den gleichen Leuten – als werde der Widerstand gegen ihn dadurch entkräftet.

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Im TV-Duell mit der SPÖ-Vorsitzenden Pamela Rendi-Wagner sagt Kickl: „Ich find Sie eigentlich ganz sympathisch.“ Dabei lächelt er kalt. Dann geht er zum Angriff über: „Tun Sie nicht so, als ob Sie nicht anstreifen dürften an der FPÖ. Ich verstehe den Leidensdruck, den Sie haben. Sie sind vor Neid erblasst bei dem, was wir der ÖVP abringen konnten. Wir haben die Inländerdiskriminierung abgeschafft.“

Kickl besitzt ein Gespür für sein Publikum und die wunden Punkte der Konkurrenz. Im Bierzelt, wo keine reichen Leute auf Holzbänken sitzen, vor dampfenden Tellern inmitten von Aschenbechern und Bierkrügeln, sagt er: „Ich war noch nie auf Ibiza, noch nie in Saint-Tropez. Diese Form von Luxus geht mir am Hinterteil vorbei. Früher hat die SPÖ Millionäre und Bonzen bekämpft. Heute ist sie durchsetzt von Bonzen. Schaut euch nur den Gusenbauer an, der verkörpert das.“ – „Wir werden dem Bobo-Sozialismus einen Schlag aufs Hosentürl verpassen. Ich bin sowieso überzeugt, dass es für die SPÖ 25 Prozent nur im Sommerschlussverkauf gibt.“ Großes Geschrei im Saal.

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Pikiert sieht Kickl immer aus. Die Augen wirken leicht aufgerissen, vielleicht durch die hohe Dioptrienzahl der Brille. Er scheint nie zu lachen oder zu lächeln. Tatsächlich ist sein Lächeln mokant, nur angedeutet, als lächelte er aus Versehen. Er wirkt überhaupt zurückhaltend in allem, sozusagen ein Anti-Strache. Kickls Radikalität kommt vom Inhalt. Schaltet man in einer TV-Aufzeichnung den Ton ab, wirkt er vollkommen unaufgeregt, nicht wie einer, der Agitation ins Volk schleudern will. Manchmal geht zum leisen Lächeln der Zeigefinger neckisch nach oben, auch die Augenbrauen. Man mag gar nicht glauben, dass dieser Mann ein Bierzelt rocken kann. Schaltet man den Ton wieder ein, hört man eine für alle verständliche Alltagssprache. Aus unverständlichen Fremdwörtern werden bei Kickl einfache Beleidigungen.

Ohne Fahnen und Musik geht in der FPÖ schon lange nichts mehr. Beim Wahlkampfauftakt in Krems grölt man den beliebten Schlager „Wir sind eeeeiiine große Familie“, während sich im Festzelt eine kleine Gasse bildet, durch die der Prominententrupp einzieht. Man sieht nur schwankende Fahnen, die von FPÖ-Landesrat Gottfried Waldhäusl, Niederösterreichs FPÖ-Chef Udo Landbauer und Kickl an langen Stangen nach vorn getragen werden.

Kickl, der Starredner des Abends, spendet Waldhäusl, der minderjährige Asylwerber hinter Stacheldraht sperren wollte, ein dickes Lob. „Ein hervorragender Partner, der sich nichts geschissen hat. Als Innenminister hätte ich noch viel gemeinsam mit ihm vor.“

Kickl betont alles gleich. Am Ende hat er keine Steigerungsmöglichkeit mehr. Ab und zu blickt er auf sein Manuskript. Immer ist der Ausländer an allem schuld, und der Islam passt nicht zu unseren Werten. Zum Aufwärmen geht es um „Heimat wiedererkennen“ – „Schwachsinn Willkommenskultur“ – „Sentimentalitätsduselei“ und „testosterongesteuerte Spanner im Schwimmbad“. – „Nicht bestellt – Lieferung zurück“, sagt Kickl über die Flüchtlinge, die 2015 nach Österreich kamen. Die Stimmung hebt sich.

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Radikaler und derber gibt sich Kickl im „Hubertus Stadel“ in Wien-Favoriten. Hier ist die Menge von Anfang an erhitzt, und außer FPÖ-TV filmt auch niemand mit. In der Nacht zuvor war die Fassade des Gasthauses mit Anti-FPÖ-Slogans besprüht worden. Das können nur die Linken gewesen sein: „anonym und hinterfotzig, zugekifft, wahrscheinlich mit Strumpfmaske, die sich jetzt in ihrer WG freuen. Man sollte sie zu ihren Freunden aus Afghanistan ins Loch sperren“, sagt Kickl.

Groß war die Begeisterung schon, als die Nationalratsabgeordnete Ricarda Berger auf die Bühne trat. „Der eigentliche Skandal beim Ibiza-Video ist, uns so politisch zu ermorden“, schreit Berger ins Mikro: „Herbert Kickl. Du bist der Beste!“ Hurra-Rufe.

Pfeifen.

Das sind keine Zuhörer, das sind Mitwirkende, trotzig zusammengeschweißt. Der Feind, das sind die anderen. Aber man soll zwischendurch auch lachen dürfen, und deshalb sagt Kickl über die Flüchtlinge des Jahres 2015: „Wer in der Nase bohren konnte, war schon HNO-Spezialist.“ – „Wer seine Zehennägel schnitt, galt als Orthopäde.“

Kickl arbeitet die Feindesliste ab: Der Grüne Werner Kogler sei „brunftig aufs Regieren“, die Grünen gäben den „billigen Jakob“. Justizminister Clemens Jabloner „stachelt mich erst richtig an – nichts und niemand kann uns im Wege stehen“. Das Wiener Rathaus sei das „Epizentrum der politischen Blödheit“, die SPÖ werde man „mit nassen Fetzen bei der nächsten Gemeinderatswahl hinaustreiben. Im Bund hängt denen die Zunge schon raus bis auf den Boden, weil sie es nicht mehr erwarten können, dass sie endlich wieder dabei sein können.“

Alles ist derb, alles untergriffig. Kickl sagt, ihm werde „niemand den Maulkorb der Political Correctness umhängen. Wer es probiert, da wird zuerst hingeschnappt, und dann wird gebissen. Kann euch nur sagen, dass das wehtut.“ Das Publikum heult auf vor Vergnügen. „Ich halte auch nichts von diesem Dauerdistanzieren. Wenn man sich von allem distanziert, dann wird man keinen Meter vorwärtskommen. Manchmal wär es angebracht, wenn man sich vom Distanzieren distanziert. Weil ich manchmal erlebe, dass der Rest dann in einer Rückwärtsbewegung endet, die uns nicht guttut.“ Laute Zustimmung. „Da bin ich dann schon beim nächsten Vokabel, wo man angeblich so vorsichtig sein soll: Was ist denn das anderes als ein Bevölkerungsaustausch, was ist denn das, wenn man seine eigene Heimat nicht mehr wiedererkennen kann!“

Eine halbe Stunde vergeht, bis Kickl auf den wahren Feind zu sprechen kommt. Allein der Name „Kurz“ reicht aus, um im Saal Pfiffe, Brüllen und Trommeln zu erzeugen. „Lassen wir uns nicht täuschen von der ÖVP.“ – „Kurz ohne FPÖ ist wie Popeye ohne Spinat.“ – „Die brauchen alle Implantate aus Eisen, dass sie nicht dauernd in die Knie gehen.“ – „Andere Seiten aufziehen.“ – „Absolute Kehrtwende in der Asylpolitik, de facto gegen null.“ – „Ibiza war ein Riesenblödsinn, aber die anderen – die ÖVP – haben das umgesetzt.“

Gleich hinter Kurz rangiert in der Feindskala Alexander Van der Bellen: „Meine Audienzen beim Staatsoberhaupt: Ich habe ihm gesagt: ,Es kann schon sein, dass Ihnen das eine oder andere nicht passt. Aber ich werde mich nicht abhalten lassen.‘ Da ist ihm eh die Zigarette aus dem Mund gefallen.“

Kickls Auftritt ist wie eine Fahrt auf der Hochschaubahn. Die Emotionen gehen rauf und runter in rasendem Tempo. Die Menschen lachen wie bei einem Büttenredner und sind gleichzeitig aufgestachelt, eine einzige „Zornsammelstelle“ (©Peter Sloterdijk). Immer wütender werden sie. Was machen sie nun mit ihrer Wut? Und was macht Kickl mit ihnen?

Nach der Rede das Bad in der Fangemeinde. Die Leute stellen sich in Schlangen an. Sie wollen ein Autogramm oder noch lieber ein Selfie mit ihm. Kickl ist ungeübt in der Tuchfühlung mit Wählern. Er greift viel zu fest zu, legt sofort den Arm um die Schulter des anderen. Er zupft an sich herum, an der Brille, am Mund, am Zehntagesbart.

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In einem Einkaufszentrum in Pasching, am Stadtrand von Linz, feiert die FPÖ den oberösterreichischen Wahlkampfauftakt. Von weit her hört man einen Hit von Andreas Gabalier, dann eine Frauenstimme: „Genderwahnsinn.“ – „Geld horten.“ – „ÖVP – moralische Geröllhalde.“ Kickl redet diesmal nicht allein, sondern nach FPÖ-Landeshauptmann-Stellvertreter Manfred Haimbuchner und vor FPÖ-Chef Norbert Hofer. Er beginnt mit einer Erklärung: „Heute, nicht nur Freunde schauen zu, sondern selbstverständlich auch die selbst ernannte linke Sprach- und Gesinnungspolizei schaut heute zu. Die passt auf, was ich sage. Da richte ich ihnen schöne Grüße aus, wenn sie bei mir den Versuch unternehmen, mir einen Maulkorb umzuhängen: Dann schnappe ich zu, dann beiße ich zu.“

FPÖ-Wahlgeschenke. Neben Feuerzeugen und Freigetränken gibt es auch den Hofer-Bären, "Norbär" genannt.

Am selben Tag ist ein profil-Interview mit Norbert Hofer erschienen, in dem der designierte FPÖ-Chef auf Kickls menschenverachtende Äußerungen über Flüchtlinge angesprochen wird („Lieferfehler“ – „so nicht bestellt“). Hofer windet sich und sagt, seine Sprache sei das nicht.

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Wochenmarkt in Wels. Eine Gruppe von Menschen beginnt zu klatschen, als sie Kickl sieht. Eine Frau drückt ihm ein Busserl auf die Wange. Ein älterer Herr klagt über seine soziale Notlage. Man ist empört über die Angriffe auf Ursula Stenzel, die am Wochenende bei einer Demo der Identitären in Wien eine Rede gehalten hat. Kickl: „Genau meine Meinung – ein Meter zurück für was? – Aber tut’s mich net zu viel aufhussen, sonst krieg ich gleich wieder Schimpf von der anderen Seite.“

Wer ist die andere Seite? Hier jedenfalls ist Kickl der Held. Er erzählt in die Runde: „Sag ich damals zum Kurz: Einer von uns beiden muss der Kommandant sein, und du bist es nicht.“

Seine neue Rolle scheint Kickl mehr und mehr zu genießen. Er wirbt um Vorzugsstimmen, denn dann könne Sebastian Kurz „nichts mehr verhindern“.

Christa   Zöchling

Christa Zöchling