Neos-Geschäftsführer Feri Thierry

Neos: Das Superwahljahr 2015 entscheidet über die Existenz der Partei

Neos: Das Superwahljahr 2015 entscheidet über die Existenz der Partei

Drucken

Schriftgröße

Seine jüngst angemeldete Indian Police Scout, Baujahr 1927, will Günther Lederhilger, Jahrgang 1961, regelmäßig ausfahren, auch wenn der Motorradfan als neuer Vizebürgermeister von Kumberg bei Graz demnächst viel zu tun bekommt – zusätzlich zu seinem Ein-Mann-Büro für Ziviltechnik. Bei den steirischen Gemeinderatswahlen am 22. März erzielte Spitzenkandidat Lederhilger mit 15,7 Prozent das landesweit beste Ergebnis für die NEOS, eroberte drei Mandate und ließ sogar SPÖ und Grüne hinter sich. Doch Kumberg war ein statistischer Ausreißer nach oben. Im Durchschnitt erreichten die NEOS in der Steiermark nur 3,3 Prozent und ziehen damit in nicht mehr als sechs Gemeinderäte ein – angepeilt hatten sie 15. Erfolg- und mandatslos blieb man unter anderem in Kapfenberg, Leoben, Leibnitz und Judenburg. Bei den heurigen Gemeinderatswahlen in Niederösterreich wurden durchschnittlich 4,2 Prozent erreicht, in Vorarlberg 5,2 Prozent und in Kärnten 3,8 Prozent.

Wir sind nach wie vor ein politisches Start-up-Unternehmen (Neos-Bundesgeschäftsführer Feri Thierry)

Bäume wachsen nicht in den Himmel, nur weil man sie umarmt. Nach ihrem sensationellen Start bei den Nationalratswahlen 2013 hatten die NEOS 2014 ein erstes Stelldichein mit der rauen innenpolitischen Realität. 2015 wird mit Landtagswahlen in Wien, Oberösterreich, der Steiermark und im Burgenland bereits zum Schicksalsjahr der Partei – wenn sie überhaupt eine ist.

„Wir sind nach wie vor ein politisches Start-up“, sagt Feri Thierry. Wie ein Start-up-Unternehmen sieht auch die NEOS-Zentrale („NEOSphäre“) in einem Dachgeschoß in der Wiener Neustiftgasse im siebten Bezirk aus: Tischfußball, Tischtennis, pinke Kleiderbügel, pinke Lampen. Von hier aus hatten Parteichef Matthias Strolz und seine Mitstreiter ihre Kampagne gestartet – intelligent durchdesignt von der Wahl der Parteifarbe über die inhaltliche Positionierung bis zur Medienarbeit. Thierry war von Anfang an dabei. Wie Strolz arbeitete er zuvor als selbstständiger Consulter. Und wie bei Strolz war sein politischer Bezugspunkt die ÖVP. Heute ist Thierry Bundesgeschäftsführer der Partei. Wollen die NEOS den Wandel von einer Neigungsgruppe ambitionierter Politneulinge zur ernsthaften liberalen Partei schaffen, muss Thierrys wissen, was er tut: „Mein Job besteht darin, Probleme zu lösen.“ Und die werden größer, je komplexer die Partei wird. Strolz: „Wir haben als Team begonnen. Jetzt sind wir eine Organisation. Da verändern sich Kommunikation, Hierarchien und Entscheidungsmechanismen.“

Die Mühen der Ebene

Partei bedeutet Strukturen. Die pinken Landesorganisationen wurden rasch aufgebaut. Die wahre Herausforderung liegt in der Fläche. Bei den Gemeinderatswahlen in Vorarlberg – der Heimat des Parteichefs – kandidierten die NEOS nur in vier Gemeinden. Im steirischen Kumberg beobachtete Günther Lederhilger ein Jahr lang die NEOS, studierte ihre Inhalte, besuchte Veranstaltungen. Zu Weihnachten 2013 schickte er Matthias Strolz eines Abends ein Mail. Um drei Uhr früh bekam er eine Antwort samt Kontaktadressen.

Wesentlich für den Erfolg, sagt Lederhilger, war sein in Kumberg allseits bekannter Mitstreiter Erhard Eibisberger, die Nummer zwei auf der pinken Liste. Der Softwareentwickler war jahrelang Kapellmeister des örtlichen Marktmusikvereins. Im Wahlkampf setzte man auf Mundpropaganda. Lederhilger: „Wir erzählten den Leuten, wer wir NEOS sind und was wir wollen, und die erzählten es weiter.“ Auf Hausbesuche wurde verzichtet.

„Wo NEOS-Kandidaten lokal gut vernetzt, ist es natürlich leichter“, sagt Thierry. Wie alle Neueinsteiger wurde auch Lederhilger auf Herz und Nieren geprüft. Strolz: „Ein NEOS-Gemeindekandidat mit fragwürdigen Ansichten kann die Arbeit von 50 anderen entwerten.“

Viele Bewerber wollten für ihr Engagement eine Mandatszusage (Feri Thierry)

Vor allem in Kärnten galt das Interesse potenzieller NEOS-Politiker weniger den programmatischen Inhalten als den persönlichen Vorteilen. „Viele Bewerber wollten für ihr Engagement eine Mandatszusage“, sagt Thierry. Und solche können die NEOS schon aus statutarischen Gründen nicht bieten: Kandidaten müssen sich einem mehrstufigen Vorwahlsystem stellen.

Parteiübertritte samt Mandatstransfer, wie vergangenen Freitag vom grünen Wiener Gemeinderat Senol Akkilic mit seinem Wechsel zur SPÖ praktiziert, lehnt man ab – obwohl ein entsprechender Vorstandsbeschluss im Vorjahr auf die Probe gestellt wurde: Laut profil-Informationen hatte das – sich vom Team Stronach gerade abspaltende – Team Niederösterreich um Landesrätin Elisabeth Kaufmann-Bruckberger und Landtags-Klubobmann Ernest Gabmann den NEOS den Übertritt ihrer Mandatare angetragen – inklusive Partei- und Klubförderungen. Die pinke Parteiführung lehnte das seltsame Angebot postwendend ab.

Die mauen Ergebnisse bei den Gemeinderatswahlen erklären die NEOS mit alten Argumenten: Lokale Wahlen würden eben von lokalen Themen beeinflusst und seien mit Landtagswahlen nicht vergleichbar. Am 31. Mai steht das NEOS-Politikkonzept in der Steiermark und im Burgenland zur Abstimmung. Während die Pinken in der Steiermark bei fünf bis sechs Prozent liegen, erscheint der Einzug in den Landtag in Eisenstadt derzeit als illusorisch. Zudem haben die Spitzenkandidaten in der Steiermark, im Burgenland und in Oberösterreich – wo am 27. September Landtagswahlen stattfinden – das gleiche Problem: ihren niedrigen Bekanntheitsgrad. Je prominenter ein Politiker, desto geringer dessen Abhängigkeit von der Partei: Erwin Pröll verzichtete im Landtagswahlkampf 2013 in Niederösterreich komplett auf das ÖVP-Logo. Bei No-Names wie den NEOS-Kandidaten muss dagegen die Stärke der Marke die Schwäche der Personen kompensieren.

Markenkern einer Partei ist das Programm. Weil das kaum jemand liest, braucht eine Partei eine große Erzählung. Das Narrativ der NEOS ist die politische Erneuerung der erstarrten Republik Österreich. In den kommenden Monaten will Strolz diese große pinke Geschichte wieder stärker kommunizieren. Erst unlängst wurde er bei einem Vortrag vor einem Lions-Club in Graz wieder einmal gefragt, „wofür die NEOS überhaupt stehen“. Das schmerze dann doch, sagt Strolz.

Sprunghafte Sympathisanten

Der Parteichef nahm sich in den vergangenen Wochen deutlich zurück. Der Wirbel um seine Kasperliaden im Vorjahr – eine Ode an die Kastanie in der „Kronen Zeitung“, ein Bademantel-Auftritt zum 80. Geburtstag von Udo Jürgens – setzten ihm durchaus zu. Und die von der Parteijugend ausgelöste scharfe öffentliche Diskussion um die komplette Liberalisierung von Cannabis brachte die gesamte Partei unter Druck. Wo genau gegenüber potenziellen Wählern die Grenzen zwischen Mut und Dummheit, Prinzipientreue und Pragmatismus, klarer Kante und inhaltlicher Geschmeidigkeit verlaufen, muss die pubertierende Partei noch lernen.

Zumal die pinken Sympathisanten zu Sprunghaftigkeit neigen. Die parteiinternen Analysen der bisherigen Wahlen zeigten, dass die NEOS nicht mit Stammwählern rechnen können, sondern ihr Elektorat austauschten. In den profil- Umfragen des Meinungsforschungsinstituts Unique research liegen sie bundesweit stabil bei acht Prozent. Die gefühlte Modernisierung der ÖVP nach der Übernahme durch den neuen Parteichef Reinhold Mitterlehner schadete der Partei zumindest in den Umfragen nicht. Bei der Nationalratswahl 2013 kam ein Drittel der pinken Wähler von der Volkspartei – die sich die Schwarzen wieder schnappen wollen. So erließ das ÖVP-Generalsekretariat an alle Mandatare die Order, öffentlich nicht von den „NEOS“, sondern von der „NEOS-Partei“ zu sprechen, um das frische Image der neuen Mitbewerber zumindest terminologisch anzukratzen.

In Wien matchen sich ÖVP und NEOS bei den heurigen Gemeinderatswahlen. Die pinke Spitzenkandidatin Beate Meinl-Reisinger gibt sieben Prozent als Wahlziel an. Eine Niederlage in der Bundeshauptstadt wäre ein „Dämpfer“, sagt Matthias Strolz. Tatsächlich könnte sie bereits der Anfang vom Ende der NEOS sein. Bei der Nationalratswahl 2014 erzielte die Partei in Wien mehr als ein Viertel ihrer gesamten Stimmen.

Wie die Bundespartei bietet auch Meinl-Reisinger auf ihrer Website maximale Transparenz der Parteifinanzen. So gaben die Wiener NEOS im Februar 23,26 Euro für Kaffee, 19,99 Euro für die Anschaffung eines Zeitungsständers und 9,22 Euro unter dem Buchhaltungsposten „WC-Papier, Küchentücher“ aus.

Gernot   Bauer

Gernot Bauer

ist Innenpolitik-Redakteur.