SPÖ vs. ÖVP: Die Parteiakademie-Direktoren im Streitgespräch

Warum die SPÖ eine Kampfgemeinschaft und trotzdem nicht Syriza ist. Wie die ÖVP wieder mehrheitsfähig und Sebastian Kurz Ehrenobmann wird. Karl Duffek und Dietmar Halper, Direktoren der Parteiakademien von SPÖ und ÖVP, im Gespräch.

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MODERATION: GERNOT BAUER, EVA LINSINGER

profil: Herr Duffek, was gefällt Ihnen an der ÖVP? Karl Duffek: Die Volkspartei hat aus der Geschichte gelernt. In der Ersten Republik haben beide Parteien Fehler gemacht, vielleicht in unterschiedlichem Ausmaß. Wir hatten zwei Faschismen. Nach 1945 ein politisches demokratisches System zu formen, war eine große Leistung - von der ÖVP und von uns. Dietmar Halper: Mir imponiert an der SPÖ, dass sie sich immer noch als Kampfgemeinschaft versteht. Die politische DNA als Kämpferin für die Arbeiter ist noch spürbar. Die ÖVP ist von Geburt an eher eine Integrationspartei, die den Interessensausgleich schon innerhalb der Partei sucht. Duffek: Und manchmal sogar findet. Halper: Sehr oft findet. Manche mögen sich über unsere Teilorganisationen wie Wirtschafts- oder Bauernbund ärgern, wenn diese zu sehr auf Eigeninteressen setzen. Gelingt aber der innerparteiliche Ausgleich unterschiedlicher Interessen, nützt das dem ganzen Land. Duffek: Die ÖVP kann sich nicht mehr allein auf Bauern und Beamte konzentrieren, genauso wenig die SPÖ nur mehr auf ihre Stammklientel. Es gibt keine geschlossenen Klasseninteressen mehr, falls es sie überhaupt je gab. Wir dürfen in der SPÖ nicht der Versuchung erliegen, zu glauben, wir seien uns in allem einig. Wir sind es nicht. Halper: SPÖ und ÖVP sind nach wie vor Catch-all-Parteien, die breite Wählerschichten ansprechen wollen. Die Kunst liegt darin, die eigenen Werte dabei nicht zu verwässern. Duffek: Das ist gar nicht so schwer. Die Sozialdemokratie steht für Gleichheit, Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität. Letztere wird ja jetzt auch von der ÖVP entdeckt. Halper: Solidarität wurde bei uns durch die christliche Soziallehre seit jeher gelebt. Duffek: Die Grundfrage der SPÖ ist der soziale Ausgleich. Und diese müssen wir immer neu stellen und beantworten. Halper: Der soziale Ausgleich ist kein exklusives Anliegen der SPÖ. Die öko-soziale Marktwirtschaft der ÖVP bedeutet Balance von Ökologie, Ökonomie und sozialer Gerechtigkeit. Duffek: Zentrale Werte wie Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit finden sich bei euch und bei uns. Wir interpretieren sie vielleicht anders.

profil: Ist die SPÖ eine linke Partei? Halper: Sie ist keine klassische linke Partei, mehr eine Mitte-links-Partei. Duffek: Der kubanische Botschafter sagte mir unlängst, aus seiner Sicht sei die SPÖ der griechischen Syriza wesentlich näher als so manche traditionelle sozialdemokratische Partei. Das fand ich interessant, habe ich aber strikt verneint. Richtig ist, dass manche sozialdemokratischen Parteien wie die PASOK in Griechenland sich selbst diskreditiert haben. Und der französische Staatspräsident François Hollande versprach im Wahlkampf Dinge, die er jetzt nicht realisieren kann. Das gleiche Problem hat Syriza nun in Griechenland, daher ist sie ja auch so erratisch.

profil: Und wo steht aus Sicht der SPÖ die ÖVP? Duffek: Die ÖVP ist eine Mitte-rechts-Partei und konservativ im besten Sinn. Halper: Politische Kategorien sind für die Wähler uninteressant geworden. Früher wählte man noch milieubedingt nach dem Lebensumfeld. Heute stimmen die Wähler für jene Partei, die etwas für sie tut.

Die Chancengleichheit, von der die ÖVP spricht, ist ein eher nebuloser Begriff. (Karl Duffek - SPÖ)

profil: Die Debatte um die Steuerreform hat doch eine klare Links-rechts-Kategorisierung gezeigt. Die SPÖ ist für Vermögenssteuern, die ÖVP dagegen. Halper: Die ÖVP steht für Leistung. Duffek: Alfred Gusenbauer sprach explizit von der solidarischen Hochleistungsgesellschaft. Und auch Werner Faymann wird sich den Leistungsbegriff nicht von der ÖVP absprechen lassen. Halper: Man darf aber ein wenig sticheln, dass die SPÖ-Ideen zur Umverteilung wenig mit dem Leistungsgedanken zu tun haben. Duffek: Die Frage ist, wie groß die Differenzierung in einer Gesellschaft sein darf. Absolute Gleichmacherei hemmt eine Gesellschaft. Aber Spaltungen sind auch nicht produktiv. Unser funktionierender Sozialstaat ist vor allem eine Errungenschaft der Sozialdemokratie. Und deswegen sind wir sensibel, wenn hier eine Erosion droht. Halper: Mein Zugang ist fundamental anders. Ich sehe diese Spaltung nicht. Wir als ÖVP wollen eine Gesellschaft, in der jeder die gleichen Chancen hat, aber selbst auch Verantwortung dafür trägt. Duffek: Darin besteht ja der Irrtum, nämlich zu glauben, dass es Gleichheit gibt. Ausgangspunkt der sozialdemokratischen Politik ist die Ungleichheit, die wir bekämpfen wollen. Halper: Menschen sind unterschiedlich, was ihre Begabungen, aber auch, was ihre sozialen Voraussetzungen angeht. Daher müssen wir gleiche Startvoraussetzungen schaffen. Aber wir können nicht allen gleiche Ergebnisse versprechen. Duffek: Das sage ich auch nicht. Aber der Unterschied zwischen unseren Parteien besteht darin, dass wir die Beseitigung sozialer Unterschiede als zentrales politisches Ziel definieren. Die Chancengleichheit, von der die ÖVP spricht, ist ein eher nebuloser Begriff. Halper: Wir spannen einen Rahmen für bürgerliche Sozialpolitik mit vier Punkten: Leistung muss sich lohnen. Wir lassen niemanden zurück. Hilfe soll Hilfe zur Selbsthilfe sein. Vor dem Verteilen kommt das Erarbeiten. Sarkastisch könnte ich sagen, die ÖVP ist besser im Erarbeiten und die SPÖ besser im Verteilen.

profil: Was beide Parteien eint, ist die Erosion bei Wahlen. SPÖ und ÖVP haben seit 1945 die Hälfte ihrer Wähler verloren. Was ist schiefgegangen? Halper: Die Probleme sind komplexer geworden, und die Wähler haben mehr politische Angebote. Duffek: Die Große Koalition war lange eine Erfolgsstory. Vielleicht haben beide Parteien ihre Dominanz zu intensiv aufrechterhalten. Wer sich dabei ausgeschlossen fühlte, organisierte sich selbst. Die Folge war das Erstarken der FPÖ und das Aufkommen der Grünen. Das haben ÖVP und SPÖ mitverschuldet. Halper: Ich glaube, dass das Auftauchen der Grünen keine Schuld der SPÖ oder ÖVP war. Neue Parteien werden immer an Bruchlinien der Gesellschaft gegründet - wobei die Grünen heute auch schon eine alte Partei sind. Duffek: Eine ziemlich alte sogar. Halper: Aber damals war die Entwicklung neu: Nach den Jahren des Wiederaufbaus tauchte die Frage des Ressourcenverbrauchs auf, Probleme wie der saure Regen. Auf diese neuen Fragen hatten die etablierten Parteien keine Antworten.

profil: Für den Aufstieg der FPÖ taugt diese Bruchlinientheorie nicht. Halper: Die FPÖ war seit ihrer Gründung antiklerikal und antikommunistisch und hob Mitte der 1980er-Jahre mit Jörg Haider ab. Die Bruchlinie der Gesellschaft waren damals Auswüchse, die durch die dauerhafte Regierung von SPÖ und ÖVP entstanden sind. Duffek: Sagen wir es doch offen: Privilegien waren das Hauptthema damals, das vergessen wir heute oft.

profil: Und durch welche Bruchlinie wurden die NEOS begünstigt? Halper: Die Frage können Politikwissenschafter in 20 Jahren klären, wenn wir wissen, ob die NEOS eine dauerhafte Partei sind oder eine Eintagsfliege. Auch der Pathologe weiß nachher immer alles besser. Viele neue Sterne erweisen sich als Sternschnuppen. Die Piratenpartei etwa ist rasch verglüht, weil es keine entsprechende Bruchlinie in der Gesellschaft gab. Dasselbe gilt auch für das Team Stronach. All diese Anti-Establishment-Parteien verschwinden, sobald sie nach den Spielregeln des Parlaments agieren müssen und selbst Establishment sind. Duffek: Wir haben kein genuin liberales Lager in Österreich, was natürlich mit der Vernichtung des jüdischen Bürgertums zu tun hat. Die entscheidende Frage wird sein: Welche Definition von Liberalismus geben sich die NEOS? Damals beim Liberalen Forum gab es die Wirtschaftsliberalen und jene, die Kreuze aus den Klassenzimmern entfernen wollten, und das passte nie zusammen. Eine liberale Partei hat auf Dauer nur eine Chance, wenn sie ein eindeutiges Profil hat.

Politik verzaubert immer noch. (Dietmar Halper - ÖVP)

profil: Die NEOS nehmen der ÖVP durchaus Stimmen weg. Ganz so locker kann das die Volkspartei nicht abtun. Halper: Auf Dauer ist es für eine Partei zu wenig, zu sagen: Wir sind anders. Da muss schon etwas mehr an Substanz nachkommen.

profil: Sie sind ja beide auch für Pflege und Ausbildung des Politikernachwuchses zuständig. Wo ist der Sebastian Kurz der SPÖ? Hat Politik als Beruf an Attraktivität verloren? Duffek: Politik als Beruf ist eine wirkliche Herausforderung. Wenn man ununterbrochen unter öffentlicher Beobachtung steht, wenn alles, was man sagt und macht, zum Thema wird - wer tut sich das an? So super bezahlt ist die Politik auch wieder nicht. Diese Dauerpräsenz in der Öffentlichkeit, und das beginnt schon beim Bürgermeister am Land, das schreckt natürlich viele ab. Halper: Politik verzaubert immer noch. Wir versuchen, junge Menschen zu inspirieren und zu begeistern. Wer einmal ein Kamingespräch mit Wolfgang Schüssel im kleinen Kreis erlebt hat, den lässt das Virus Politik ein Leben lang nicht mehr los. Das große Problem ist die Durchlässigkeit in der Politik. Wer eine Karriere in der Privatwirtschaft begonnen hat, ist mit 35 kaum mehr für die Politik zu gewinnen. Duffek: Und das Problem der Durchlässigkeit wiederholt sich beim Ausstieg aus der Politik.

profil: Alfred Gusenbauer und Michael Spindelegger arbeiten für Oligarchen. Gibt es keine Jobs für Ex-Politiker? Halper: Das ist ein echtes Problem. Wenn jemand zehn Jahre im Nationalrat war und mit 45 aus der Politik aussteigen möchte, ist er für die Privatwirtschaft stigmatisiert. Und ich frage mich, warum. Politiker haben große Netzwerke, kommunikative und andere Fähigkeiten, sie können organisieren und managen. Eigentlich müsste sich jedes Unternehmen alle zehn Finger abschlecken, so jemanden zu kriegen. Tatsächlich gibt es aber extrem große Berührungsängste, Ex-Politiker aufzunehmen. Duffek: Es hat natürlich auch damit zu tun, dass Spitzenpolitiker immer jünger werden. Wie alt war Kreisky, als er Kanzler wurde? Fast 60 Jahre. Da stellte sich die Frage des Danach nicht mehr, fast wie beim Papst. Früher ging man nach der Politik halt in die Pension, das ist heute nicht mehr so.

Ich bin und bleibe ein Tony-Blair-Fan. (Karl Duffek - SPÖ)

profil: Sie schreiben derzeit beide an neuen Parteiprogrammen. Brauchen Parteien im 21. Jahrhundert noch Programme? Duffek: Sicher. Ich bin und bleibe ein Tony-Blair-Fan: Der Dritte Weg war die vorläufig letzte große Erzählung der Sozialdemokratie. Das zeigt, was Programme bewirken können. Die Sozialdemokratie steht dabei immer unter höheren Anforderungen als Mitte-rechts-Parteien, weil der programmatische Anspruch größer ist. Halper: Ich glaube eher, dass ihr ideologisch einen viel weiteren Weg gehen musstet. Ihr hattet in den 1970er-Jahren noch den Klassenkampf und die Abschaffung des Privateigentums im Programm. Duffek: Es stimmt schon, dass wir von einer sehr planwirtschaftlichen Orientierung im Aktionsprogramm 1947 und im ersten Nachkriegsprogramm 1958 große Wege zurückgelegt haben. Für die ÖVP, die erst spät mit programmatischen Arbeiten begonnen hat, war nicht wirklich ein Weg zurückzulegen. Ich würde das nur nicht so positiv sehen wie du: Ihr habt euch kaum verändert. Was soll daran gut sein? Halper: Parteiprogramme müssen Richtung machen. Unser letztes Parteiprogramm stammt aus dem Jahr 1995, eures aus 1998. Wir müssen beide nach 20 Jahren das Parteiprogramm in die Mitte der Gesellschaft bringen. Das darf auch ein bisschen eine Zumutung für die Funktionäre sein. Duffek: Eigentlich ist die Diskussion über das Parteiprogramm spannender als das Programm selbst. Bei uns gibt es dabei etwa eine Gesprächsrunde zwischen Bundeskanzler Werner Faymann und jungen Aktivisten, die nur aufgrund der Programmdebatte so lebendig ist. Beim Programmschreiben selbst muss man die richtige Distanz zur Tagespolitik haben: Nicht zu sehr day-to-day, aber ich kann auch nicht irgendetwas schreiben, was mit der täglichen Politik der SPÖ nichts zu hat. Wenn ich etwa die Weltrevolution ausrufe, werden mich alle fragen, ob ich noch ganz dicht in der Birne bin.

Haxelbeißen mag ich nicht. (Dietmar Halper - ÖVP)

profil: Was nervt Sie denn an der SPÖ, Herr Halper? Halper: Das können wir gerne bei einem Glas Wein diskutieren.

profil: Daran soll's nicht scheitern. Halper: Im Ernst: Haxelbeißen mag ich nicht.

profil: Wird es in 70 Jahren Ihre Parteien noch geben? Duffek: Uns hier wird es nicht mehr geben, aber die SPÖ mit ziemlicher Sicherheit noch. Halper: Auch die ÖVP wird es noch geben. Und Sebastian Kurz wird dann ja erst 98 Jahre alt und Ehrenparteiobmann sein.

Parteiakademiker

Ihre Parteichefs Werner Faymann und Reinhold Mitterlehner sind im politischen Tagesgeschäft gefangen, sie werden fürs Nachdenken in aller Ruhe bezahlt: Karl Duffek, 53, leitet seit 1999 das Karl-Renner-Institut der SPÖ. Dietmar Halper, 46, ist seit 2008 Direktor der Politischen Akademie der ÖVP. In beiden Denkfabriken wird derzeit an neuen Parteiprogrammen gearbeitet. Daneben dienen die Kaderschmieden der Ausund Weiterbildung von Funktionären und Mandatsträgern. Die öffentliche Hand fördert die Parteiakademien aller sechs Parlamentsfraktionen insgesamt mit jährlich 10,5 Millionen Euro.

Eva   Linsinger

Eva Linsinger

Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin