FPÖ-Chef Heinz Christian Strache, ÖVP-Klubchef Reinhold Lopatka und SPÖ-Klubobmann Andreas Schieder bei einem TV-Einstieg zur Bundespräsidentenwahl

Der Schmiedl war’s

Auf der ganzen Welt werden Parteien für das gewählt, was sie versprochen oder umgesetzt haben. Nur in Österreich ist das angeblich anders, wundert sich Rosemarie Schwaiger.

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Schmied und Schmiedl sind zur Zeit praktisch ausgebucht. Was am Wahltag passiert ist, lässt sich offenbar am besten mithilfe dieser zwei Gestalten aus der österreichischen Polit-Mythologie erklären: "Es hat sich wieder einmal bewahrheitet, dass die Wähler den Schmied wählen und nicht den Schmiedl“, sagte die frühere SPÖ-Staatssekretärin und pensionierte Siemens-Managerin Brigitte Ederer. Ganz ähnlich äußerte sich der SPÖ-Europaabgeordnete Eugen Freund: "Die Menschen gehen eben nicht zum Schmiedl, sondern zum Schmied.“ Auch die politische Konkurrenz macht begeistert mit: "Da geht man eben zum Schmied und nicht zum Schmiedl“, analysierte Grünen-Chefin Eva Glawischnig den Bauchfleck der Kollegen. Zählt man die Zeitungskommentare dazu, in denen Schmied und Schmiedl ebenfalls als wichtiger Bestandteil der Argumentationskette dienten, kann man die österreichische Politik leicht für bestürzend eindimensional halten.

Soweit es die SPÖ betrifft, ist das gar nicht falsch.

Seit gut 30 Jahren definieren sich wichtige Teile der Partei vorwiegend über ihre Distanz zur FPÖ. Wann immer es eine Wahlniederlage zu verdauen galt, also oft, fanden sich Genossen, die das Debakel auf zu wenig Abstand von freiheitlichem Gedankengut zurückführten. Es sei kein Wunder, so die gängige These, wenn sich die Wähler diesfalls für den Chefideologen FPÖ (alias Schmied) und nicht für den Trittbrettfahrer SPÖ (vulgo Schmiedl) entschieden. Bei der Bundespräsidentenwahl habe sich das wieder einmal besonders deutlich gezeigt, meinen die Anhänger dieser Theorie. Erst vor ein paar Monaten war die SPÖ in der Asylpolitik auf eine harte Linie umgeschwenkt. Die Anhänger der strengen Gangart hätten deshalb umso enthemmter den FPÖ-Kandidaten Norbert Hofer gewählt, während die Fans offener Grenzen ins Lager von Alexander Van der Bellen ausgewandert seien. Für den SPÖ-Kandidaten konnte da nichts mehr übrig bleiben.

So weit die Hypothese. Bestechend logisch ist sie nicht. Zumal eine Mehrheit der Österreicher die neue Asylpolitik für deutlich vernünftiger hält als die vorherige. Belastbarer ist die Annahme, dass der Schwenk aus Sicht vieler Wähler einfach zu spät kam.

Gut geklaut ist ja immer noch besser als schlecht selber ausgedacht

Auf der ganzen Welt werden Parteien üblicherweise für das gewählt, was sie versprechen und/oder umgesetzt haben. Sollten Ideen der Opposition mit im Paket sein, gilt das gemeinhin nicht als Beinbruch. Gut geklaut ist ja immer noch besser als schlecht selber ausgedacht. Ein Problem ergibt sich erst dann, wenn eine große Zahl von Wählern der Opposition mehr glaubt als der Regierung. Und damit wären wir wieder in Österreich. Im Bemühen, den Cordon sanitaire um die FPÖ nur ja möglichst groß zu halten, galten zu viele Probleme für die Regierung insgesamt und die SPÖ im Besonderen lange als tabu. Sobald die FPÖ ein Thema als kampagnentauglich identifiziert hatte (meistens hatte es irgendetwas mit Ausländern zu tun), ließ sich darüber nicht mehr vernünftig debattieren. Es liegt auch an dieser Realitätsverweigerung, dass die Stimmung im Land derzeit so mies ist und die etablierte Politik von den Bürgern dermaßen geschnitten wird. Schönreden und Totschweigen sind keine Konzepte auf Dauer. Irgendwann lässt sich die Realität nicht mehr leugnen.

Zum Beispiel jene auf dem Arbeitsmarkt: Österreich war mit seiner niedrigen Arbeitslosigkeit lange Spitzenreiter innerhalb der EU. Mittlerweile reicht es auch in guten Monaten nur noch für Rang fünf - schon sehr weit hinter dem Klassenbesten Deutschland. Während in fast allen EU-Ländern die Arbeitslosenquote zuletzt sank, steigt sie in Österreich seit fünf Jahren kontinuierlich. Nur der warme Winter verhinderte, dass die Marke von 500.000 Menschen ohne Job schon im heurigen Februar geknackt wurde. Einerseits liegt das am schwachen Wirtschaftswachstum. Außerdem wird der kleine österreichische Markt mit der enormen Zuwanderung, hauptsächlich aus Osteuropa, nicht fertig.

Werner Muhm, Direktor der Arbeiterkammer Wien, hat diesen Umstand vor ein paar Monaten als erster hochrangiger SPÖ-Funktionär zum Thema gemacht. Weil auch die ÖVP den Gedankenaustausch verweigerte, gehörten die negativen Konsequenzen der EU-Osterweiterung bis dahin praktisch der FPÖ alleine. Mag sein, dass die Regierung nicht viel tun kann, um die Situation zu ändern. Und ganz bestimmt wüsste auch die FPÖ keine Lösung. Aber als Wähler würde man sich schon wohler fühlen, wenn man den Eindruck hätte, dass unter den gewählten Repräsentanten ein gewisser Realitätssinn herrschte. Stattdessen gab es Aussagen wie diese: "Die Freiheitlichen versuchen bei diesem Thema wieder einmal, durch Unwahrheiten billiges Kleingeld bei ihrem europa- und fremdenfeindlichen Klientel zu sammeln. Aber auch noch so häufiges Wiederholen macht die FPÖ-Gräuelpropaganda nicht wahrer.“ Gesagt hat das Sabine Oberhauser, derzeit Gesundheitsministerin, Ende November 2013 - kurz vor der Öffnung des Arbeitsmarkts für Rumänen und Bulgaren. Mittlerweile stellen die Rumänen die zweitgrößte Gruppe von Arbeitsmigranten aus der EU - und eine nennenswerte Gruppe unter den Arbeitslosen.

Mit Verständnis für diverse Ärgernisse durften die Bürger aber nicht rechnen

Die Ausländer sind seit Jahrzehnten so etwas wie das Reservat der FPÖ. Seit Jörg Haider das Thema Anfang der 1990er-Jahre für seine Partei entdeckt hatte, galt es bei seinen politischen Gegnern als Minenfeld, in das man besser keinen Fuß setzt. Währenddessen wurde Österreich zu einem Einwanderungsland - aber ohne Einwanderungskonzept. Um taugliche Richtlinien festzulegen, hätte man ja darüber reden müssen. Das wollten sich weder die SPÖ noch die ÖVP antun. In den vergangenen zehn Jahren wuchs die österreichische Bevölkerung deshalb weitgehend planlos um 450.000 Menschen - das entspricht der Einwohnerzahl eines kleineren Bundeslands und ist innerhalb Europas ein Spitzenwert. Selbst ohne permanente freiheitliche Anfeuerung gefiele das nicht jedem Einheimischen. Billiger Wohnraum ist in vielen Städten knapp geworden, in manchen Schulklassen wird Deutsch bloß noch von einer Minderheit gesprochen, und die Zuwanderer brachten nicht ausschließlich exportfähiges Brauchtum mit.

Mit Verständnis für diverse Ärgernisse durften die Bürger aber nicht rechnen. Der vielleicht bemerkenswerteste Satz in diesem Zusammenhang stammt von der Wiener Bildungsstadträtin Sandra Frauenberger. Nachdem eine vom Integrationsministerium (also nicht einmal von der FPÖ) in Auftrag gegebene Erhebung gröbere Mängel bei islamischen Kindergärten ergeben hatte, sagte sie: "Es gibt keine islamischen Kindergärten in Wien.“ Einen kurzen, aber heftigen Infight später einigte man sich darauf, dass dergleichen eventuell doch existiert. Eine richtige Studie soll jetzt klären, was in diesen Einrichtungen so alles los ist.

Die in den letzten Jahren stark gestiegene Kriminalität unter Ausländern war beiden Koalitionsparteien bisher keine große Aufmerksamkeit wert. Diesem Spezialthema hat sich so lange ausschließlich die FPÖ gewidmet, dass es für niemand anderen mehr etwas zu gewinnen gibt. Immerhin beschloss die Koalition letzte Woche eine Verschärfung des vor Kurzem erst reformierten Drogengesetzes. Der ungenierte Suchtgiftverkauf an der Wiener U6 war selbst für altgediente Polizisten zu frustrierend geworden.

Die FPÖ hat zu den positiven Errungenschaften wenig bis nichts beigetragen

Österreich ist nach wie vor ein gut funktionierendes Land mit einem der weltweit dichtesten Sozialsysteme. Das sollte man bei aller berechtigten Kritik an der versteinerten Großen Koalition nicht ganz vergessen. Die FPÖ hat zu den positiven Errungenschaften wenig bis nichts beigetragen - trägt aber einen großen Teil der Verantwortung für das vergiftete politische Klima. Umso seltsamer, dass ausgerechnet die Linksfraktion der SPÖ auf eine verquere Art andauernd Gratiswerbung für die blauen Rivalen betreibt. Am Mittwoch der Vorwoche hatten Mitglieder des Verbands Sozialistischer Studenten (VSStÖ) ein paar Dutzend Puppen vor den Parlamentseingang der SPÖ-Fraktion gelegt. Daneben stand ein Häuflein Aktivisten mit einem Transparent. "Genoss*in, geh nicht über Leichen. Das hält euch nicht über Wasser.“ Passanten konnten die Inszenierung auf den ersten Blick leicht für eine Demo von Abtreibungsgegnern halten. In der Tat sollten die blau, rosa und grün gekleideten Babypuppen tote Kinder symbolisieren - aber natürlich nicht die Opfer von Abtreibungen, sondern jene der sozialdemokratischen Asylpolitik. Es sei beschämend, erklärte VSStÖ-Vorsitzende Raffaela Tschernitz, dass die SPÖ nicht mit eigenen Lösungen aufwarte, sondern auf den schwarz-blauen Kurs aufspringe.

Werte Genoss*in: Das ist hirnverbrannt.

Rosemarie Schwaiger