Türkenverhaberung

Türken im Nationalratswahlkampf: Schwieriges Verhältnis

Integration. Das schwierige Verhältnis der Parteien zur türkischstämmigen Wählerschaft

Drucken

Schriftgröße

Nurten Yilmaz wird im „roten Bogen“ am Wiener Gürtel erwartet. So heißt passenderweise das Stadtbahngewölbe Nummer 36, in dem sich ihr „Fanclub“ mit Ottakringer Bier, Appetithäppchen und „NY“-Stickern auf die Anstrengungen des Wahlkampfs einstimmt. Die SPÖ-Gemeinderätin spielt nun in der obersten Politik-Liga. Im Herbst soll sie – neben der Grünen Alev Korun – im Hohen Haus die zweite Abgeordnete mit türkischen Wurzeln sein, die erste Rote.

„Die Nurtna“, wie sie auf Neu-Ottakringisch heißt, kam als Gastarbeiterkind mit neun Jahren nach Österreich, landete bei der Sozialistischen Jugend und arbeitete sich von hier aus – ganz klassisch – die SPÖ-Hierarchie hinauf. Als „Sozialdemokratin durch und durch“ redet sie lieber über Frauen, Bildung und Gerechtigkeit als über das Kopftuch, den Islam und die Türkei.

Doch seit den Polizeieinsätzen am Taksim-Platz in Istanbul und deren Widerhall in der Diaspora ist siewieder einmal „als Türkin“ gefragt. Was sie von den Erdogan-Anhängern hält, die am Sonntag vor einer Woche zu Tausenden am Wiener Columbusplatz protestierten? Das sei natürlich ihr „gutes Recht“, sagt sie. Man dürfe die Leute aber daran erinnern, „dass sie in Wien von der Polizei begleitet werden, während sie auf der Straße einen Regierungschef hochleben lassen, der 1300 Kilometer entfernt Demonstranten mit Wasserwerfern wegspülen lässt“.

Das Verhältnis der Parteien zur türkischstämmigen Wählerschaft ist kompliziert. Das liegt an ihnen selbst, aber auch an den gesellschaftlichen und politischen Verwerfungen der heutigen Türkei. Bloß, wie soll man sie thematisieren? Der oberösterreichische Landtagsabgeordnete Efganzi Dönmez empfahl, die Fans des türkischen Premiers mit „One way tickets“ in ihre Heimat zu expedieren und entschuldigte sich kurz darauf für den unbeherrschten Rülpser, der umso mehr überraschte, als er aus den Reihen der Grünen kam. Er ist nicht der Einzige, der sich mit dem Thema schwer tut: Widersprüche, unmögliche Grätschen und eine oft verquere Symbolik gibt es in allen Parteien.

Die Grünen
m 14. Juni hatte sich die Grüne Abgeordnete Alev Korun in Istanbul unter die feministischen Gruppen und kritischen Stadtplaner gemischt, unter Kurden, Linke und Rechte, junge Studenten und ältere Säkulare, die im Gezi-Park kampierten, um zu verhindern, dass auf einem der letzten grünen Flecken im Stadtzentrum ein Einkaufs-tempel entsteht. Am Abend fuhr die Polizei mit Wasserwerfern und Tränengaskanonen auf, riegelte den Platz ab und räumte mit Baggern alle Zelte und Proteststandln am Taksim-Platz weg. Von nun an ging es nicht mehr um die Rettung von Bäumen, sondern um Bürgerrechte und Demokratie.
Genau darum geht es für Alev Korun, seit der Militärputsch in der Türkei 1980 sie politisch aufweckte. Sie war damals elf. Acht Jahre später zog sie nach Österreich, um Politik zu studieren und nahm – zunächst in der Ausländerberatung, später bei den Wiener Grünen – den Kampf gegen Ungerechtigkeiten und Diskriminierung auf. 2008 zog sie als erste Mandatarin mit Migrationshintergrund ins Parlament ein. Wie keine zweite verkörpert sie das seltsame Los der Grünen, sich als urbane, linksliberale Streiterin für die Anliegen der Zuwanderer einzusetzen, selbst dann, wenn sie konservativ und religiös sind.
Im Jänner 2011 hielt Korun in der ORF-Sendung Bürgerforum zum Thema „Türken, die ewigen Außenseiter“ wacker dagegen, als SPÖ-Klubchef Josef Cap das Kopftuch als „Symbol für die Unterdrückung der Frauen“ verteufelte. Es ärgert sie bis heute, dass ausgerechnet seine Partei ein paar Monate zuvor eine Kopftuch-Türkin auf aussichtlosem Listenplatz kämpfen hatte lassen. Korun hat sich immer jeden Islampopulismus verkniffen. Sie lebt den Widerspruch auf ihre Art aus. Bei ihren Touren durch linke wie rechte Milieus verlässt sie sich auf ihren menschenrechtlichen Zugang und den Bonus, die einzige türkischstämmige Nationalratsabgeordnete zu sein. Es ist ein anspruchsvoller Job, politisch für ein Kopftuch zu fechten, das sie selbst nicht tragen würde. Auch in der eigenen Partei. Aber es nimmt mitunter sogar Familienpatriarchen für sie ein, die nichts mehr fürchten, als dass ihre Töchter sich an der Grünen ein Beispiel nehmen könnten.

Die Schwarzen
ie ÖVP ließ die türkischen Zuwanderer lange Zeit links liegen. Die Wählerschaft galt als wertkonservativ, wählte aber verlässlich rot oder grün. Unter dem schwarzen Kanzler Wolfgang Schüssel mehrten sich die Signale nach rechts: Im Innenministerium verschärfte eine Novelle nach der anderen das Asyl- und Fremdenrecht. In Vorarlberg verbot die ÖVP mit Hilfe der Freiheitlichen den Bau von Minaretten, in Kärnten stimmte sie in derselben Causa mit dem BZÖ mit. Minarette seien „etwas Artfremdes“, erklärte der niederösterreichische ÖVP-Landeshauptmann Erwin Pröll noch 2007, das bekäme „auf Dauer einer Kultur nicht gut“.
Zu dieser Zeit bemühte sich Sirvan Ekici als ÖVP-Gemeinderätin in Wien bereits um die türkischen Gewerbetreibenden. Eine Mission impossible, wie sich herausstellte: 2010 setzte ihr die ÖVP die kroatische Schwimmkanone Dinko Jukic vor und verbannte sie auf den hoffnungslosen 15. Platz der Landesliste. Heute ist die ehemalige Integrationssprecherin Ekici ihrer Partei mit Kontakten zu türkischen Politikern und Unternehmern behilflich, denn die heimische Industrie sucht Anschluss an den wirtschaftlichen Boom am Bosporus – und damit an die Regierungspartei AKP, als deren Arm in der Diaspora die Union der Europäischen Türkischen Demokraten (UETD) gilt.
Manchmal geht der Spagat zwischen außen- und innenpolitischen Interessen gründlich schief. Vor der Nationalratswahl 2006 ließ der schwarze Wiener Bezirksrat Mustafa Iscel türkische Plakate drucken: „Falls Sie nicht wollen, dass der Völkermord an den Armeniern anerkannt wird … wählen Sie ÖVP!!!“ Es kam zum Eklat, Iscel verschwand kurz von der politischen Bühne und feiert nun als Nummer 19 auf der ÖVP-Liste für die Nationalratswahl im Herbst sein Comeback. Für Spannung ist weiter gesorgt. Kürzlich mahnte Integrationsstaatssekretär Sebastian Kurz, Zuwanderer sollten „Konflikte nicht in das Land hereinbringen und auf der Straße austragen“, während Parteikollege Iscel via Facebook „mit ganzem Herzen“ bei den Pro-Erdogan-Demonstranten war.
Es fügt sich ins Bild, dass die Minarettsverbots-Partei ÖVP mit einem 26-jährigen muslimischen Kandidaten in den Wahlkampf geht, der fünf Mal am Tag betet und keinen Alkohol trinkt. Asdin El Habbassi, Landesobmann der Jungen ÖVP in Salzburg, ist die Nummer fünf auf der Bundesliste und laut Vizekanzler Michael Spindelegger ein „Beispiel für Integration durch Leistung“. Das ist zwar nicht ganz schlüssig, denn der junge Mann ist im Land geboren, aber es klingt gut und schließlich ist Wahlkampf.

Die Roten
iza Sari, Sprecher der Aleviten in Wien, ist ein ruhiger, gemütlicher Mann, doch im Moment sorgt er sich. In der Türkei kehre das „Sultanat“ zurück und in Österreich karrten Erdogans Leute Demonstranten in Bussen nach Wien. Als Alevit könne er schwer ruhig bleiben: „Wir haben zu viel Unterdrückung und Verfolgung erlebt.“
In den 1960er-Jahren warb das Wirtschaftswunderland Österreich in Ostanatolien die ersten Gastarbeiter an. Viele, die am Wiener Südbahnhof aus dem Zug stiegen, waren Alewiten, auch einige Kurden waren darunter. Als sie ihre Frauen nachgeholt hatten und Österreicher geworden waren, machten sie am Wahlsonntag bei der Sozialdemokratie ihr Kreuzerl.
Später kamen kurdische Intellektuelle, die vor Repression, Gefängnis und Folter flohen und für die in der Diaspora erst recht nur die SPÖ in Frage kam. Dabei ist es bis heute geblieben, nicht nur, weil die Roten Gemeindewohnungen und Kindergartenplätze versprachen, „sondern weil sie die Leute in Ruhe lassen“, wie SPÖ-Politikerin Yilmaz meint: „Es gibt keine Lebensform, in die man sich hineingießen muss.“
Die Anschläge vom September 2001 änderten alles. „Islamische Gruppen rückten ins Blickfeld, die Basis der Säkularen schwand“, konstatiert der Soziologe Kenan Güngör. Die Wiener SPÖ stellte sich den Integrationsproblemen der Stadt, während sich die Bundespartei konsequent nicht mehr zu Wort meldete.
Den Widerspruch, für Entrechtete einzutreten, deren Anschauungen man nicht unbedingt teilt, löste die Wiener SPÖ zunächst mit der Figur Omar Al-Rawi. Der 1961 im Irak geborene Bauingenieur kam vor mehr als zehn Jahren in den Gemeinderat und schlug die Brücke zu den Moscheen. 2005 wählten viele Muslime nicht Al-Rawi oder die Roten, sondern den „Muslim in der SP֓. Fünf Jahre später schickte die Partei Gülsah Namaldi ins Rennen, eine junge Frau, die mit Kopftuch von Plakaten blickte. Sie fuhr 5600 Vorzugsstimmen ein, blieb aber ohne Mandat. Bei Tarik Mete, dem Salzburger Vorsitzenden der Sozialistischen Jugend, lief es ein bisschen besser. Bei 1500 Vorzugsstimmen locke ein Mandat, hatte man ihn intern angefeuert. Er schaffte 1832, ging leer aus, wird aber nach der Halbzeit in den Landtag nachrücken: „Das ist ein Signal, dass Migranten nicht nur Stimmenfänger sind.“

Die Blauen
bendland in Christenhand!“, „Daham statt Islam“, „Pummerin statt Muezzin“, dröhnten die Freiheitlichen im Wahlkampf 2006. Die Türken in Wien kratze das schon lange nicht mehr, meint Seyit Arslan, Herausgeber der österreichischen Ausgabe der Tageszeitung „Zaman“. Sie seien der Anfeindungen müde und hätten wichtigere Sorgen: Wie machen sich die Kinder in der Schule? Ist der Job sicher? Die FPÖ hingegen scheint den alten Reflexen noch zu vertrauen. Türken sind Muslime sind Staffage für Sündenbock-Inszenierungen; für Generalsekretär Harald Vilimsky gilt das weiterhin: Das Problem sei die „imperialistische Politik Erdogans“. Wer dafür in Wien auf die Straße gehe, „dem sagen wir: Wenn es dir hier nicht gefällt, steht es dir frei, dein Heimatland zu besuchen“. Auf europäischer Ebene lassen die Freiheitlichen keine Gelegenheit aus, einen EU-Beitritt der Türkei zu verhindern. Die Anbandelungsversuche an kurdische Vereine sind vor diesem Hintergrund zu sehen. Hüseyin Akmaz vom Dachverband Feykom in Wien bestätigt, dass FPÖler bei ihm angeklopft hätten, doch habe er rasch klargestellt, was er von ihrem Programm halte: „Kurden würden nie im Leben Rassisten oder Extremisten wählen.“ Zwar votieren in den kurdischen Gebieten der Türkei religiöse Wähler auch für die Regierungspartei AKP, „aber wenn diese nationalistischer wird, sind sie weg“. Vilimsky deutet auf die Couch in seinem Büro: Mehrmals seien hier Kurden gesessen und hätten ihm ihr Leid geklagt: „Es entspricht unserem Selbstverständnis, uns für ein entrechtetes Volk einzusetzen.“ Auf Reisen in die kurdischen Gebiete habe er sich überzeugt, wie schrecklich es sei, seiner Sprache und kulturellen Identität beraubt zu werden. Als Wahlkampf-Plot taugt das Thema nicht. Die anständigen Ausländer bleiben aus der Sicht der Blauen die Serben, und es ist zu fürchten, dass den miesen Part wieder die Türken spielen dürfen. Oder doch nicht? Vilimsky: „Türken, die stolze Österreicher geworden sind, finden bei uns eine Heimat. Aber das muss echt sein.“

Edith   Meinhart

Edith Meinhart

ist seit 1998 in der profil Innenpolitik. Schreibt über soziale Bewegungen, Migration, Bildung, Menschenrechte und sonst auch noch einiges