"Ihr seid Lügner und Hunde!"

Nach der Großrazzia rücken die radikalen Islamisten enger zusammen

Islamisten. Nach der Großrazzia rücken die radikalen Islamisten enger zusammen

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Vor dem Gebet in der Moschee in der Venediger Au in Wien war am vergangenen Freitag die Hölle los. Die Hölle und das Paradies, das ist unter streng orthodoxen Muslimen ein stehender Begriff. Die Hölle, das sind die anderen, die Nicht-Gläubigen, die Falsch-Gläubigen. Die Hölle, das sind in diesen Tagen der Staat, die Medien, die Gesellschaft.

In der Nacht zuvor, um vier Uhr morgens, war einer der ihren, Mirsad O.,
besser bekannt unter seinem Predigernamen Ebu Tejma, verhaftet worden.
Es war eine von langer Hand geplante Polizeiaktion. Gebetsräume, Wohnungen und Autos wurden nach Propagandaschriften, Daten und Hinweisen auf Geldflüsse durchsucht, Computer beschlagnahmt. 13 Personen wurden verhaftet, weitere 20 zu Einvernahmen abgeführt: Die Verdächtigen sind mehrheitlich türkischer Herkunft, aber auch Bosnier, Serben, Tschetschenen, Mazedonier und Österreicher befinden sich darunter. Den Männern wird die Bildung einer terroristischen Vereinigung vorgeworfen; sie sollen unter anderem junge Aktivisten für die IS-Terrormiliz in Syrien und im Irak angeworben haben.

Verfassungsschützer aus der Steiermark, Oberösterreich und Wien hatten den Schlag gegen die Salafistenszene unter Einsatzführung des Bundesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung vorbereitet.

Ebu Tejma, der Prediger in der „Altun-Alem“-Moschee, war den Behörden nicht unbekannt. Vor einem Jahr schon hatte er mehrere salafistische Prediger aus Deutschland nach Wien eingeladen. Offiziell war es um eine Spendensammlung für Syrien gegangen, inoffiziell wohl auch um die Koranverteilungsaktion „Lies“, die salafistischen Gruppierungen in Deutschland ein großes Medienecho und angeblich auch großen Zulauf gebracht hatte. Sie war dann auch in Österreich durchgeführt worden. Es ist nicht verboten, den Koran unter die Leute zu bringen, doch der Verfassungsschutz hatte die Organisatoren schon länger auf dem Radar. Auch die Verbindung einzelner bosnischer Muslime in Österreich mit einem bosnischen Dorf in der Nähe von Brcko, in dem Salafisten das Dorfleben beherrschen.

Die Moschee in der Venediger Au ist von außen kaum als solche zu erkennen. Es handelt sich um ein Kellerlokal. Als profil am vergangenen Freitag mit den Besuchern reden wollte, herrschte eine äußerst aggressive Stimmung. Als der ORF vor einem Jahr dort mit einem Kamerateam aufgetaucht war, hatte sich dem Redakteur ein stämmiger junger Mann mit Pistolenhalfter in den Weg gestellt.

"Ihr seid Lügner und Hunde!"
Am vergangenen Freitag tat einer der Männer bloß so, als sei er bewaffnet. Er fuhr mit seiner Rechten in die Jackentasche und richtete sie gegen uns. „Ihr seid Lügner und Hunde!“, war zu hören: „Wir machen weiter. Wir lassen uns nicht abhalten. Ebu Tejma ist unschuldig. Ein wahrer Prophet wird immer verkannt.“ Es waren wohl 100 Männer, die an diesem Tag in das Souterrain hinunterstiegen.

Ebu Tejma? Den habe man schon ein paar Wochen lang nicht mehr hier gesehen. „Weiß nix“, sagen die meisten. Oder: „Ein lieber Mensch, ein echter Muslim, ein Bruder, überhaupt nicht radikal.“

"Du kannst ins Paradies kommen"
„Sie sind in der Nacht gekommen, haben die Türen eingetreten und die Brüder mitgenommen, nur weil sie Salafisten sind. Die Kinder haben geschrien vor Angst, und die Frauen weinten“, sagt einer voll Zorn. Der Mann ist noch jung. Nach religiöser Vorschrift ist er in weite Hosen gekleidet, die weit über den Knöcheln enden, um die rituelle Waschung vor dem Gebet praktikabler zu machen. Die meisten hier tragen lange Bärte, die auch seitlich wuchern und das Gesicht einrahmen.

„Du kannst auch ins Paradies kommen“, umwirbt ein älterer Mann den profil-Fotografen, der einen ähnlichen Bart trägt: „Du musst dafür allerdings schon etwas tun.“

Einige haben Male an der Stirn, die durch exzessives Beten entstehen, wenn mit dem Kopf der Teppich berührt wird. Einige sind im blauen Overall gekommen, vermutlich direkt von ihrer Arbeitsstelle am Bau. Zwei, drei Männer tragen die Arbeitsjacken eines Wiener Dachdeckerunternehmens. Ein paar der Männer führen Kleinkinder an der Hand, auch Buben im Volksschulalter sind dabei. Frauen ist der Eintritt hier verboten.

Die Aktion des österreichischen Verfassungsschutzes ging auf parallel geführte Ermittlungen in Bosnien-Herzegowina zurück. Im September hatte in Sarajevo und Umgebung eine Hundertschaft von Polizisten mehr als ein Dutzend Salafistenlokale gestürmt, welche der bosnische Nachrichtendienst Sipa Monate lang oberserviert und abgehört hatte. In Sarajevo und anderen Orten wurden 16 Verdächtige abgeführt, unter ihnen Bilal B., eine international vernetzte Führungsfigur der bosnischen Salafisten. Der bärtige Hassprediger hatte Osama bin Laden als Märtyrer gepriesen und gefordert, Nicht-Muslime mit einer eigenen Steuer zu belegen; außerdem verteidigte er die Enthauptung der IS-Geisel James Foley. In den vergangenen Jahren war B. quer durch Europa gezogen. Er soll auch in Österreich um Kämpfer für die Terrormiliz IS geworben haben. Zuletzt soll er in Norditalien unterwegs gewesen sein, um junge Männer zu rekrutieren. Er wurde auf seinem Bauernhof im westbosnischen Buzim, wo er mit vier Frauen, 16 Kindern und einer wechselnden Schar von Adoranten lebte, festgenommen. Vor seiner Berufung zum militanten Gotteskrieger hatte B. in einer Folkband Akkordeon gespielt.

"Große Zahl von Waffen und militärische Ausrüstung"
Das Nachrichtenmagazin „Slobodna Bosna“ widmete der „Operation Damaskus“ eine Titelgeschichte über Strukturen und Verbindungen des IS-Terrorismus. Laut Sipa-Sprecherin Kristina Jozic waren den Fahndern „eine große Zahl von Waffen und militärische Ausrüstung“ in die Hände gefallen. Vor zwei Wochen setzte die bosnische Polizei mit Razzien quer durch das Land nach und nahm weitere elf mutmaßliche Terror-Verdächtige fest.

Teile der traditionell weltoffenen und gemäßigten Muslime Bosniens waren im Krieg von 1992 bis 1995 durch arabische Söldner radikalisiert worden. Einige der missionarischen Eiferer waren im Land geblieben und hatten Dörfer gegründet, um dort eine „wahre“ islamische Lebensweise zu pflegen. Wie der Verfassungsschutzbericht 2013 des österreichischen Innenministeriums festhält, gediehen in diesen Dörfern abgeschottete Milieus und islamistische Subkulturen, die religiöse Extremisten aus anderen Ländern anzogen – auch aus Österreich.

"Ein geistiger Brandstifter"
Der verhaftete Prediger Ebu Tejma stammt selbst aus dem serbischen Sandschak und stand in den vergangenen zwei Jahren in regem Austausch mit salafistischen Predigern und ehemaligen Mudschaheddin-Kämpfern in Bosnien. Nach Meinung von Experten gilt er als einer der Köpfe der radikalen Szene, „ein geistiger Brandstifter“, wie die Islamexpertin Claudia Dantschke bei einem Vortrag in Wien sagte. Auf YouTube-Videos lehrte er die jungen Menschen, dass es die individuelle Pflicht eines Muslim sei, in den Dschihad zu ziehen, wenn ein islamischer Staat von Ungläubigen angegriffen werde. In diesem Fall müsse man nicht einmal die Eltern um Erlaubnis bitten, denn auch diese unterlägen dieser Pflicht, selbst Frauen. In einem älteren Video, angefertigt anlässlich des Todes von Osama bin Laden, verhöhnte Ebu Tejma die westliche Welt, Juden und andere „Kuffar“ (Ungläubige): „Sie haben schon verloren, sie wissen es nur noch nicht. Seine Idee lebt. Er hat uns beigebracht: Wehrt euch!“

In der Frage, ob Muslime wählen gehen dürfen, wird in sozialen Netzwerken auf Ebu Tejma und den Hausprediger der „Altun-Alem“-Moschee, Shaik Adem, verwiesen, die das ablehnen sollen.

In der „Altun-Alem“ soll sich auch der Wiener Dschihadist Firas H. aufgehalten haben. Das postete jedenfalls der 19-Jährige. Firas H. befindet sich seit dem Frühjahr 2014 bei der IS in Syrien oder im
Nordirak und warb auf Facebook mit brutalen Fotos für die Teilnahme am Kampf. Im September stellte er das Foto jenes Polizisten ins Netz, der ihm einst den Reisepass weggenommen hatte, versehen mit der Aufforderung: „Ihr wisst, was zu tun ist, haha.“ Seither ist es still geworden um ihn. Vielleicht ist er in den Kämpfen umgekommen. Die meisten europäischen Dschihadisten werden nach Beobachtung des Terrorexperten Thomas Tartsch als Selbstmordattentäter eingesetzt.

Rund um zwei Grazer Moscheen waren in den vergangenen Monaten mehrere Vereinsobleute und Besucher vom Verfassungsschutz einvernommen worden. Einige wurden festgenommen und wieder freigelassen. In Bosnien-Herzegowina sind nach dem ersten Schlag im September neben B. nur noch vier Männer in Haft. Es wird sich zeigen, ob die Aktion in Österreich eine größere Nachhaltigkeit haben wird. Nach Auskunft aus Ermittlerkreisen sei die „Suppe etwas dünn“.

Christa   Zöchling

Christa Zöchling