Maria Vassilakou hat ihren Stern selbst zum Sinken gebracht.

Wien-Wahl 2015: Biologisch abbaubar

Wien-Wahl 2015: Biologisch abbaubar

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18.03: Die erste Hochrechnung. Die SPÖ liegt über den Erwartungen. Die FPÖ deutlich zurück. "Ja, eh klar!", raunt einer aus den grünen Reihen. Er weiß, was nun kommt. Ein grüner Balken, der nur hauchzart über die Zehn-Prozent-Marke wandert. Anstandsklatscher. Die Grünen haben verloren. Zum dritten Mal in Folge. Sie sehen die Schuld bei der SPÖ, die diese Wahl zum Duell zwischen Rot und Blau ausgerufen und sich grüne Stimmen gekrallt hatte. Die Bessergelaunten in der Entourage von Maria Vassilakou lassen sich, so scheint es, bereits in eine bequeme rot-grüne Regierungsmehrheit fallen. Und Vassilakou? Die wehrt verkrampft Reporterfragen nach ihrer politischen Zukunft ab.

"Der Traum von der zweitstärksten Kraft in Wien - ausgeträumt. Mit nur 14,7 Prozent kam die Öko-Partei sogar hinter den Freiheitlichen zu liegen", schrieb profil vor zehn Jahren. Zwei Wahlen später, an diesem Wahlsonntag, sehen die Grünen die Blauen nur mehr aus der Ferne. Mit vorläufigen 11,6 Prozent unterboten sie das Ergebnis 2010 um einen Prozentpunkt.

Die Grünen sind geübt im Relativieren von Wahlschlappen. Grüne Stammwähler, die im angeblichen Häupl-Strache-Duell rot wählten, weil sie blau sahen; die Flüchtlingswelle, die von grünen Meilensteinen wie der Mariahilfer Straße ablenkte; die NEOS: All das kostete Stimmen. Stimmt. Nur sprach genauso viel für ein Traumergebnis: die bröckelnden Altparteien; die demografische Wählerverschiebung von der Seniorenpartei SPÖ zu den Grünen; die Refugees-Welcome-Stimmung; der Systemfrust; der Zeitgeist. Unterm Strich haben die Wiener Grünen ihr Wählerpotenzial nur etwa zur Hälfte ausgeschöpft. Deswegen steht ihnen nun zweierlei ins Haus: eine Nachfolgedebatte und ein Richtungsstreit.

Die Nachfolge: Maria Vassilakou bleibt streng genommen nur eines: Rücktritt. Sie ist vor der Wahl in die Voves-Falle getappt. Der steirische Landeshauptmann Franz Voves verknüpfte vor der steirischen Wahl sein politisches Schicksal mit der 30-Prozent-Marke - ohne Not. Er verlor und ging. Ebenfalls ohne Not kündigte die Grün-Chefin ihren Rücktritt im Fall von Verlusten bei der Wien-Wahl an. "Die nächste Chefin heißt Maria Vassilakou", wollen einflussreiche Stadt-Grüne wie Christoph Chorherr sie unbedingt halten. Verständlich: Noch nie waren die streitlustigen Wiener Grünen so geeint wie unter der gebürtigen Griechin; mit der Mariahilfer Straße hat sie grüner Stadtpolitik ein Denkmal gesetzt. Doch sie gelobte vor der Wahl in mehreren Interviews "Geradlinigkeit" in der Rücktrittsfrage. Um trotz Verlusten ins Rennen um die Vizebürgermeisterin zu gehen, muss sie sich verrenken wie ein Yoga-Meister.

Der Richtungsstreit: Er klopft in Person des grünen Urgesteins Peter Pilz bereits an. Gegenüber profil fordert er den Umbau der Öko-Partei. "Wir stehen unabhängig vom Wiener Wahlergebnis vor einer historischen Entscheidung: Bleiben wir ein Anhängsel von Rot und Schwarz? Ein grüner Schwanz am halbtoten Hund? Dann liegt unser Plafond als liberale Ökopartei bei zwölf bis 13 Prozent. Oder bilden wir einen linkspopulistischen Gegenpol zu den Nationalisten?" Grüne, die es auf Blauwähler abgesehen haben - das klingt utopisch. Nicht für Pilz. Das Team Stronach oder die Liste von Hans-Peter Martin hätten gezeigt, dass FPÖ-Wähler am einfachsten abzuholen sind. "Aber wenn uns die ,kleinen Leute' im politischen Erdgeschoss für die Dachbodenpartei halten, werden sie uns nicht wählen."

Die Worte des 61-Jährigen sind mehr als das letzte Aufbäumen eines Silberrückens. Mit seinem Kampf gegen Korruption bereitet Pilz das grüne Feld für neue, systemkritische Wähler auf. "Die Leute sind ja nicht bösartig, aber sie fühlen sich alleine gelassen, haben Angst und sind so anfällig für Stimmung gegen Ausländer. Wir müssen ihnen aber sagen: Euer Problem sind nicht Ausländer, sondern Banken und Spekulanten."

Nichtsdestotrotz ist Pilz im Flüchtlingsthema ein Hardliner unter den Grünen: Eine Willkommenskultur mit Lichtermeeren beeindrucke nur die, "die schon längst auf unserer Seite sind". Er wolle "möglichst wenige Flüchtlinge in Österreich". Man solle sie stattdessen "so gut wie möglich in der Region selbst betreuen".

Die Grünen mit rauerer Stimme, auf den Spuren der griechischen Syriza oder der spanischen Podemos. Der 52-jährige David Ellensohn winkt - ohne direkt auf Pilz zu replizieren - ab. Er ist die langjährige Nummer zwei hinter Vassilakou und wäre heißester Anwärter auf ihre Nachfolge. "Wir werden nach gewonnenen Wahlen nicht den Kurs komplett wechseln." Von der klaren Linie pro Flüchtlinge abzugehen, komme schon gar nicht infrage. Er merke die Ungeduld. Aber man solle an der einen Stelle weiter bohren und nicht an fünf Stellen neu ansetzen: "In Wien machen wir den großen Schritt beim nächsten Mal." Fragt sich, ob der Bohrer hart genug ist, um über die Kürbis-Kernwählerschichten hinaus vorzudringen. Ellensohn meint, ja: "365-Euro-Ticket, höhere Mindestsicherung für Kinder , das Aus für die Spielautomaten: Das hilft vor allem Menschen, die sehr genau auf ihr Geld schauen müssen." Den Spekulanten habe man ebenfalls die Zähne gezeigt.

"Bye, Bye, Miethai!"

Es waren Haifisch-Zähne. "Bye, Bye, Miethai!", plakatierten die Grünen. Klassenkampf im Teenie-Sprech. In dieser verspielten Art mit dem Wähler zu kommunizieren, kristallisiert sich der Vorwurf der Wohlfühlpartei. Das Plakat mit dem von Kussmündern übersäten Jugendsprecher Julian Schmid und dem Slogan "Öffi für alles" findet Pilz "peinlich".

Klaus-Werner Lobo, Autor globalisierungskritischer Bestseller, wertet den ersten Versuch der Stadt-Grünen als Regierungspartei als zu brav und erwartet einen Richtungsstreit. Er saß als linkes Aushängeschild im Gemeinderat, konnte den Sessel aber nicht verteidigen. "Es ist offenbar nicht so wahnsinnig erfolgreich, mit inhaltsleeren Ansagen wie ,Öffi für alles' in den Wahlkampf zu gehen. Das ist eine postdemokratische Mainstreampolitik die die Grünen jetzt überdenken müssen."

Ellensohn will die Welt der Kritiker mit Fakten zurechtrücken. "In den 90er-Jahren lagen wir quer durchs Land klar unter zehn Prozent. Bis zur Wien-Wahl feierten wir in ganz Österreich 16 Wahlsiege in Serie." Als Peter Pilz von 1992 bis 1994 Bundessprecher der Grünen war, errang die Partei zwischen fünf und acht Prozent. "Ich erinnere an abgehobene und akademische Plakate à la 'Wir sind nicht für alle da' im Jahr 1996. Heute kommunizieren wir auf Augenhöhe." Was sicher stimmt: Den grünen Schmid kennen über Facebook sicher mehr Junge als den roten Gerhard Schmid, seines Zeichens neuer SPÖ-Bundesgeschäftsführer.

Auch Astrid Rössler kennt man. Sie ist Landeshauptmann-Stellvertreterin in Salzburg. 2013 holte ihre Partei mit 20 Prozent ein Traumergebnis. Sie hat die magische Grenze mit "neuer Sachlichkeit" gerissen, wie es grüne Kollegen nennen. Beharrlich setzte sie seither Tempo 80 auf der Stadt-Autobahn durch und verhinderte neue Einkaufszentren. Heute ist sie noch beliebter. Rössler ist ein neues Vorbild der Grünen und als Typ eher Antithese zu Linkspopulisten à la Tsipras oder Grillo. Für die Wiener Grünen wohl Motivation genug, um statt auf Experimente noch stärker auf Rössler-Kurs zu gehen - mit neuen Fußgängerzonen, 30er-Zonen und Kindergärten. Nach dem Motto: mehr Salzburg für Wien. Das brächte zumindest den einen oder anderen Lodenmantelträger von der siechen ÖVP.

Mitarbeit: Ingrid Brodnig