VALIE EXPORT im Gespräch mit Herbert Lackner beim Unteren Belvedere
VALIE EXPORT: „Gegen das Männlich-Dominante habe ich mich gewehrt“

VALIE EXPORT: „Gegen das Männlich-Dominante habe ich mich gewehrt“

VALIE EXPORT: „Gegen das Männlich-Dominante habe ich mich gewehrt“

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profil: Frau EXPORT, warum haben Sie das Untere Belvedere für dieses Interview ausgesucht? VALIE EXPORT: Das Belvedere kannte ich auch als Oberösterreicherin schon als Teenager von Abbildungen in Büchern über historische Gebäude und vor allem wegen seiner umfangreichen Sammlung. Vor einigen Jahren hatte ich im Unteren Belvedere eine umfangreiche Einzelausstellung. Im Garten stellte ich meine Skulptur „Die Doppelgängerin“ auf, zwei ineinander verzahnte Scheren. Sie hat die Blicklinie des Oberen Belvedere mit dem unteren Belvedere verbunden.

profil: Warum steht sie nicht mehr da? EXPORT: Das Bundesgartenamt hatte andere Vorstellungen. Die Skulptur steht jetzt im Garten des „21er Haus“.

profil: Ich habe mich über Ihre Ortswahl gewundert, weil ich mir dachte, Barock passe nicht unbedingt zu Ihnen. EXPORT: Ich habe mich damals sehr gefreut, im Belvedere ausstellen zu können. Das Barocke mit der zeitgenössischen Ästhetik zu verbinden, war eine spannende Herausforderung. Es entstand auch eine ganz neue Sicht meiner Kunstwerke.

Ich war nicht ungern in der Klosterschule. Dort lernte ich, mich zu behaupten, weil man wegen der strengen Regeln sonst untergegangen wäre

profil: Sie haben in Linz eine Klosterschule besucht. Auch dort kann man Sie sich schwer vorstellen. EXPORT: Ich war nicht ungern in der Klosterschule. Dort lernte ich, mich zu behaupten, weil man wegen der strengen Regeln sonst untergegangen wäre. Dagegen anzukämpfen, war für mich eine wichtige Herausforderung.

profil: Das Brechen der Regeln hat Sie am meisten an der Klosterschule interessiert? EXPORT: Genau. Ein Beispiel: Es gab den Bereich, in dem die Nonnen schliefen. Das waren kleine Zellen. Ich hab mich dort reingeschlichen, weil ich es mir einmal ansehen wollte, und wurde natürlich ertappt. Da bin ich sofort aus dem Internat hinausgeflogen – wurde dann aber wieder aufgenommen.

profil: Ich habe gelesen, Sie hätten als Mädchen eher gegen Ihre ältere Schwester als gegen Ihre Mutter revoltiert. Warum das? EXPORT: Sie ist fünf Jahre älter als ich, das ist ein sehr komplizierter Altersunterschied. Sie wollte über mich bestimmen, was mir gar nicht passte. Meine Mutter, eine Kriegswitwe, hörte mehr auf die ältere Schwester.

profil: Sie kamen 1960 als 20-Jährige nach Wien. Die Stadt war damals noch kaputt und grau. Wie haben Sie Wien empfunden? EXPORT: Linz war noch viel ärger. Ich bin gern in die Museen gegangen. Dann sperrte das Filmmuseum auf, das war eine große Bereicherung für mich. Außerdem war ich ja fast von Anfang an in Künstlerkreisen.

profil: Wie kamen Sie da hinein? EXPORT: Durch meine Schulkollegin Ingrid Schuppan, die spätere Frau des Dichters Oswald Wiener. Sie nahm mich gleich an meinem ersten Wiener Wochenende in die „Adebar“ in der Annagasse mit. Dort waren viele Künstler und Künstlerinnen.

Ich wollte meinen eigenen Namen und dachte mir: Es sollte etwas Internationales und Einprägsames sein

profil: Und bald hatten Sie eine Beziehung mit Friedensreich – damals noch Friedrich – Hundertwasser. EXPORT: Na, sagen wir lieber, er hat mich verehrt und auch gemalt. Ingrid und ich haben Gobelins nach Vorlagen von ihm gewoben und uns damit Studentinnen-Geld verdient. profil: Gefällt Ihnen das Hundertwasser-Haus? EXPORT: Nein, hat mir nie gefallen. Es hat einen schönen Baumbestand rundum, aber dahinter glitzert halt dieses Hundertwasser-Ding heraus. profil: Wieso heißen Sie eigentlich VALIE EXPORT? EXPORT: Ich habe diesen Künstlernamen angenommen, weil ich meine Familiennamen – geboren, geschieden – nicht mochte, sie waren nicht von mir. Ich wollte meinen eigenen Namen und dachte mir: Es sollte etwas Internationales und Einprägsames sein. So habe ich mich für EXPORT entschieden und für VALIE, meinen Nickname in Linz. Das war mein Markenname.

profil: Nach der damals sehr beliebten Zigarettenmarke „Smart Export“? EXPORT: Nein, das war nicht so. Ich habe später die Smart-Export-Zigarettenpackung benützt, um meinen Künstlernamen zu transportieren. Ich machte eine Montage. Statt der Weltkugel in der Mitte der Packung montierte ich ein Porträtfoto von mir. „Semper et ubique“, der Originalschriftzug rund um das Foto, blieb, und wo „Smart“ stand, habe ich „VALIE“ eingefügt. Diese veränderte Zigarettenpackung war mein erstes Kunstwerk und ist heute im Museum of Modern Art in New York ausgestellt.

profil: Und Sie haben verfügt, dass Ihr Name nur in Großbuchstaben geschrieben werden soll. Daran halten wir uns. EXPORT: Fein! Mein Künstlername ist auch gesetzlich geschützt. Aber Sie müssen nicht dieses ® dazumachen. profil: Der Wiener Aktionismus ist etwa zeitgleich mit der 1968er-Bewegung entstanden. Warum gab es so wenig Verbindung zwischen der künstlerischen und der politischen Schiene? EXPORT: Der Aktionismus war ja schon früher präsent gewesen. 1960 machte Hermann Nitsch Aktionsmalerei im Loyalty Club in Wien. Die Manifeste des Wiener Aktionismus und der Wiener Gruppe waren sehr politisch, eine Auflehnung gegen die konservative Nachkriegsgesellschaft. Es war auch eine ästhetische Kritik.

Ich hatte ein vollkommen konträres Frauenbild, das in keinem Einklang mit dem männlich dominierten Frauenbild des Aktionismus stand

profil: Die Wiener Aktionisten waren eher ein Männerverein. Wie ging es Ihnen damit? EXPORT: Frauen waren Modelle und Begleiterinnen. Ich hatte ein vollkommen konträres Frauenbild, das in keinem Einklang mit dem männlich dominierten Frauenbild des Aktionismus stand. Dieser Unterschied war mir damals schon ganz klar. Ich habe mich in den 1960er-Jahren mehr an Body-Art-Künstlern wie Vito Acconci oder Trisha Brown orientiert.

profil: Damals bestand die Eltern- und Lehrergeneration aus vielen ehemaligen Nazis. War Ihnen der Protest gegen sie auch ein Anliegen? EXPORT: Eigentlich nicht gegen die Elterngeneration. Mein Vater ist im Krieg gefallen, meine Mutter war Kriegswitwe, ich konnte natürlich nicht sie verantwortlich machen. Das Männlich-Dominante, das in der Nazi-Zeit vorherrschend war – dagegen habe ich mich gewehrt.

profil: Gab es eigentlich große Aufregung, als Sie Peter Weibel 1968 an einer Leine als Hund über die Kärntner Straße in die Galerie Sankt Stephan führten? EXPORT: Nicht in der Kärntner Straße. Aber später in der Galerie St. Stephan hat sich Unbehagen und Entsetzen breitgemacht. Eine junge Frau fragte mich, ob der Hund auch Papier esse. Ich sagte: „Nein, er ist kein Hund, es ist der Weibel.“ Mir ging es bei dieser Aktion um die Oberflächlichkeit der Zuordnung, um das Aufzeigen von Klischees, um die Verschiebung des Kontextes Mensch/Hund.

profil: Noch mehr Wirbel machte Ihr TAPP und TASTKINO. Sie trugen einen Kasten mit zwei Öffnungen vor dem Busen, und Passanten durften bis zu zwölf Sekunden lang hineinfassen. EXPORT: Das TAPP und TASTKINO wurde von mir als Premiere in Wien mit einem Text bei einem Filmfestival präsentiert. Es waren Filmemacher und Filmpublikum anwesend. profil: Haben die hineingefasst? EXPORT: Es gab einen gewissen Aufruhr, worauf ich die Aktion abgebrochen habe.

Ich habe Drohbriefe bekommen und Drohanrufe. Das war unangenehm und auch gefährlich

profil: Sollte das eine satirische Überhöhung der Pornoindustrie darstellen? EXPORT: Überhaupt nicht. Ich habe das als künstlerische Aktion gesehen. Das TAPP und TASTKINO ist ein kleiner mobiler Kinosaal, in dem ein Film vorgeführt wird, den man anders als im Kino nicht sehen, sondern ertasten kann. Im Kino sitzt man als Voyeur, beim TAPP und TASTKINO wird man selbst von den anderen gesehen. profil: Sind Sie nach solchen Aktionen angefeindet worden? EXPORT: Schon. Ich habe Drohbriefe bekommen und Drohanrufe. Das war unangenehm und auch gefährlich.

profil: Die bekannte Körperkünstlerin Marina Abramović trug 2005 bei einer Performance im Guggenheim Museum Ihre berühmte „Aktionshose: Genitalpanik“ – eine im Schritt weit offene Lederhose – und setzte sich damit breitbeinig auf das Podium. Stören Sie solche Imitationen? EXPORT: Nein, es war auch nicht meine Aktionshose. Abramović arbeitet sehr viel mit „reenacting“. Die Performance hieß „Seven Easy Pieces“, und noch weitere sechs Künstler und Künstlerinnen, wie Bruce Nauman und Gina Pane hatten vorher ihre Zustimmung gegeben.

profil: Welche Botschaft haben Sie mit dieser Hose verbunden? EXPORT: Man zeigt ein Genital, das für die Männer ja auch sehr bedrohlich ist … profil: … noch bedrohlicher war das Gewehr, das Sie dabei in der Hand hielten. EXPORT: Ja, das Maschinengewehr halte ich in der Hand, um ein Werkzeug zu zeigen, das männliche Macht demonstriert.

profil: Die „Aktionshose: Genitalpanik“ stammt aus dem Jahr 1969. Seither hat sich für die Frauen viel verändert. EXPORT: Nicht wirklich. Dass Ehefrauen heute in Österreich nicht mehr ihre Männer fragen müssen, ob sie arbeiten gehen dürfen, ist ja logisch, das geht in einer modernen Gesellschaft, die auch die Frauen auf dem Arbeitsmarkt braucht, nicht anders. Es ist eine ökonomische Notwendigkeit. Aber sonst? Die Löhne sind niedriger als die der Männer, Gewalt gegen Frauen gibt es unermesslich viel, ganz abgesehen von Zwangsehen, Beschneidungen und Vergewaltigung als kriegerisches Machtmittel. Allzu viel hat sich nicht geändert in der Welt.

Ein Museum wollte ich nie. Das reizt mich nicht. Da ist man immer von Subventionen und Sponsoren abhängig. Ein Forschungsarchiv ist viel sinnvoller

profil: In Österreich gab es immerhin Johanna Dohnal. EXPORT: Sie war als Ministerin bewundernswert und hat viel erreicht. Leider nicht alles. Aber das ist jetzt auch schon eine Zeit lang her. profil: Sonst hat Sie kein Politiker beeindruckt? EXPORT: Ursula Pasterk hat als Wiener Kulturstadträtin sehr viel für die Präsentation der Künste geleistet, Rudolf Scholten war ein ausgezeichneter Kulturminister. Und natürlich Bruno Kreisky, er hat viel bewegt.

profil: Im April hat der Linzer Gemeinderat um 700.000 Euro Ihren Vorlass angekauft. Stimmte die FPÖ da auch zu? EXPORT: Der Gemeinderat hat mit Mehrheit, bei Stimmenthaltung der FPÖ, beschlossen, das Archiv zu kaufen. Das Archiv und die Werke sind jetzt Teil der Sammlung des Lentos Kunstmuseums, und am 1. Juni wurde ein VALIE-EXPORT-Forschungszentrum für Medien- und Performancekunst in Linz gegründet. Die Initiative dazu kam vom Rektor der Linzer Kunstuniversität, Reinhard Kannonier.

profil: Andere Künstler bekommen gleich ein ganzes Museum. EXPORT: Ein Museum wollte ich nie. Das reizt mich nicht. Da ist man immer von Subventionen und Sponsoren abhängig. Ein Forschungsarchiv ist viel sinnvoller. Dort kann man, anders als in einem Künstlermuseum, auch vergleichen, was andere internationale Künstler, Künstlerinnen in denselben Zeitabschnitten gemacht haben. Das neue Forschungszentrum ist als Kooperative eines Kunstmuseums mit einer Kunstuniversität außergewöhnlich und progressiv.

Existenzängste hat man trotzdem immer

profil: Oft schmückt sich ja ein Landeshauptmann mit begabten Kindern seines Landes. In Niederösterreich gibt es ein Deix-Museum und ein Nitsch-Museum. Ist Landeshauptmann Pühringer nicht stolz auf Sie? EXPORT: Da bin ich nicht ganz sicher, das weiß ich nicht. Und was ist, wenn dann ein anderer Landeshauptmann da ist? Nein, eine Forschungsstelle ist schon viel besser. profil: Ein besonders wertvoller Abzug des Bildes „Aktionshose: Genitalpanik“ wurde vor einigen Wochen in der Galerie Westlicht um 54.000 Euro versteigert. Haben Sie davon etwas abbekommen? EXPORT: Nein, davon bekomme ich nichts. Ich bin ja nur die Künstlerin und nicht die Verkäuferin.

profil: Hatten Sie nie Existenzängste, als Sie die „Laufbahn“ einer Performance- und Körperkünstlerin einschlugen? Das kann ja auch schiefgehen. EXPORT: Existenzängste hatte ich jahrzehntelang, aber wenn ich mich entscheide, Performancekünstlerin, Konzeptkünstlerin und Filmemacherin zu sein, dann muss ich es einfach machen. profil: Ab wann hatten Sie das Gefühl: Es geht sich aus? EXPORT: Das ist noch gar nicht so lange her, vielleicht zehn Jahre. profil: Sie haben die Existenzängste in einem Alter verloren, in dem andere schon in Pension gehen. EXPORT: Stimmt. Aber es ist sich ausgegangen. Hoffentlich bleibt das so, aber Existenzängste hat man trotzdem immer.

Zur Person: Valie Export, 75. Geboren als Waltraud Lehner, ging die Linzerin 1960 nach Wien, wo sie Textildesign studierte und bald an Experimentalfilmen arbeitete. Später konzentrierte sich VALIE EXPORT auf Performance- und Körperkunst. Sie unterrichtete in Milwaukee, Berlin und Köln.