Staatsschutzgesetz: Viel Überwachung, kaum Kontrolle

Staatsschutzgesetz: Viel Überwachung, kaum Kontrolle

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Die Lage ist ernst – andernfalls würden sich nicht Richter und Rechtsanwälte ebenso besorgt zu Wort melden wie die üblichen Verdächtigen aus der Zivilgesellschaft. Das vom Innenministerium vorgelegte Polizeiliche Staatsschutzgesetz (PStSG) ist ein umstrittenes Vorhaben, würde es doch das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung zu einer Art Superbehörde machen, die deutlich mehr Kompetenzen hätte als bisher und sich der rechtlichen Kontrolle entziehen könnte.

Worum geht es?

Die österreichischen Verfassungsschützer, allem voran das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung, werden aufgewertet und künftig als „Staatsschutzorgane“ bezeichnet. Sie dürfen noch früher ermitteln und potenzielle „Gefährder“ stärker überwachen als bisher.

Inwiefern kann der Verfassungsschutz rascher aktiv werden?

Bisher war meist ein „konkreter Tatverdacht“ notwendig. Künftig hingegen soll die „Bewertung der Wahrscheinlichkeit einer Gefährdung“ ausreichen, damit die Ermittler aktiv werden. Wann eine Bedrohung als „wahrscheinlich“ gilt, lässt Interpretationsspielraum offen. Das Innenministerium schreibt dazu lediglich: „Wahrscheinlich bedeutet dabei mehr als die bloße Möglichkeit oder Nichtausschließbarkeit eines Angriffes, aber weniger als mit Gewissheit zu erwarten.“

Bei welchen Bedrohungen darf sich der Verfassungsschutz einschalten?

In überraschend vielen Fällen, wobei das Gesetz diese nur verklausuliert nennt. Die Richtervereinigung hat nachgezählt und kommt auf „an die 100 Straftatbestände“, die Sache des Staatsschutzes sein sollen – von schweren Straftaten wie „Terrorismusfinanzierung“ oder „Hochverrat“ bis zu Delikten wie die „Verhinderung oder Störung einer Versammlung“. Sie alle können als „verfassungsgefährdende Angriffe“ eingestuft werden und Überwachung gestatten.

Welche Überwachungsmethoden sind erlaubt?

Die Liste ist lang. So dürfen die Verfassungsschützer etwa die Verkehrs-, Zugangs- und Standortdaten von Betroffenen einfordern – das inkludiert, wer wann mit wem telefoniert hat, eine SMS oder E-Mail sendete. Selbst bei der „wahrscheinlichen“ Störung einer Versammlung dürfen die Ermittler tief in die Privatsphäre von Verdächtigen eindringen. Erstmals gestattet das Gesetz auch den Einsatz sogenannter V-Leute im Verfassungsschutz, die als Spitzel im Milieu ermitteln.

Warum will das Innenministerium dieses Gesetz einführen?

Ein „Staatsschutz“ wurde schon im Regierungsprogramm angekündigt. Er soll eine Antwort auf moderne Bedrohungen sein – von Dschihadismus bis zu ausländischen Geheimdiensten. Dementsprechend sollen sich die Verfassungsschützer auch um „Cybersicherheit“ und die Abwehr fremder Nachrichtendienste kümmern. Laut Innenministerium würde nun auch klarer getrennt, was die Aufgabe der herkömmlichen Polizei und jene des Staatsschutzes ist, der präventiv ermitteln soll.

Klingt nachvollziehbar. Warum gibt es dann so viel Kritik?

Aus zwei Gründen: Weil überraschend viele Delikte als „verfassungsgefährdende Angriffe“ eingestuft werden können und dies nicht allen verhältnismäßig erscheint. So schreibt etwa die Richtervereinigung, dass „auch bei aufmerksamem Studium der Gesetzesvorschläge und der Erläuterungen nicht nachvollziehbar“ sei, „auf welchen Annahmen, Studien, Erfahrungswerten oder Ähnlichem die Definition des ,verfassungsgefährdenden Angriffs‘“ basiert. Überdies habe es keine ausreichende Folgenabschätzung des Gesetzes gegeben.

Zum Zweiten wird kritisiert, dass die Staatsschützer keinem Richter unterstehen. Für deren Kontrolle ist nur der Rechtschutzbeauftragte des Innenministeriums zuständig, der mit zwei juristischen Mitarbeitern schon genug Ermittlungen prüfen muss – im Vorjahr mehr als 2000 Fälle. Erschwerend kommt hinzu, dass die Verfassungsschützer dem Rechtsschutzbeauftragten die Auskunft sogar verweigern dürfen.

Der Verfassungsschutz darf sich der Kontrolle entziehen?

In § 16 Absatz 1 des Gesetzesentwurfs steht zuerst, dass der Rechtschutzbeauftragte „alle erforderlichen Auskünfte“ erhalten muss. Im nächsten Satz heißt es dann: „Dies gilt jedoch nicht für Auskünfte (…), deren Bekanntwerden die nationale Sicherheit oder die Sicherheit von Menschen gefährden würde.“ Wenn die Staatsschützer also behaupten, eine Einsicht würde die staatliche Sicherheit gefährden, können sie sich der Kontrolle entziehen. „Bei Verwirklichung dieses Gesetzesvorhabens besteht die Gefahr der Verselbstständigung des sogenannten ‚Staatsschutzes’“, warnt der Rechtsanwaltskammertag. Auch der Einsatz bezahlter V-Leute behagt den Rechtsanwälten nicht. Sie meinen: „Mit gegenständlichem Gesetz wird ein Inlandsgeheimdienst geschaffen.“

Wie geht es nun weiter?

Das Gesetz soll am 1. Jänner 2016 in Kraft treten und noch vor der parlamentarischen Sommerpause beschlossen werden. Vergangene Woche endete die Begutachtungsfrist dafür. Inwieweit die SPÖ den Entwurf des Koalitionspartners noch abändern will, muss sich erst zeigen. Grüne und NEOS lehnen ihn ab. Aktivisten vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung (AK Vorrat) starten nun eine Kampagne dagegen – eine passende Webadresse haben sie schon: www.staatsschutz.at.

Ingrid   Brodnig

Ingrid Brodnig

ist Kolumnistin des Nachrichtenmagazin profil. Ihr Schwerpunkt ist die Digitalisierung und wie sich diese auf uns alle auswirkt.