Herr Bundespräsident: Einer dieser beiden wird das Amt übernehmen

Van der Bellen vs. Hofer: Immer wieder sonntags

Am 2. Oktober wählen die Österreicher einen neuen Bundespräsidenten - und dann wird das Votum hoffentlich gelten. Bis dahin stehen Kandidaten und Bürger vor dem gleichen Problem: Wie erträgt man den gleichen Wahlkampf zwei Mal?

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Manche Dinge kann man nicht delegieren, das weiß Michael Häupl. Hin und wieder muss der Chef also persönlich in den Ring steigen. Ab 11. September werden die Wiener ihren Bürgermeister deshalb noch öfter sehen als gewöhnlich. Häupls Konterfei wird auf Plakaten in den öffentlichen Verkehrsmitteln und auf den City Lights der Werbefirma Gewista prangen -selbstverständlich in Kombination mit einem griffigen Zitat des Stadtoberhaupts. Den genauen Wortlaut des Häupl-Sagers will die SPÖ-Wien noch nicht verraten. Aber die Leute werden sich auskennen, so viel ist sicher.

Es wäre eigentlich nicht der Rede wert, wenn sich ein Politiker an die Bürger wendet, um für ein Anliegen zu werben. Häupls kleine Plakatkampagne unterscheidet sich aber in einem wesentlichen Punkt von den üblichen Aktivitäten dieser Art: Ausnahmsweise soll nicht die eigene Partei davon profitieren, sondern ein politischer Gegner.

In der zweiten Auflage der Stichwahl zum Bundespräsidenten wird die SPÖ den ehemaligen Grünen-Chef ganz offiziell unterstützen

Alexander Van der Bellen heißt der Glückliche. In der zweiten Auflage der Stichwahl zum Bundespräsidenten wird die SPÖ den ehemaligen Grünen-Chef ganz offiziell unterstützen. Wobei "ganz offiziell" auch wieder nicht stimmt. "Wir wollen nicht die gesamte SPÖ vereinnahmen", sagt Lisa Fuchs, Kommunikationschefin der Wiener Genossen. "Deshalb wird es Wahlempfehlungen einiger Funktionäre und die Plakate mit dem Bürgermeister geben." Außerdem werde bei den Mitgliedern natürlich dafür geworben, unbedingt zur Wahl zu gehen, sagt Fuchs. Auch andere Landesparteien der SPÖ haben angekündigt, sich aktiv zu beteiligen. Wer immer unter den Funktionären Lust hat, für Van der Bellen zu laufen, möge das gerne tun, heißt es.

Die erste Stichwahl musste Van der Bellen noch ohne Schützenhilfe aus der Kanzlerpartei bewältigen. Dass die SPÖ diesmal mitmischt, wird den Kandidaten freuen. Es ist auch von einem neutralen Standpunkt aus positiv zu sehen. Immerhin kommt damit ein neuer Aspekt in den Wahlkampf, und das kann nun wirklich nicht schaden. Das Publikum hat sich ein wenig Abwechslung redlich verdient.

Noch nie in der Geschichte Österreichs war es so mühsam, einen Wahlsieger zu ermitteln

Am 2. Oktober wird heuer bereits der dritte Versuch unternommen, das höchste Amt der Republik zu besetzen. Noch nie in der Geschichte Österreichs war es so mühsam, einen Wahlsieger zu ermitteln. Diverse Vorgeplänkel inklusive dauert die Suche nach einem Nachfolger für Heinz Fischer nun schon ein Dreivierteljahr. Das ist nicht mehr allzu weit entfernt von amerikanischen Vorwahlprozeduren. Selbst Menschen, die sich von Berufs wegen für die Materie interessieren müssen, kämpfen aktuell gegen ein Motivationstief. Fritz Plasser etwa, Politikwissenschafter und ein durchaus leidenschaftlicher Vertreter seiner Zunft, gesteht auf profil-Anfrage erhebliche Anlaufschwierigkeiten. "Wenn man das so salopp sagen darf: Es fällt mir etwas schwer, in die Gänge zu kommen."

Schuld daran sei wohl eine gewisse "Déjà-vu-Atmosphäre", sagt der Professor: "Es gibt das Gefühl, da kommt ein Film, den man schon gesehen hat." Bekanntlich hatten sich die Österreicher bereits einen neuen Bundespräsidenten ausgesucht. Am 23. Mai, einen Tag nach Stichwahl Nummer eins, stand fest, dass Alexander Van der Bellen 50,3 Prozent der Stimmen erhalten hatte. Norbert Hofer war am Wahlabend noch vorne gelegen; die erst später ausgezählten Briefwahlstimmen gaben am Ende den Ausschlag. Noch bevor der Sieger erste Umzugskartons in der Hofburg abladen konnte, legte die FPÖ Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof ein. Wiederum drei Wochen später ordnete das Höchstgericht die Neuaustragung an. Die Kandidaten müssen, wie beim "Mensch ärgere dich nicht", zurück an den Start.

Als Begründung gaben die Höchstrichter nicht etwa an, dass es bei der Wahl zu Schummeleien gekommen sei. Es ließ sich nur nicht ausschließen, dass Schummeleien theoretisch möglich gewesen wären. Van der Bellen wurde also rechtmäßig gewählt, er hätte aber - ebenso wie sein Kontrahent Hofer - von Unrechtmäßigkeiten profitieren können, wenn es welche gegeben hätte. Mit dem Abstand von fast zwei Monaten klingt das auch für manche Experten nicht mehr so logisch wie einst. Der Verfassungsrechtler Heinz Mayer, im Juli noch begeistert über die Konsequenz der Kollegen, hat mittlerweile seine Meinung komplett geändert. In einem Gastkommentar für die Wiener Stadtzeitung "Falter" sprach er jüngst von einer "klaren Fehlentscheidung". Der Gerichtshof habe "den Boden der Verfassung verlassen".

Der Film 'Und täglich grüßt das Murmeltier' war auch deshalb so erfolgreich, weil der Plot als erfrischend absurd galt

Vielleicht graut es Heinz Mayer einfach davor, dass demnächst schon wieder Werbematerial für Hofer und Van der Bellen aus den Briefkästen quellen wird und die Kandidaten landauf, landab über ihr voraussichtliches Verhalten nach einer allfälligen Neuwahl referieren müssen. Der Film "Und täglich grüßt das Murmeltier" war auch deshalb so erfolgreich, weil der Plot als erfrischend absurd galt. Das Leben liefert keine perfekten Doubletten. Dachten wir. Jetzt steht das Land vor der seltsamen Situation, dass eine wirklich wichtige Wahl bevorsteht, zu der selbst Journalisten mit Hauptfach Innenpolitik nur ein herzhaftes "Uff" einfällt.

Am 2. Oktober wird Geschichte geschrieben, so viel steht fest. Erstmals muss eine bundesweite Wahl wiederholt werden, erstmals wird der Sieger weder von der SPÖ noch von der ÖVP kommen, eventuell wird es wieder zu einer totalen Polarisierung der Republik kommen. Sehr spannend, eigentlich. Aber wie das so ist bei historischen Ereignissen: Die Zeitzeugen können ihre privilegierte Position mitunter nicht recht würdigen. Oft nimmt die Geschichte erst in der Rückschau Fahrt auf.

Die Wiener FPÖ befindet sich seit der Landtagswahl im Herbst 2015 praktisch im Dauerwahlkampf

Wenigstens die Freiheitlichen sollten happy sein. Immerhin bekamen sie ihren Willen und dürfen noch einmal auf die Eroberung der Hofburg hoffen. Einzelne Funktionäre müssen an ihrem Enthusiasmus aber wohl noch arbeiten. Anton Mahdalik etwa, Landesparteisekretär der FPÖ Wien, gab schon im Juli sein Missvergüngen zu Protokoll: "Es ist jetzt nicht so, dass jedermann den nächsten Wahlkampf herbeigewünscht hat. Von daher ist nicht die Welle durch die FPÖ gegangen", erklärte er zu Sommerbeginn. Mittlerweile sei es besser geworden, behauptet Mahdalik. "Und das sage ich nicht nur, weil ich es sagen muss." Auf die Frage nach dem Wahlkampfbeginn muss der Experte trotzdem erst einmal passen. "Sagen wir Anfang September", meint er dann -bevor ihm doch noch einfällt, dass es bereits ein fixes Datum für die Auftaktveranstaltung gibt: Samstag, 10. September, in Wels. "Das wird kurz und schmerzlos", freut sich Mahdalik.

Die Wiener FPÖ befindet sich seit der Landtagswahl im Herbst 2015 praktisch im Dauerwahlkampf. Kein Wunder, wenn der Elan irgendwann nachlässt. Vor der Bundespräsidentenwahl gilt es außerdem noch die Neuaustragung der Bezirksvertretungswahl im 2. Wiener Gemeindebezirk am 18. September zu orchestrieren. Auch diese Wiederholung geht auf einen Einspruch der FPÖ beim Verfassungsgerichtshof zurück. Mit dem Regelwerk der Demokratie nehmen es die Freiheitlichen derzeit besonders genau; jedenfalls dann, wenn sie ihr Wahlziel nicht erreicht haben.

Wie gewohnt lässt die FPÖ auf all ihren Plakaten rot-weiß-rote Fahnen wehen. Neuerdings ist die Partei damit sogar in guter Gesellschaft

Am Mittwoch präsentierte die FPÖ ihre Plakatkampagne für das Rennen um die Hofburg. Große Überraschungen wurden nicht geboten, dafür gab es noch eine Doublette. Einer der Slogans lautet: "Macht braucht Kontrolle". Exakt mit diesem Spruch war vor 24 Jahren Thomas Klestil in den Präsidentschaftswahlkampf gezogen. Dies sei kein Signal an die ÖVP-Wähler, erklärte Wahlkampfleiter Herbert Kickl, sondern ein Signal an den Hausverstand. Norbert Hofer sei ein "notwendiges Gegengewicht zum Machtkartell". Der Anwärter selbst war bei der Präsentation nicht anwesend. "Das ist sich zeitlich einfach nicht ausgegangen", sagte Kickl.

Wie gewohnt lässt die FPÖ auf all ihren Plakaten rot-weiß-rote Fahnen wehen. Neuerdings ist die Partei damit sogar in guter Gesellschaft. Einen Tag vor den Blauen hatte schon das Team Van der Bellen seine Werbeflächen präsentiert -ebenfalls fast durchwegs mit heimatlicher Beflaggung im Bildhintergrund. "Für das Ansehen Österreichs" möchte der Kandidat eintreten, und dabei "Vernünftig entscheiden". Auch wenn Van der Bellen als unabhängiger Bewerber antritt, ist das Fahnenmeer in Kombination mit einem ehemaligen Mitglied der Grünen gewöhnungsbedürftig. Gerade die Öko-Partei hatte und hat mit exzessiver Heimatliebe so ihre Schwierigkeiten.

Vor sieben Jahren, damals war Van der Bellen noch Parteichef, sorgten die Jungen Grünen für ein Skandälchen, weil sie in Anlehnung an die Hundekot-Kampagne der Wiener Stadtregierung einen Hund mit rot-weiß-roter Tafel im Maul plakatiert hatten. "Nimm dein Flaggerl für dein Gaggerl", stand darauf zu lesen. Lothar Lockl, Wahlkampfmanager von Van der Bellen, hält die neue Linie nur für konsequent. "Die Fahne steht für den Heimatbegriff, auf den wir ja schon bisher gesetzt haben." Außerdem sollte mittlerweile wirklich jeder verstanden haben, dass der Professor nicht für die Grünen antrete. "Er bekommt Unterstützung aus fast allen politischen Lagern, das ist eine sehr breite Bewegung geworden. Van der Bellen ist der rot-weiß-rote Kandidat."

Beide Teams stehen nun vor der Frage, wie man noch einmal mit denselben Personen um dasselbe Amt rittern und dabei trotzdem irgendwie frisch und unverbraucht wirken soll

Beide Teams stehen nun vor der Frage, wie man noch einmal mit denselben Personen um dasselbe Amt rittern und dabei trotzdem irgendwie frisch und unverbraucht wirken soll. Über die Sommermonate ergab es sich, dass weder Alexander Van der Bellen noch Norbert Hofer Lust auf große Auftritte hatten. Es entstand also wenigstens eine kleine Pause im Plot. Hofer ließ sich von FPÖ-TV bei diversen Ausflügen begleiten (etwa zum Hühnerfest "Gackern" in St. Andrä oder zum Rollstuhl-Tennisturnier in Groß-Siegharts) und meldete sich vereinzelt mit Aussendungen zu Wort. Van der Bellen tourte durch das Land und kennt nun alle Volksbelustigungen, die mit der hiesigen Lebensmittelwirtschaft zu tun haben, vom Marillenfest in der Wachau bis zu den Eisenstädter Genusstagen.

Besonders gelohnt hat sich aus seiner Sicht eine Wandertour mit Journalisten im Kaunertal. Dass der 72-jährige für sein Amt nicht fit genug sei, behauptet seither keiner mehr: "Immerhin kann sich der Mann auf 2000 Metern Seehöhe eine Chesterfield reinziehen, ohne danach ins Schnaufen zu kommen", schrieb die "Kronen Zeitung" beeindruckt.

Ab kommender Woche geht es dann wieder los mit Fernsehauftritten und Interviews - mal zu zweit, mal solo. Die FPÖ wird auf ihre bewährten Hits wie Kriminalität, Zuwanderung und EU-Kritik setzen, während Van der Bellen vorrangig die Amtsführung des Präsidenten thematisieren möchte. Den völlig unerwarteten Knaller kann der Wiener Anton Mahdalik zumindest für seinen Einflussbereich ausschließen. "Wir fahren seit zehn Jahren ungefähr die gleiche Linie. Und über den Sommer haben wir nicht das Rad neu erfunden", sagt er.

Wenn man so will, war die erste Stichwahl am 22. Mai die größte Meinungsumfrage, die je vor einem Urnengang gemacht wurde

Wenn man so will, war die erste Stichwahl am 22. Mai die größte Meinungsumfrage, die je vor einem Urnengang gemacht wurde. Weil das Ergebnis so knapp ausfiel, ist den Demoskopen damit aber nicht sonderlich gedient. Sollte die Wahlbeteiligung auch nur ein klein wenig sinken, kann es ganz anders aussehen. Derzeit halten sich fast alle Experten mit Prognosen zurück. Nur das Boulevardblatt "Österreich" veröffentlicht regelmäßige Fieberkurven -mit teilweise bemerkenswerten Ergebnissen.

Laut einer Gallup-Umfrage für "Österreich" komme Van der Bellen derzeit auf 42,5 bis 51,5 Prozent, Hofer liege zwischen 48,5 und 57,5, stand da vor ein paar Tagen. Klingt nach einer Neuigkeit, ist aber genau die Art von Recherche, die jeder Laie auf der Liegewiese eines durchschnittlichen Badeteichs erledigen kann. Schwankungsbreiten von neun Prozentpunkten pro Kandidat sind, unter uns, die Telefonkosten der Gallup-Mitarbeiter nicht wert.

Der Meinungsforscher Wolfgang Bachmayer bewies jüngst Mut, als er im "Kurier" zu Protokoll gab, Alexander Van der Bellen habe "die deutlich schlechteren Karten". Bachmayers Begründung: Van der Bellen habe in der ersten Stichwahl viele geborgte Stimmen von Wechselwählern bekommen. Diese seien schwerer noch einmal zu mobilisieren als die mehrheitlich überzeugten Hofer-Fans. Günther Ogris vom Sora-Institut kann dieser Analyse wenig abgewinnen. "Unsere Daten zeigen derzeit weder eine sinkende Wahlbeteiligung noch ein deutlich anderes Ergebnis als beim letzten Mal."

Lange streiten können die Experten auch darüber, ob die jüngsten Terroranschläge Norbert Hofer nützen (weil er das Thema Sicherheit besetzt), ob der in Asylfragen großzügige Van der Bellen davon profitiert, dass derzeit weniger Flüchtlinge kommen, oder ob all das vielleicht überhaupt keine Rolle spielt, weil die Bürger ihre Entscheidung ohnehin längst getroffen haben. Am Abend des 2. Oktober wird es eine Antwort auf diese Fragen geben -falls es wieder so knapp wird wie beim ersten Versuch, vielleicht auch erst am Montag. Wenn die Auszählung der Briefwahlstimmen dieses Mal besonders sorgfältig vonstatten geht, könnte es sogar Dienstag werden. Aber dann ist Schluss. Hoffentlich.

Rosemarie Schwaiger