Träge Masse

Träge Masse: Mobilisieren für den Super-Wahl-Marathon

Parteien. Nach der Volksbefragung über die Wehrpflicht planen Parteimanager einen Retro-Wahlkampf

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Der schwierigste Gegner der SPÖ bei ihrer Berufsheer-Kampagne in Salzburg hieß Anton Holzer. Holzer ist als Rettungskommandant und Chef des Roten Kreuzes hoch angesehen im Land – umso wirksamer war sein Eintreten für die allgemeine Wehrpflicht. Dass er mit Landeshauptfrau Gabi Burgstaller verheiratet ist, schmälerte nicht unbedingt seine Glaubwürdigkeit.

Der liebste Testimonial-Geber der Berufsheer-Kampagne der SPÖ hieß Martin Bartenstein. Bartenstein war als Wirtschaftsminister der schwarz-blauen Koalition ein Feindbild der Roten und hatte nie ein Hehl daraus gemacht, lieber mit Freiheitlichen als mit Sozialdemokraten in einer Regierung zu sitzen. Dennoch wurden die SPÖ-Spin-Doktoren nicht müde, Bartensteins Sager aus einem „Format“-Interview im Jahr 2011, wonach „die militärischen Aufgaben heute nur von Profis und nicht von jungen Präsenzdienern bewältigt werden können“, immer wieder liebevoll zu zitieren.

Mögen die beiden Genannten bei politischen Wahlen parteidisziplinierter sein als bei einer Volksbefragung – die Zeiten, in denen die Gefolgschaft ihrer Partei durch dick und dünn nachtrottete, jeden Schwenk artig mitmachte und in der Wahlzelle reflexhaft das Kreuzl an die ewig gleiche Stelle setzte, sind vorbei. Heute scheren sogar Parteigranden und deren engste Anverwandte aus.

Lehren für den Herbst
Die Lehren aus der Volksbefragung sind für alle Beteiligten klar: Wer bei der Nationalratswahl im Herbst gewinnen will, muss wenigstens den eigenen Anhang mobilisieren. Das ist nicht einfach, denn immer mehr Wähler wechseln von Wahl zu Wahl die Partei: War der Anteil der Wechselwähler in den 1970er-Jahren noch deutlich unter zehn Prozent gelegen, stieg er bei den Nationalratswahlen 2008 auf 28 Prozent. Bei den Wahlen im kommenden Herbst dürfte jeder dritte Wähler eine andere Partei wählen als beim vorigen Mal, schätzen die Wahlforscher.

Nichts wird für die Wahlkampf-Nerds in der Kampagne 2013 so sein wie 2008:Die Stimmen verteilen sich auf sechs Parlamentsparteien – so viele wie noch nie in der Zweiten Republik.
Die Wahlkampfkosten sind erstmals limitiert: In den letzten drei Monaten darf eine Partei nicht mehr als sieben Millionen Euro ausgeben.
Das Medienverhalten hat sich in den vergangenen fünf Jahren deutlich geändert: Wohl erreichen die Tageszeitungen noch immer rund 73 Prozent der erwachsenen Österreicher, aber zwei von drei Wählern lesen Boulevardblätter – eine Steigerung von mehr als zehn Prozentpunkten gegenüber 2008. Jeder Vierte konsumiert ausschließlich Boulevard, weitere 30 Prozent schauen wenigstens ab und zu auch in ein anderes Blatt.
2013 haben rund 85 Prozent der österreichischen Haushalte Internet-Zugang, 2008 wurde nur in 65 Prozent der Haushalte gesurft. Putzig: 1995, als die Parteien erstmals Wahlkampfmaterial ins Netz gestellt hatten, wurde die Website der SPÖ 6700-mal aufgerufen, jene der ÖVP immerhin 16.740-mal. Gezeigt hatte sie eine „elektronische Broschüre“ mit dem Wahlprogramm und einigen Fotos von Wolfgang Schüssel.
2,85 Millionen Österreicher sind Facebook-User, 90 Prozent von ihnen zwischen 14 und 49 Jahre alt. Im Wahljahr 2008 gab es nur 100.000 Facebooker.

Weniger Diskurs, mehr Mobilisierung
Vorbei die Zeiten, in denen die Parteien bloß einige Funktionärsregimenter losschicken mussten, um die entsprechende Botschaft unters Volk zu bringen. Die Informationskonkurrenz ist heute erdrückend.
Trotz alledem stellen sich die Wahlkampfmacher in den Parteien auf eine eher herkömmliche Annäherung an das Wahlvolk ein. „Ich glaube, dass wird ein echter Retro-Wahlkampf“, meint ÖVP-Generalsekretär Rauch. Er ist ein Freund der Hausbesuche: 45.000 organisierte er als Geschäftsführer der Landes-ÖVP im Tiroler Landtagswahlkampf 2008. Seine Partei verlor damals zwar fast zehn Prozentpunkte (die Sozialdemokraten übrigens auch); dennoch setzt Rauch weiter auf das Prinzip „Ran an den Mann“. In den USA hat er sich das „Microtargeting“ abgeschaut, das der legendäre Kampagnenmacher Carl Rove 2004 für George W. Bush erfand: Mittels Umfragen werden regionale oder sogar lokale Probleme erhoben und in einer segmentierten Kampagne daraufhin entsprechende Lösungsvorschläge mit der überregionalen Politik verbunden: Michael Spindelegger und die Ortsumfahrung von Purgl an der Pinka.
Die Zeit, in der Inhalte ausgiebig im Web 2.0 diskutiert wurden, ist für Rauch schon wieder vorbei: „Die neuen sozialen Medien sind weniger für den Diskurs, dafür umso mehr für die Mobilisierung geeignet.“ Anders gesagt: Ein Flashmob ist bald zusammengetrommelt – über den Grund dafür geht es auf der entsprechenden Website oft nur am Rande. An das von vielen vorhergesagte Ende des guten alten Wahlplakats will Rauch nicht glauben: „Das wird heuer sicher wieder eine Rolle spielen.“
In Österreich haben Plakatwahl­kämpfe Tradition. Bis zu 40 Prozent der Ausgaben flossen in die Affichen – nicht zuletzt deshalb, weil wegen der Politwerbungsabstinenz des ORF mehr Mittel dafür frei sind als in anderen Ländern. Die Wirkung von Wahlplakaten ist umstritten: Sie wurden im Nationalratswahlkampf 2008 laut einer Untersuchung zwar von 87 Prozent der Wähler wahrgenommen, aber nur drei Prozent der Wahlberechtigten gaben an, sie seien davon „stark beeinflusst“ worden. 2008 affichierten die fünf Parlamentsparteien übrigens 54 verschiedene Sujets – mehr hatte es nur bei den Wahlen 1949 gegeben.

Nur folgerichtig, dass auch Christian Deutsch, Geschäftsführer des stärksten Parteiapparats des Landes, der Wiener SPÖ, auf Direktkontakt setzt: „Beim Obama-Wahlkampf hat man gesehen, dass der immer noch ausschlaggebend ist. Die Leute wollen Politiker nicht auf Facebook, sondern in Wirklichkeit sehen.“

Vor der Landtagswahl 2010 dirigierte Deutsch Hunderte Hausbesuch-Trupps durch die Gemeindebauten, wo rund ein Drittel der Wiener Wahlberechtigten wohnt. 40.000 Direktkontakte verzeichnete man in der Parteizentrale stolz. Nicht schlecht – dennoch wurde nicht einmal bei einem Fünftel der Wiener Gemeindewohnungen angeläutet.
Das war früher anders: Da kam der so genannte „Subkassier“ jeden Monat zu den Parteimitgliedern in seinem Grätzel, verkaufte ihnen die Beitragsmarken und ließ ein wenig Agitprop-Material zurück. Die neue Zeit machte dem ein Ende: In den 1980er-Jahren ging man auch in der Wiener SPÖ zum bargeldlosen Zahlungsverkehr über. Mit den Wählern in Kontakt tritt man seither bei Gemeindebaufesten oder an Info-Tischen auf Märkten und in Einkaufszentren.

Löchrige Funktionärsnetze
Und manchmal schleicht man sich regelrecht an. Auf der Website www.wirsindmehr.at findet sich an keiner Stelle das Kürzel SPÖ, lediglich „Eine Initiative von Bürgermeister Dr. Michael ­Häupl“ wird da vermerkt. In der via Web organisierten Aktion „Wir sind mehr“ treffen sich digital und real Gruppen von Radfahrern und Osteoporose-Geplagten, Babyeltern, Blasmusikanten, Nordic Walkern, Gartenfreaks und Diabetikern. Und irgendwann wird dabei wohl auch über Politik gesprochen, so die Überlegung der Veranstalter in der Parteizentrale, die den Aktiven organisatorisch und finanziell unter die Arme greifen.
Günther Ogris, Chef des SORA-Instituts, liefert den wissenschaftlichen Überbau für solche Strategien: Die nächsten Wahlen werde jene Partei gewinnen, der es gelingt, möglichst viele Freiwillige dazu zu bewegen, in der Familie, am Arbeitsplatz oder im Wirtshaus gut über sie und ihre Kandidaten zu sprechen. Die Zahl jener, die dafür zu gewinnen sind, ist verblüffend groß, stellte Ogris in einer Analyse der Nationalratswahlen 2006 fest: „20 bis 25 Prozent der Wähler versuchen, andere in Gesprächen während des Wahlkampfs politisch zu beeinflussen. Nur ein kleiner Bruchteil davon sind Funktionäre einer Partei.“ Haltbare Funktionärsnetze ortet Ogris noch in Wien (SPÖ), Niederösterreich (ÖVP) sowie im Burgenland und in Kärnten (SPÖ und ÖVP bzw. FPK).

Die Politikwissenschafter Fritz Plasser und Günther Lengauer haben die Ogris-Studie mit eigenen Zahlen untermauert: Nach der Nationalratswahl 2008 nannte fast die Hälfte der Wähler Gespräche in der Familie oder im Bekanntenkreis als die für sie wichtigste Entscheidungshilfe. TV-Auftritte der Kandidaten und Medienberichte folgten einigermaßen abgeschlagen auf den Plätzen zwei und drei. Auch das Internet spielte 2008 noch eine sehr untergeordnete Rolle bei der Wahlentscheidung.
Die Mobilmachung jenseits der Parteiapparate, die SORA-Chef Ogris als Grundvoraussetzung für einen Wahlerfolg sieht, habe man bei der Wehrpflicht-Befragung soeben in der Praxis erlebt, meint der Kampagnen-Spezialist Phi­lipp Maderthaner: Die ÖVP habe recht geschickt eine Interessengemeinschaft mit gesellschaftlichen Vorfeldorganisationen gebildet – vom Roten Kreuz bis zum Kameradschaftsbund –, wodurch die Feuerkraft des Parteiapparats maßgeblich verstärkt wurde. Maderthaner war enger Mitarbeiter Josef Prölls, als dieser noch Parteiobmann war, und hat sich inzwischen mit einem „Campaigning Bureau“ in der Wiener Innenstadt selbstständig gemacht. Am Donnerstag kommender Woche findet sein „Campaigning Summit“ mit internationalen Experten in Wien statt.

Im „air war“, also im Internet, herrsche inzwischen immenses Gedränge, meint Maderthaner; im „ground war“, in der Wahlkampf-Wirklichkeit, brauche man auch weiterhin „eine Grundausstattung an Funktionären“. Aber nur jene Partei, die darüber hinaus freiwillige „Agitatoren“ finde, habe Chancen, eine Wahl zu gewinnen. Sie zu mobilisieren sei die eigentliche Aufgabe eines Wahlkampfs.

Die stärksten Bindemittel der Parteien sind übrigens ganz altmodische Institutionen. So sank zwar der Stimmenanteil der SPÖ bei den Arbeitern seit 1990 von 52 auf 27 Prozent – aber bei den Gewerkschaftsmitgliedern blieb er konstant jenseits der 50-Prozent-Marke. Ähnlich ist es bei der ÖVP: Diese hat in den vergangenen zwei Jahrzehnten zwar in allen soziodemografischen Gruppen tüchtig verloren – unter den regelmäßigen Kirchgängern hält sie aber noch immer eine bequeme absolute Mehrheit.
Bei ÖGB & Kirche vs. Facebook & Twitter gewinnen jedenfalls vorerst noch die Altvorderen.