Robert Treichler

Robert Treichler Identitätärätätääää!

Identitätärätätääää!

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Gegen Antifaschismus lässt sich prinzipiell nichts einwenden, es sei denn man ist Faschist. Dieser unaufholbare argumentative Startvorteil hat allerdings auch einen Haken: Antifaschisten schnappen gelegentlich über, und keiner getraut sich, es ihnen zu sagen. Vorvergangenes Wochenende war das der Fall. Die mikroskopische Rechtsaußenbewegung „Identitäre Bewegung“ hatte in Wien eine Demonstration angemeldet und konnte unter Aufbietung von Mit-Identitären aus mehreren europäischen Ländern eine schwache Hundertschaft zusammentrommeln, um gelbe Fahnen schwenkend vom Westbahnhof Richtung Innenstadt zu ziehen. Eine antifaschistische Gegendemonstration versuchte, die Identitären zu stoppen, biss sich aber an der polizeilichen Übermacht die Zähne aus. Danach wurden Vorwürfe wegen angeblicher behördlicher Übergriffe laut.

Das Drehbuch ist bekannt. Solche Gegendemonstrationen sollen bewirken, dass die Rechten erkennen, sie sind in der Minderheit, und sie sollen sich ein bisschen fürchten. Diesmal dürfte das nicht gelungen sein, aber die nächste Gelegenheit kommt bestimmt.

Doch in den Tagen nach der Demonstration/Gegendemonstration setzte sich der offizielle Antifaschismus in Gang, in Person des Bürgermeisters und der Vizebürgermeisterin. Maria Vassilakou (Die Grünen) veröffentlichte einen Kommentar auf der Website ihrer Partei und richtete darin den Identitären aus: „Wien hat keinen Platz für Rechtsextreme.“ Das klang nach einem Demonstrationsverbot, könnte aber auch als bloße Ausladung interpretiert werden. Michael Häupl (SPÖ) wurde deutlicher: „Die Identitären gehören verboten.“

Damit ist das Problem aus der Welt, zumindest aus der Stadt. Die Stadtregierung darf ihren Bürgerinnen und Bürgern stolz mitteilen: Wien ist rechtsextremismusfrei. Für Sie erreicht. Verfolgte die Politik überall so zielorientierte Lösungsansätze, gäbe es auch keinen Feinstaub und keine Hundstrümmerl.

Tatsächlich ist allerdings auch der Rechtsextremismus hartnäckiger, als dem Rathaus lieb ist, denn er ist eine diffuse Einstellung, eine politische Überzeugung, eine Ideologie – und all das kann man nicht so einfach verbieten. Selbst konkrete Rechtsaußenorganisationen wie die Identitären genießen zunächst den Schutz der Gesetze.

Der Rechtsstaat kennt keine Abkürzungen. Will man die Identitären verbieten, muss man ihnen einen Verstoß gegen die Rechtsordnung nachweisen. Häupl sagt, sie fielen „klar unter das Verbotsgesetz“, bringt dafür aber keinen Beleg.

Der grüne Abgeordnete Albert Steinhauser hat den Marsch der Identitären gefilmt, um ihre ausländerfeindlichen Parolen ans Licht der Öffentlichkeit zu bringen. Sie skandieren auf dem Video „Pro border, pro nation, stop immigration.“ Für die Wiedererrichtung von Grenzen, für die Stärkung der Nation und gegen Zuwanderung zu sein, gehört zum Repertoire jeder rechten Partei. Dagegen soll man aus (guten) politischen Gründen auftreten, ein Fall für Gerichte ist das bestimmt nicht.

Die grüne Gemeinderätin Birgit Hebein schreibt auf ihrer Website, die Polizei habe „voller Sympathie Rechts­extreme begleitet“; der grüne Gemeinderat Klaus Werner-Lobo bekrittelt, „in Wien werden Neonazis von der Polizei geschützt“. Solcher Unsinn diskreditiert die Institutionen der Republik, die wir vor Angriffen der Rechtsextremen bewahren sollten. Die Polizei hat keine andere Wahl, als angemeldete Demonstrationen zu schützen, und zwar ohne sich um deren Inhalte zu kümmern.

profil hat die Bewegung der Identitären porträtiert (profil 09/2013), nachdem sie mit einer symbolischen Besetzung der Votivkirche auf sich aufmerksam gemacht hatte, um gegen Asylmissbrauch zu protestieren. Die neuen Rechten verstünden sich als letzte Generation, die das Abendland vor dem Untergang bewahren könne. Von Neonazis distanzierten sie sich.

Solange die Identitären nicht nachweislich gegen das Verbotsgesetz verstoßen, nicht zu Gewalt aufrufen oder sonstige Delikte begehen, soll man sie nicht verbieten. Nicht aus unnötigem Mitleid, sondern weil dadurch nichts gewonnen, aber viel aufs Spiel gesetzt wird: die Gewissheit, dass der Rechtsstaat sich nicht politisch instrumentalisieren lässt.

In Frankreich, wo die Identitären ihren Ursprung haben, wird ein Verbot schon länger diskutiert. Nach geltender Rechtslage könnte Staatspräsident François Hollande die Auflösung einer Organisation verordnen, wenn sie „Diskriminierung, Hass oder Gewalt gegenüber Personen oder Personengruppen aufgrund deren Zugehörigkeit oder Nicht-Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Nation, Rasse oder Reli­gion“ schürt.

Ein solches Gesetz ist mit allerhöchster Vorsicht anzuwenden. In der Vergangenheit wurden in Frankreich auf Basis desselben – mehrmals novellierten – Paragrafen nicht nur faschistische Gruppierungen verboten, sondern auch linke studentische Bewegungen nach den Mai-Unruhen des Jahres 1968.

Die Identitäre Bewegung ist weit davon entfernt, den Staat zu bedrohen. Ihre Forderungen sind dumm, aber bisher nicht strafrechtlich relevant. Ein Verbot wäre nicht nur problematisch, es würde den jungen Rechten unnötiges Gewicht verleihen. Die Feststellung, dass weniger als 100 Österreicher am vorvergangenen Samstag für das Reinheitsgebot einer konstruierten österreichischen Identität auf die Straße gingen, sollte uns fröhlich stimmen. Wien hat keinen Platz, der klein genug wäre, um diesen Rechtsextremismus groß erscheinen zu lassen.

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