Die Synagoge in Graz wurde am Freitag angegriffen

Synagogen-Anschlag: Der neue Antisemitismus von rechts und links

Die Anschläge auf die Jüdische Gemeinde in Graz sind Vorboten eines neuen Antisemitismus, einer gefährlichen Mischung aus rechten und linken Ideologien und Israelhass.

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Elie Rosen, 49 Jahre alt, ist nicht leicht aus der Fassung zu bringen. Ein österreichischer Jude, dessen Vorfahren dem Holocaust auf unterschiedlichen Wegen entkamen: durch Flucht nach Kolumbien, versteckt in einem Kloster, mit gefälschten Papieren und neuer Identität mitten im nationalsozialistischen Feindesland; staatenlos, illegal, rechtlos, dem rettenden Zufall ausgeliefert. Erfahrungen, die sich einbrennen über Generationen. Rosen wurde Jurist, war ein paar Jahre lang als Asylrichter am Bundesverwaltungsgericht tätig. Seit 2016 ist er selbstständig und für die kleine Israelitische Kultusgemeinde in der Steiermark, im niederösterreichischen Baden, für Mitglieder im Südburgenland und in Kärnten zuständig, für einen jüdischen Alltag, der ohne Zuwanderung nicht überleben wird. "Busse voller Juden" wünsche er sich, wenn er sich etwas wünschen dürfte, sagte Rosen einmal auf eine Journalistenfrage.

In der vergangenen Woche musste er wieder daran denken. Er hat geweint, sagt einer seiner Freunde.

Mittwoch vergangener Woche, an einem dieser Tage, an denen selbst in den Nachtstunden die Mauern heißen Atem ausströmen, machte sich jemand an der zum Kai gelegenen Seite der Grazer Synagoge zu schaffen. Kurz nach 23 Uhr-an der Überwachungskamera der Kultusgemeinde abzulesen, die freilich nur grobkörnige, schlechte Nachtbilder liefert-sprühte eine Gestalt den Satz: "Unsere Sprache und unser Land sind rote Linien" an die Fassade. Das danebenliegende Gemeindehaus wurde mit der Parole "Free palestin" (sic!) beschmiert. Nachtverkehr rauschte vorbei. Keiner hielt an.

Zwei Tage später, am Shabbat, etwas nach 23 Uhr, wurden an der anderen Seite der Synagoge, gegenüber einer Häuserfront, größere Zementbrocken gegen ein breites Synagogenfenster geschleudert. Es zerbrach in tausend Scherben. Weitere Fenster wurden beschädigt. Hatte niemand etwas gesehen oder gehört?

Rosen war mehr als beunruhigt. Einen Objektschutz, wie bei jüdischen Einrichtungen in Wien üblich, hatte er bis dahin nicht für notwendig gehalten. Doch dass sich die Stimmung änderte, der Israelhass zunahm und in der Mitte der Gesellschaft ankam, war ihm schon länger aufgefallen: Linke Pro-PLO-Aktivisten traten in Graz immer wieder gemeinsam mit Salafisten auf, eine steirische "Friedensplattform", die in Graz viele Anhänger hat, machte sich, in personeller Überschneidung mit einem migrantischen Verein, für die internationale Boykottbewegung gegen Israel (BDS) stark. Bei ihren Anti-Israel-Protesten waren auch schon Rechtsextreme mitmarschiert.

Vor einem Jahr war ein schwelender Konflikt Rosens mit dem emeritierten Universitätsprofessor, Völkerrechtler und ehemaligen Leiter des Grazer Menschenrechtsbeirats, Wolfgang Benedek, eskaliert, der die Grazer BDS-Aktivisten für "durchaus seriös" hält. Rosen hatte Benedeks Abberufung aus einer Arbeitsgruppe zum Thema Antisemitismus verlangt. "Einer, der Israel nicht mag-der nichts dabei findet, wenn Organisationen, die er unterstützt, auf ihrer Homepage posten, Israelis würden palästinensische Brunnen vergiften!-Das kennen wir doch. Das sind die alten antisemitischen Traditionen: 'Der Jude als Brunnenvergifter'-mit dem will ich nicht über Antisemitismus beraten", sagt Rosen. Zudem hatten ihm die vergangenen Monate gezeigt, dass Corona antisemitische Verschwörungstheorien befeuerte, sich auch bei Masken- und Impfgegnern allerlei vermischte und dort Parolen gegen "Rothschild" geschrien wurden. (wie zuletzt eine Kandidatin der Liste von Heinz-Christian Strache).

Rosen sah nicht nur die Grazer Synagoge ein zweites Mal geschändet-im Novemberpogrom 1938 war sie in Brand gesteckt und bis auf die Grundmauern zerstört worden-,er sah sich auch persönlich gemeint, seine Arbeit, seine Haltung. Es musste etwas geschehen.

Samstag vergangener Woche holte er einen Freund vom Bahnhof in Graz ab, um sich zu beraten, wie er weiter vorgehen solle. Als sie auf den Parkplatz einbiegen wollten, trieb sich jemand beim Tor herum. Aus den Augenwinkeln schien Rosen, der Unbekannte hielte einen Stein in der Hand. Rosen war aufgebracht. Kein Gedanke, dass dies gefährlich sein könne, stieg er aus dem Auto, um ihn zur Rede zu stellen. In Sekundenschnelle zog der Mann einen Prügel auf. "Ich sah Hass in den Augen, eine unglaubliche Aggression, die mich schnell in den Wagen zurückspringen ließ und alle Türen verriegeln", sagt Rosen. Der Unbekannte drosch von außen auf das Auto ein.

Samstagabend gegen 18 Uhr, kurz nach Sperre der Geschäfte. Die Sonne warf lange Strahlen auf den Gehsteig. Auf dem Kai herrschte reger Verkehr, Fußgänger und Radfahrer waren auf der Mur-Promenade unterwegs, passierten die Brücke. Eine junge Frau blieb stehen, hielt sich im Hintergrund und machte Handy-Fotos. Das erleichterte später die Fahndung.

"Es war riskant. Ich war so erpicht, eine weitere Serie zu verhindern, dass ich die Gefahr zur Seite schob. Dass der einen Knüppel rauszieht, damit hab ich nicht gerechnet. Das muss ich jetzt für mich evaluieren", sagt Rosen. Man merkt ihm den inneren Aufruhr an.

"Es fuhren Autos vorbei, die kurz anhielten und weiterfuhren. Mit der Zivilcourage ist es nicht weit her. Wenn ein paar Passanten stehen geblieben oder hergekommen wären, hätte man mehr machen können."

24 Stunden später wurde der mutmaßliche Täter von einer Polizeistreife entdeckt und festgenommen. Ein anerkannter Flüchtling, der 2014 aus Syrien nach Österreich gekommen war. Aus Ermittlerkreisen ist zu hören, er spräche relativ gut Deutsch und brüste sich seiner Taten. Schmierereien am Vereinslokal der Grazer LGBTQ-Aktivisten, an einer Kirche und an einem Bordell. Er lehne den Westen und seine Werte ab. Ein Asylaberkennungsverfahren ist im Laufen.

Mit dem neuen Antisemitismus, den Grauzonen zwischen Kritik an Israels Siedlungspolitik, ideologischem Israelhass und Auslöschungsfantasien, angereichert durch Nazi-Sprech und antiimperialistische Phrasen, kommen neue Aufgaben auf die öffentliche Debatte zu-und auf das Bildungssystem. Leicht wird das nicht. "Gegenseitiger Respekt kann nicht ohne Grenzen sein. Der Respekt vor dem Wertesystem eines anderen darf nach meinem Dafürhalten nicht so weit gehen, dass wir unser eigenes Wertesystem aushebeln",sagt Rosen.

"Vor dem Antisemitismus ist man nur auf dem Monde sicher", schrieb Hannah Arendt vor mehr als einem halben Jahrhundert. Sie scheint recht zu behalten. Die "Steirerkrone" musste nach kurzer Zeit die Kommentarfunktion unter ihren Berichten im Netz sperren, weil sich die Volksseele antisemitisch auskotzte.

Ein Redakteur der "Kleinen Zeitung" twitterte am Sonntag: "antisemitisch sind die parolen eher nicht".Rosen dazu: "Der Herr Redakteur verschließt sich der Tatsache, dass propalästinensische Parolen auf ein jüdisches Gebetshaus geschmiert wurden und nicht auf einen Würstelstand am Hauptplatz, oder meint er, dass der Täter nicht wusste, dass es die Synagoge war? Ich glaube, dieser Vergleich zeigt schon Dinge, die man totschweigen oder tabuisieren möchte."

Christa   Zöchling

Christa Zöchling