Staatsschutzgesetz: Was SPÖ und ÖVP gestern beschlossen

Staatsschutzgesetz: Was SPÖ und ÖVP gestern beschlossen

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Nun ist es fix: In Zukunft gibt es in Österreich einen Staatsschutz. Das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) erhält weitreichende Überwachungskompetenzen – darf bei potenziellen Gefährdern einsehen, mit wem sie wann von wo telefoniert haben.

Im letzten Moment wurden aber auch noch Sicherheitsmechanismen im Gesetz festgeschrieben. Hier ein Überblick, was die Regierungsparteien gestern Abend im Nationalrat beschlossen:

Schutz von Journalisten und Rechtsanwälten: hinzugefügt.

Diesen Kritikpunkt hatte auch profil zuletzt aufgeworfen: Der frühere Gesetzesentwurf beinhaltete keinen dezidierten Schutz für einzelne Berufsgruppen wie Journalisten und Rechtsanwälte. Hier befürchteten auch Verfassungsjuristen wie Heinz Mayer, dass es leicht zu einem Missbrauch kommen könnte und dass sogar Handy-Standortdaten von Journalisten und Anwälten miterfasst werden können. Hier wird die Kritik erklärt. Die Regierung schwächte dies noch ab. Im letzten Abänderungsantrag (PDF-Download) wurde nun festgehalten, dass Ärzte, Anwälte, Notare und Journalisten (sie sind allesamt berufliche Geheimnisträger) geschützt sind – es handelt sich um den selben Schutz wie in der Strafprozessordnung.

Hasspostings erlauben keine weitreichende Überwachung: hinzugefügt.

Im früheren Entwurf wäre es dem Verfassungsschutz bei jedem hetzerischen Internetposting erlaubt gewesen, weitreichende Überwachung durchzuführen. Die Verhältnismäßigkeit dieses Befugnis war umstritten – sogar der Verdacht, man könnte in Zukunft ein hetzerisches Posting schreiben, hätte womöglich bereits zur Überwachung führen können. Nun wurde dies deutlich eingeschränkt: Verhetzende Wortmeldungen werden nur dann zur Sache des Staatsschutzes, wenn sie auch zu Gewalt führen. Eine Ergänzung hierzu: Natürlich ist Verhetzung weiterhin verboten. Wer zu Gewalt gegen Ausländer, Angehörige von Religionsgruppen und beispielsweise Homosexuelle aufruft oder Hass gegen diese schürt, kann bis zu zwei Jahre Haft ernten (dies steht im Strafgesetzbuch). Auch in anderen Punkten hat die Regierung eingeengt, in welchen Fällen der Staatsschutz aktiv werden darf, so erlaubt die „Herabwürdigung des Staats und seiner Symbole“ ebenfalls noch keine Überwachung durch den Verfassungsschutz.

Nur wer „unmittelbar“ Kontakt mit Terrorverdächtigen hat, kommt auf die Liste des Verfassungsschutzes: hinzugefügt.

Nehmen wir an, jemand ist der Frisör eines Terrorismusverdächtigen und trifft diesen einmal im Monat zum Haareschneiden: Im früheren Gesetzesentwurf hätte dieser Frisör wohl bereits als „Kontaktperson“ dieses Terrorismusverdächtigen gegolten und wäre in der Datenbank des Verfassungsschutzes gelandet. Denn das Gesetz war anfangs hier nur sehr vage formuliert – als Kontaktperson galt jeder, der „nicht nur zufällig“ mit einer Person Kontakt hat (wenn man einen Termin beim Frisör ausmacht, ist das aber nicht zufällig). In der beschlossenen Fassung des Gesetzes wurde dies nun eingeschränkt: Man muss „unmittelbar und nicht nur zufällig“ mit der überwachten Person in Kontakt stehen. Dies führt zur Frage: Wer kontrolliert, ob die Verfassungsschützer all diese Vorgaben penibel einhalten und hier eine strenge Grenze ziehen? Dies sind der Rechtsschutzbeauftragte und seine zwei Stellvertreter.

Der Rechtsschutzbeauftragte als Kontrollgremium: teilweise nachgebessert.

Besonders umstritten beim Staatsschutzgesetz ist die Tatsache, dass kein Richter diese Überwachungsmaßnahmen durch den Verfassungsschutz genehmigt – sondern der Rechtsschutzbeauftragte im Innenministerium. Schrittweise wurde hier im Gesetz etwas nachgebessert: So muss sich der Rechtsschutzbeauftragte mit seinen beiden Stellvertretern beraten und „in grundsätzlichen Fragen der Aufgabenerfüllung eine einvernehmliche Vorgangsweise“ anstreben. Gestern kam noch eine weitere Ergänzung im Gesetz hinzu: Will der Verfassungsschutz sogenannte „V-Leute“ (bezahlte Polizeispitzel) einsetzen oder beispielsweise die Handy-Verbindungsdaten, mit wem ein Verdächtiger wann und wo telefonierte, einholen, muss es eine Mehrheit geben – wenn sich der Rechtsschutzbeauftragte und seine Stellvertreter beraten, müssen zwei von drei von ihnen dieser Maßnahme zustimmen.

Dies ist ein zusätzlicher Sicherheitsmechanismus, aber er ändert wenig an der Kernkritik der Opposition und Datenschützer. Sie plädieren weiterhin für einen Richter – da dessen Unabhängigkeit verfassungsrechtlich festgeschrieben ist. So werden Richter auf Lebenszeit ernannt. Sie sind unabsetzbar. Der Rechtsschutzbeauftragte und seine Stellvertreter werden für fünf Jahre bestimmt; danach kann die Bundesregierung auch jemand anderen nominieren.

Klar definierte Begründungspflichten für Ermittler: fehlen weiterhin.

Viele Kritikpunkte von Opposition und Datenschützern wurden letztlich nicht ausgeräumt. Ein Beispiel sei genannt: Das beschlossene Gesetz sieht nun mehrere Schutzmechanismen vor – etwa bei Journalisten und Rechtsanwälten. Doch wie wird sichergestellt, dass diese gesetzliche Vorgaben auch eingehalten werden? Die Datenschützer von AK Vorrat plädieren dafür, dass es stärkere Begründungspflichten geben muss: Es soll klar definiert werden, welche Informationen die Ermittler den Rechtsschutzbeauftragten zur Verfügung stellen müssen und wie sie ein Ansuchen auf Überwachung begründen müssen. Dies würde dem Rechtsschutzbeauftragten helfen, eine möglichst gut informierte Entscheidung zu treffen. Tatsächlich gibt es solche Begründungspflichten in anderen Bereichen bereits: Im Finanzstrafgesetz ist dies notwendig, wenn ein Finanzbeamte beispielsweise ein fremdes Konto einsehen will. Im Staatsschutzgesetz ist dies hingegen nicht so genau geregelt.

Fazit:

So weitreichend wie das Staatsschutzgesetz in seiner Erstfassung war, ist es nicht mehr. Die Regierungsparteien haben durchaus noch nachgebessert und sind auf einige Kritikpunkte eingegangen. Den Kritikern reicht dieses Gesetz aber noch nicht – da eben ihre grundsätzlichen Bedenken nicht ausgeräumt wurden. Sie halten den Rechtsschutzbeauftragten für ein zu vages und zu wenig unabhängiges Kontrollorgan. Auch die Befugnisse des Staatsschutzes gehen ihnen nach wie vor zu weit. Deswegen werden sie auch Klage gegen das Gesetz einreichen – der AK Vorrat hat dies bereits angekündigt: https://akvorrat.at/act.staatsschutz.at. Diese Klage ist äußerst, weil sie letztlich wohl juristisch klären wird, ob der Rechtsschutzbeauftragte ein ausreichendes Kontrollorgan ist. Kritik am Rechtsschutzbeauftragten gibt es schon lange.

Das Staatsschutzgesetz wirft aber auch eine ethische Frage auf: Ab wann soll der Staatsschutz einen Bürger beobachten dürfen? Das Gesetz erlaubt dem Verfassungsschutz, im Frühstadium eine Gefahrenanalyse zu machen – das BVT darf Menschen überwachen, die womöglich später einen „verfassungsgefährdenden Angriff“ planen.

Eine solche Prognose kann nicht nur für Terroristen, sondern auch für ideologische Bewegungen erstellt werden. Wie das profil in der aktuellen Ausgabe schildert, könnte die Überwachung zum Beispiel eine Gruppe wie die Identitären treffen:

„Diese Bewegung vertritt die Ansicht, dass ein „Großer Austausch“ stattfindet: Die österreichische Bevölkerung werde durch Einwanderer verdrängt. Die Identitären sehen sich als Verteidiger des Abendlands. Das Problem aus Sicht der Verfassungsschützer besteht darin, dass die Identitären sich im Gegensatz zu Neonazis nicht der Wiederbetätigung schuldig machen. Deswegen war es bisher schwer argumentierbar, warum der Verfassungsschutz diese Bewegung überwachen soll. Das wird sich wohl ändern. Mit dem neuen Staatsschutzgesetz können die Ermittler leichter solche Gruppierungen beobachten, denn „ideologisch motivierte“ Straftaten können auch ein „verfassungsgefährdender Angriff“ sein. Bereits der Verdacht auf eine zukünftige gefährliche Drohung kann zur Überwachung führen; es muss noch keine Straftat stattgefunden haben. Die Ermittler wollen hier frühzeitig observieren können – noch bevor sich einzelne Gruppierungen militarisieren oder beispielsweise Asylheime anzünden. Der Streit um dieses Gesetz zeigt, wie komplex Polizeiarbeit im 21. Jahrhundert geworden ist: Gefahren sollen erkannt werden, noch ehe sie existieren. Und gleichzeitig sollen Grundrechte möglichst geachtet werden. Einfach ist dieser Spagat aber nicht. Wer eine rechte Bewegung wie die Identitären unter Beobachtung stellen will, muss sich letztlich bewusst sein: Dieselben Überwachungsmethoden können auch für andere ideologische Gruppierungen eingesetzt werden – von linken Demonstranten bis hin zu Tierschützern.“

Ingrid   Brodnig

Ingrid Brodnig

ist Kolumnistin des Nachrichtenmagazin profil. Ihr Schwerpunkt ist die Digitalisierung und wie sich diese auf uns alle auswirkt.