Wie ein südafrikanischer Fallschirmjäger Elitesoldat beim Bundesheer wurde

Soldat Gerber aus Pretoria war zwei Mal im Krieg: 1988 als südafrikanischer Fallschirmjäger in Angola. 2008 im Tschad - im Dienste des Bundesheers.

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In der Nacht des 18. August 2008 taten österreichische Elitesoldaten auf Eufor-Mission im Tschad, wofür sie ausgebildet wurden: Sie schossen. Scharf. Auf Menschen. Bei Modre, etwa 140 Kilometer nordöstlich der Provinzhauptstadt Abéché, waren ein Patrouillenteam des Jagdkommandos - sechs Mann auf zwei Puch-G-"Sandvipern“ - und ein begleitender Kraftfahr-Vizeleutnant auf Verwundete gestoßen. Sie seien überfallen worden, berichteten die Tschadis. Der Sanitäter des Jagdkommandotrupps leistete Erste Hilfe. Dann stieß das Team - inklusive Vizeleutnant - weiter vor und näherte sich den Banditen unbemerkt an. Wie es die Gefechtsregeln vorsahen, gaben sich die Soldaten mit "Eufor“-Schreien zu erkennen, worauf die Banditen sofort das Feuer aus ihren AK-47 eröffneten. Die mit Nachtsichtgeräten ausgerüsteten Jagdkämpfer schossen zurück. Danach entwickelte sich "ein heftiges Feuergefecht“, wie 2011 ein Insider gegenüber profil erzählte. Die Bundesheersoldaten blieben unverletzt. Die Gegner wurden laut dem Insider "fast aufgerieben“. Das Verteidigungsministerium dementiert heute wie damals, dass es unter den Angreifern Tote gegeben habe. Nach dem Vorfall hatte das zuständige Eufor-Kommando ("European Forces“) eine Untersuchungskommission entsandt, die den Östereichern bescheinigte, völlig korrekt gehandelt zu haben.

"Der Südafrikaner" ergreift die Initiative

Der Zwischenfall im Tschad-Einsatz war das heftigste Gefecht in der Geschichte des Bundesheers. Die beteiligten Jagdkommando-Soldaten waren zwar bestens gedrillt, ernsthafte Kampferfahrung hatte freilich keiner - bis auf "den Südafrikaner“. Einen Klarnamen gab es zu dem Mann nicht, als profil 2011 die Hintergründe des Einsatzes erstmals recherchierte. Im Gefecht soll er seine Kameraden positioniert und selbst die Initiative ergriffen haben.

"Der Südafrikaner“ heißt Gerhard Gerber, geboren 1969 in Windhoek im heutigen Namibia, aufgewachsen auf einer Farm nahe Pretoria, österreichischer Staatsbürger. Über das seinerzeitige Gefecht im Tschad will er nicht viel sagen. Alles sei professionell abgelaufen. Mangelnde Kampferfahrung seiner Kameraden sei "überhaupt kein Problem“ gewesen: "Sie haben gekämpft wie Veteranen. Als ob sie schon Dutzende Gefechte erlebt hätten.“

Die Buren und die Kampfeslust

Seit 2012 ist Gerber Zivilist. Dem Jagdkommando gehört er noch als Milizsoldat an. Er lebt mit seiner Frau in Niederösterreich. In seiner besten Zeit als Jagdkämpfer schaffte er über 30 Klimmzüge und 80 Liegestütze. "Man muss wissen, wann man Jüngeren das Feld überlassen muss“, sagt Gerber. Dem Sicherheitswesen ist er treu geblieben, nun als Privater auf Honorarbasis. Was das Bundesheer leisten könne, etwa das Jagdkommando, werde von Politik und Öffentlichkeit nicht genug gewürdigt, sagt Gerber. Das Heer gehe "vor die Hunde“. Und deswegen will er - für einen früheren Kommando-Soldaten eher ungewöhnlich - an die Öffentlichkeit. Gerber spricht mit leichtem, singenden Akzent. Seine Muttersprache ist Afrikaans. Er ist Bure. Und ziemlich stolz auf seine Herkunft. Seine Vorfahren seien 1750 aus dem Elsaß nach Afrika gekommen. Buren seien schon immer kampflustig gewesen, sagt er.

Ein Bundesheereinsatz im Ausland besteht aus Patrouille, Überwachung, Peacekeeping. Kampfaufträge sind nicht vorgesehen. Dagegen stehen Neutralität und Politik. Ausgerechnet der friedfertigste Verteidigungsminister der Zweiten Republik, Norbert Darabos, schickte das Heer 2008 in seinen gefährlichsten Einsatz. Gerber war zu dieser Zeit im Milizstand. Als ihn ein Jagdkommando-Kamerad über den Tschad-Einsatz informierte, meldete er sich zum Dienst.

Als junger Mann hatte er schon einmal in Afrika gekämpft. Ende der 1980er-Jahre in Angola. Dort herrschte seit 1975 Bürgerkrieg - unter intensiver Beteiligung der südafrikanischen Armee. Als Rekrut in einer Fallschirmjägereinheit musste auch der 18-jährige Gerber in den Krieg ziehen und blieb darin acht Monate lang. Gleich zu Beginn wurde sein gleichaltriger Gruppenkommandant, Steven, tödlich getroffen. "Er starb in meinen Armen“, sagt Gerber. Der Krieg macht junge Draufgänger wieder zu Buben: "Wir, die Jungen, haben fast alle geweint.“ Er selbst wurde später verletzt, als sein Truppentransporter auf eine Mine fuhr. Von der Verwundung blieben Splitter im Oberarm und Narben an den Rippen. Trauma habe er keines.

Master in Philosophie

Gerbers Vater arbeitete als Journalist. Die Familie zog öfter um. Seine Mutter war in den 1960er-Jahren als junge Frau von Niederösterreich nach Südafrika ausgewandert. Die Kinder erhielten auch die österreichische Staatsbürgerschaft. Nach dem Militärdienst studierte Gerber an der Universität Stellenbosch nahe Kapstadt, machte seinen Master in Philosophie.

Das Land befand sich bereits im Umbruch. 1992 ließ Präsident Frederik Willem de Klerk in einem Referendum über seine Reformpolitik abstimmen. Knapp 70 Prozent der Südafrikaner sprachen sich für deren Fortsetzung und damit das Ende der Apartheid aus. Auch Gerber votierte für de Klerks Reformkurs. Doch wie 100.000 andere Südafrikaner verließ er in den Jahren nach dem Ende der Apartheid das Land. Viele Buren gingen nach Australien und Neuseeland. Manche sogar nach Georgien. Gerber beschloss 1997, ins Heimatland seiner Mutter zu ziehen - Österreich. Seine südafrikanische Staatsbürgerschaft musste er zurücklegen. Die Wehrpflicht galt für ihn nicht mehr. Dennoch entschloss er sich, den Grundwehrdienst - als fast 30-Jähriger unter Teenagern - abzuleisten und meldete sich zum Jagdkommando. Von 66 Rekruten überstanden nur sechs die harte Ausbildung. Ihm hatte vor allem die Kälte zugesetzt.

Österreich sei seine Heimat, sagt Gerber. Etwa ein Mal im Jahr fährt er noch nach Südafrika. So sehr er wohl wusste, dass ein Unrechtssystem wie das Apartheid-Regime nicht haltbar war, so wenig scheint er überzeugt oder überzeugbar zu sein, dass es dem neuen, demokratisch verfassten Südafrika heute besser gehe.

Die Orks sind da und wir glauben, wir leben im Auenland

Wie jeder Berufssoldat denkt auch Gerber hierarchisch. Unten passt es ja, aber ganz oben, glaubt er, läuft auch in seiner zweiten Heimat etwas falsch. Die Regierung würde die Terrorgefahr unterschätzen. In dieser Situation beim Bundesheer zu sparen, sei ein Skandal. "Die Orks sind da“, sagt Gerber, "und wir glauben, wir leben im Auenland.“

Böse "Orks“ wie im "Herr der Ringe“ jagten Gerber und seine Kameraden auch am Balkan. In den 2000er-Jahren kam das Jagdkommando in Albanien, Bosnien und im Kosovo zum Einsatz (siehe profil 23/2013). Die Einheiten brachten Waffenschieberbanden auf, jagten örtliche Mafiosi, sicherten Flüchtlingscamps und wurden aktiv zur Suche nach Kriegsverbrechern eingesetzt. Gerber observierte als Mitglied eines Jagdkommando-Teams am Balkan monatelang eine Zielperson, bevor der Zugriff erfolgte. Mag der Rest der Truppe über mangelnde Ausrüstung klagen, die Spezialkräfte verfügen von Waffen über Fahrzeuge bis zu Kommunikationsgeräten über modernstes Gerät. Und das sollte im Notfall auch im Inland zum Einsatz kommen, glaubt Gerber: "Im Gegensatz zu Bankräubern sind Terroristen kämpfende Gegner. Dagegen muss man militärisch vorgehen.“

Mag sein, dass die Welt gefährlicher als nötig sieht, wer beruflich auf Gewalt spezialisiert ist. Wie andere ehemalige Jagdkommando-Soldaten arbeitet auch Gerber als Security Contractor für private Sicherheitsunternehmen. Mit durchaus exotischen Einsatzorten: Nach seiner Abrüstung 2012 verdiente er sein Geld auf Schiffen am Horn von Afrika. In Shorts und Flipflops, bewaffnet mit Sturmgewehr, schützte er Besatzung und Fracht vor somalischen Piraten. Im Vorjahr war Gerber auf Einsatz in Libyen, wo er den Schutz von EU-Delegationen organisierte. Im Irak oder in Afghanistan verdingte er sich - noch - nicht. Bert Nussbaumer ("ein guter Freund und Kamerad“) kannte er vom Bundesheer. Der Ex-Jagdkommando-Soldat war im November 2006 im Irak entführt und ermordet worden. Nussbaumer hatte für ein US-amerikanisches Sicherheitsunternehmen gearbeitet.

Kein Jagdkommando-Soldat will ein Rambo sein, sagt Gerber. Eine gewisse Aggressivität sei allerdings nötig. Angst hätte er im Einsatz nie verspürt, eher "Anspannung“. Sollte das Heer ihn noch einmal einberufen, wäre er bereit. Wobei ihm Einsätze in der Wüste oder im Dschungel mehr liegen als im Eis. Im Grundwehrdienst musste er in voller Montur samt großem Marschgepäck an einem Babylift am Semmering Skifahren lernen. Das Heer stellte einen Skilehrer. Kleinkinder überholten ihn links und rechts - immer noch besser als Orks auf Skiern.

Gernot   Bauer

Gernot Bauer

ist Innenpolitik-Redakteur.