profil ist der Meinung, Alexander Van der Bellen wäre der richtige Bundespräsident

Im Zweifel für... Alexander Van der Bellen

Im Zweifel für... Alexander Van der Bellen

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Geht Ihnen der Dauerwahlkampf auf die Nerven? Können Sie, nach elf Monaten Dauerbeschallung, nicht mehr hören, wer angeblich warum besser für die Hofburg geeignet ist? Sind Sie ermattet? Haben Sie gewisse Motivationsprobleme, sich für die Bundespräsidentschaftswahl zu begeistern? Können Sie beide Kandidaten nach elf Monaten Dauerpräsenz nicht mehr hören und sehen?

Wir können das gut verstehen. Es geht uns ähnlich.

Vor 30 Jahren, im Juni 1986, nach einem vergleichbar unerbittlichen, wenn auch wesentlich kürzeren Wahlkampf um das höchste Amt im Staat, schrieb der damalige profil-Herausgeber Peter Michael Lingens: „Kurt Waldheim kotzt mich an. Kurt Steyrer kotzt mich an. Die ÖVP kotzt mich an. Die SPÖ kotzt mich an.“ Er plädierte dafür, „keinen der beiden“ zu wählen.

Damals war das Land über den Umgang mit der Vergangenheit gespalten, heute ist es uneins über die Zukunft. Der lange Wahlkampf hat Österreich bereits verändert, brachte unter anderem einen neuen Bundeskanzler, neue Minister und wüste Schlammschlachten in den sozialen Medien. Viele politisch Verantwortliche haben sich in dieser Zeit deklariert, viele nicht – auch mit dem Argument, dass mündige Bürger selbst entscheiden können und keiner Wahlempfehlung bedürfen.

„Endorsements“, wie sie in angloamerikanischen Medien seit über einem Jahrhundert Tradition haben, sind hierzulande unüblich und seit der Kür von Donald Trump zum US-Präsidenten erst recht in Verruf geraten – weil auch Medien Teil des „Systems“ darstellen, gegen das die neuen Populisten kämpfen.

Kritik am herrschenden politischen System, an der hiesigen Ausformung der Parteiendemokratie prägte auch den Präsidentschaftswahlkampf in Österreich. Erstmals wird nicht eine der ehemaligen Großparteien SPÖ und ÖVP den Bundespräsidenten stellen – und das ist gut so. Ohne die noch Unentschlossenen bevormunden zu wollen: Im Zweifel hält profil Alexander Van der Bellen für den besseren Bundespräsidenten – aus sieben guten Gründen.

1. Er ist kein Parteisoldat

In einem Interview mit dem Fernsehsender ATV gestand Alexander Van der Bellen, dass er im Laufe seines Lebens niemals die FPÖ, sonst aber nahezu alle Parteien schon einmal gewählt habe: einmal die ÖVP, bei einer Innsbrucker Gemeinderatswahl sogar die KPÖ – obwohl seine Familie vom sowjetischen Geheimdienst verfolgt wurde, als sogenannte Volksdeutsche in das damalige deutsche Reich nach Wien ausgewandert und 1945 vor der Roten Armee nach Tirol geflüchtet war. Anfang der 1970er-Jahre war Van der Bellen Forschungsassistent am Institut für Volkswirtschaftslehre an der Universität Innsbruck und fasziniert von den Studentenprotesten in Berlin und Paris – ein „arroganter Antikapitalist“, wie er heute über sich selbst urteilt. Doch das war rein fachlich gemeint: Für Ideologien hatte der angehende Professor kein Sensorium.

Einer seiner besten Freunde an der Universität war Mitglied der „Brixia“, einer damals rechtsradikalen Burschenschaft, und Van der Bellen ging gelegentlich mit auf die Bude. 1975 trat er der SPÖ und einer Freimaurerloge bei. Knapp 20 Jahre später kandidierte er auf Drängen von Peter Pilz auf der Liste der Grünen. An der Besetzung von Hainburg, dem Initialerlebnis vieler Grüner, hatte er nicht teilgenommen. Mitglied bei den Grünen wurde er erst 1997, als er zur Beruhigung der Flügelkämpfe die Funktion des Bundessprechers übernahm. Dem Vernehmen nach verschonte er in der Partei selbst Freunde nicht mit Kritik und gehörte auch keinem Klüngel an. Auf seltsame Art und Weise schwebte er immer über den Dingen. Er nahm sich die Freiheit, bei der Volksabstimmung für den EU-Beitritt zu stimmen, während der Großteil der Grünen noch in Fundamentalopposition zur Europäischen Union stand. Er argumentierte, dass man aus Gründen des Neutralitätsgesetzes Abfangjäger brauche. Er persönlich sei zwar immer „gegen diesen Kram“ gewesen, doch wenn alle Völkerrechtler meinten, Österreich sei zur Verteidigung seines Luftraumes verpflichtet, müssten das auch die Grünen zur Kenntnis nehmen. Nach dem Erdrutschsieg der Freiheitlichen im Jahr 1999 drängte es ihn, eine Tour d’Europe zu machen, um aller Welt zu erklären, dass Österreich kein Land von Nazis sei. Die grüne Basis war entsetzt. Die EU-Sanktionen im Jahr 2000 hielt er mit fortschreitender Dauer für eine „Heuchelei“, das Agieren auf allen Seiten „nicht gerade für große Staatskunst“.

2. Er genießt Ansehen in Europa

„Für gute Beziehungen zu Russland und den USA statt eines Befehlsempfängers von Angela Merkel.“ Mit diesen Worten wirbt Norbert Hofer für sich und trifft damit durchaus einen Punkt: Auch die FPÖ verfügt über ein Netzwerk an internationalen Kontakten, das mit jedem Rechtspopulisten, der an die Macht kommt, dichter wird. Manche dieser Freunde weisen allerdings nicht den allerbesten Leumund auf, weil sie, wie Wladimir Putin, autokratische Züge zeigen, oder, wie Donald Trump, höchst verhaltensauffällig sind.

Zum Rest der Welt jedoch hat Alexander Van der Bellen tragfähigere Beziehungen als Hofer, wie auch die Reaktionen nach seinem Wahlsieg im Mai zeigten. „Ein Seufzer der Erleichterung geht durch Europa“, formulierte damals Italiens Außenminister Paolo Gentiloni stellvertretend für viele Gratulanten. Auch wenn manche Ängste vor dem vermeintlich unheilbaren Naziland Österreich krass überzogen wirkten: Der Reputation Österreichs in der Welt wäre eine Wahl Van der Bellens sicher zuträglicher, zumal eine der wichtigsten Aufgaben des Staatsoberhaupts in der Repräsentation des Landes nach außen besteht – gern auch mit vielköpfiger Wirtschaftsdelegation im Schlepptau. Heinz Fischer rechnete am Ende seiner Amtszeit vor, dass bei solchen Reisen Milliardenaufträge an Land gezogen wurden. Ohne ein Mindestmaß an internationalem Renommee gestaltet sich diese Art der Besuchsdiplomatie schwieriger und weniger fruchtbringend. Hofer hingegen plant, der Visegrád-Gruppe beizutreten, die zuletzt durch ihre Weigerung auffiel, Flüchtlinge fair auf alle EU-Staaten zu verteilen.

In noch einer Hinsicht könnte Van der Bellen in die Fußstapfen seines Vorgängers treten. Es war während Heinz Fischers Amtszeit stets beruhigend, die Gewissheit zu haben, dass er offizielle Termine im In- und Ausland souverän und ohne peinliche Ausrutscher zu absolvieren wusste – ganz im Gegensatz zu seinen Vorgängern: Kurt Waldheim war ein internationaler Paria, Thomas Klestil fiel mit seinen ehelichen Kalamitäten, vor allem aber mit seinen Allmachtsfantasien unangenehm auf. Noch heute erinnern sich Diplomaten mit Grauen an Klestils hochnotpeinliche Versuche, sich in Bild und Szene zu setzen, etwa bei der Unterzeichnung des EU-Beitrittsvertrags in Korfu. Erfahrungen mit Bundespräsidenten zum Fremdschämen hat Österreich ausreichend gesammelt.

3. Er verfügt über die Gabe der Selbstironie

Imperiale Pracht in der Hofburg, Zeremoniell und Pomp: Der Bundespräsident hat das wohl verstaubteste Amt der Republik inne. Wer das protokollarische Brimborium weidlich auskostete, wirkte wie aus der Zeit gefallen: Thomas Klestil etwa, der Interviews für Verlautbarungstermine hielt, bei denen verdutzten Journalisten Zettel mit fertig formulierten Fragen und Antworten überreicht und beschieden wurden. Es ist Heinz Fischer zugute zu halten, dass er das Amt sanft modernisierte. Er stellte sich als erster Bundespräsident Live-Fernsehinterviews, verzichtete auf die Dienstvilla und gestaltete selbst die Kleiderordnung republikanischer: Wenn Botschafter ihre Beglaubigungen überreichten, empfing Fischer sie statt im Cut im dunklen Anzug.

Es ist Van der Bellen mit seinem Hang zu britischem Understatement und seiner Fähigkeit zur (Selbst)Ironie zuzutrauen, das Amt weiter zu entstauben und auf unprätentiöse, moderne Art zu führen. Als Staatsoberhaupt einer Kulturnation würde er glaubhaft über Bücher sprechen, die er offenbar auch gelesen hat, im Falle von Robert Musils „Mann ohne Eigenschaften“ etwa über die Erfahrung des Städters, die tausendfachen Erlebnisse in Beziehung zu sich selbst zu setzen – „das berüchtigte Abstraktwerden des Lebens“.

Van der Bellen, dessen Mutter zu Hause Chopin-Etüden spielte und dessen Vater ein gut gehendes Import-Export-Unternehmen führte, bekam Bildung und Kultur gleichsam in die Wiege gelegt – das Privileg eines Bürgersöhnchens vielleicht, für die Hofburg aber sicher nicht die schlechteste Qualifikation. Martialische Landser-Bilder wie jene von Odin Wiesinger, dem Lieblingsmaler von Norbert Hofer, würde Van der Bellen in der Hofburg jedenfalls nicht aufhängen lassen.

4. Er ist kein Rechter und berechenbar

Bereits in der ersten Woche nach seiner Wahl beging Donald Trump einen Tabubruch nach dem anderen. Das war er seinen Wählern schuldig. Diese wiederum fühlten sich stark genug, im Wahlkampf verhöhnte Bevölkerungsgruppen – Latinos, Schwarze, Frauen – nun öffentlich anzupöbeln. Sollte Norbert Hofer in die Hofburg einziehen, könnte das eine Ermutigung für alle jene sein, die ihre Gegner gern mit Häme und Hass überziehen.

Beim Wahlauftakt in Wels erklärte einer der Parteifreunde Hofers, der oberösterreichische Landeshauptmann Manfred Haimbuchner, warum Integration „scheitern muss“ – wegen Herkunft und Kultur der Zugewanderten.

Auch Van der Bellen schreibt in seinem Buch „Die Kunst der Freiheit“, man werde in einen Zusammenhang hineingeboren: in eine Familie, in eine Verwandtschaft, in einen Clan. Doch er hat ein anderes Menschenbild. Er geht davon aus, dass der Mensch mündig ist, dazu befähigt, neue Erfahrungen zu machen und sein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Van der Bellen stellt keine Rangordnung unter den Menschen auf. Er sagt, man müsse darauf achten, ob ein Land die Zuwanderung finanziell, integrationspolitisch und psychologisch verkraftet. Er ist Realist und kein Ideologe.

Norbert Hofer hat in diesem Wahlkampf die gegenteilige Botschaft ausgesandt und verdecktem Rassismus, getarnt als kultureller „Unterschied“, eine Bühne gegeben. Hofer applaudierte dem ehemaligen tschechischen Präsidenten Václav Klaus, der die bei Rechtsradikalen populäre These vertritt, dass Massenzuwanderung von den europäischen Eliten gewünscht und gesteuert werde und Zuwanderer „niemals zum Volk gehören“ dürften.

5. Sein Heimatbegriff grenzt niemanden aus

Wer agierte als strammerer Populist? Wer biederte sich im Wahlkampf ungenierter an? Ein hartes Rennen: Norbert Hofer machte aus seiner Kandidatur als FPÖ-Mann nie ein Hehl, Van der Bellen versuchte, seine elf Jahre als Grünen-Chef vergessen zu machen, und trat als „Unabhängiger“ an. Auch sonst galt manches Geschwätz von gestern nichts mehr: „Als kleiner Bub hatte ich natürlich eine Lederhose und später sogar eine Knickerbocker (…) Heute käme es mir nicht mehr in den Sinn, mich auf diese Art zu verkleiden“, schreibt Van der Bellen in seiner Autobiografie – und hielt es im Wahlkampf dann doch für opportun, sich einen Trachtenjanker zuzulegen (fadenscheinige Begründung: „ein sehr praktisches Kleidungsstück“). Almöhi Van der Bellen vor kitschiger Heimatästhetik, das ist eine Wahlkampfästhetik, die man nicht goutieren muss. Eine lässliche Sünde jedoch, gemessen an Hofer-Untergriffen wie jenem, er kenne keine muslimischen Pflegekräfte in Österreich.

6. Er pflegt kein autoritäres Amtsverständnis

Der Bundespräsident gilt gemeinhin als moralischer Zwischenrufer ohne besondere Machtbefugnisse. Doch nach dem Wortlaut der Verfassung kann er die Verhältnisse im Land regelrecht auf den Kopf stellen. Der frühere Präsident des Verwaltungsgerichtshofs, Clemens Jabloner, hatte dazu schon vor einigen Jahren festgestellt: „Mit vier aufeinanderfolgenden Entschließungsanträgen kann der österreichische Bundespräsident die Republik in eine andere Lage bringen. Dafür müsste er nur mit der ersten Entschließung die gesamte Bundesregierung entlassen, mit der zweiten eine ihm genehme Person als Bundeskanzler bestellen, mit der dritten auf Vorschlag dieses Bundeskanzlers die übrigen Bundesminister ernennen und mit der vierten auf Vorschlag dieser neuen Bundesregierung die Auflösung des Nationalrats verfügen.“ Entschließungen des Bundespräsidenten sind sofort wirksam. Jederzeit kann der Bundespräsident auch vier Wochen lang mit Notverordnungen regieren. Dafür braucht er nur ein willfähriges Kabinett und eine Situation, in welcher der Nationalrat nicht tagt oder nicht in der Lage oder willens ist zusammenzutreten. Van der Bellen trat im Wahlkampf für die Einschränkung der Rechte des Bundespräsidenten ein.

Nobert Hofer dagegen kündigte an, er werde die Regierung entlassen, wenn sie seiner Ansicht nach eine falsche Politik betreibe. Auch seine Bemerkung „Sie werden sich noch wundern, was alles geht“ ist in dieser Hinsicht beunruhigend. Bisher wurden die verfassungsmäßigen Rechte des Bundespräsidenten noch nie voll ausgeschöpft – man nennt das Realverfassung. Doch es gibt kein totes Recht. Wer in der Hofburg sitzt, kann es nutzen, wenn er will.

7. Er denkt nach, bevor er spricht … und das oft sehr lange

Seit Mai 1951, seit der Bundespräsident vom Volk direkt gewählt wird, übten insgesamt 17.841 Tage lang SPÖ-Kandidaten das Amt aus – und 6575 Tage ÖVP-Bewerber. Ein Grüner wäre ein Novum, nicht nur in Österreich: Nur Lettland verfügt mit Raimonds Vējonis über ein Öko-Staatsoberhaupt, als Chef der Union der Grünen und Bauern steht der allerdings deutlich rechts der Mitte. „Sie haben das Establishment hinter sich, ich das Volk“, argumentierte FPÖ-Kandidat Norbert Hofer. Von Alt-Bundespräsident Heinz Fischer über Austropopper Rainhard Fendrich bis hin zu ehemaligen ÖVP-Landeshauptleuten wie Salzburgs Franz Schausberger warb ein großer Teil der wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Prominenz für Van der Bellen. Zum politischen Establishment zählen die Grünen in Österreich allerdings nur bedingt, wurden sie doch als Protestbewegung gegen die Allmacht der ehemaligen Großparteien SPÖ und ÖVP gegründet. In etliche Landesregierungen haben sie es mittlerweile geschafft, in die Bundesregierung – im Gegensatz zur FPÖ – noch nie.

Van der Bellen selbst begann als klassischer Quereinsteiger mit 50 Jahren seine politische Karriere. Mit manchen politischen Ritualen fremdelt er bis heute: „Ich wollte niemandem auf die Nerven gehen“, beschreibt er seine Aversion, im Straßenwahlkampf Fremde anzusprechen. Ihm gelang das seltene Kunststück, weniger für seine Aussagen berühmt zu werden als für die ausgedehnten Pausen dazwischen. Bis zu diesem Wahlkampf hatte sich der Ökonom als Anti-Politiker Respekt erarbeitet, etwa durch seine unorthodoxen Angewohnheit, Fragen zu beantworten und auf Argumente einzugehen. Van der Bellen selbst schilderte seine Weigerung, sich dem gängigen Politsprech anzupassen, in seiner Autobiografie so: „In meinen Anfangszeiten als Bundessprecher der Grünen wollte man mich dazu erziehen, mich auf vier Botschaften zu konzentrieren, die ich bei einem Live-Interview anzubringen hätte. Im Taxi auf dem Weg zum ORF-Küniglberg ist mir die vierte Botschaft schon nicht mehr eingefallen.“

Christa   Zöchling

Christa Zöchling