Papa mobil: Mit bald 80 engagiert er sich ehrenamtlich in der Wiener Flüchtlingsbetreuung. Die Aufnahme entstand am 6. Oktober am Wiener Westbahnhof.

Wien-Wahl: Ich, Quotenperser

Der Vater, Exil-Iraner. Die Mutter, Österreicherin. Die Kinder: halbe Inländer. Oder doch Ausländer? Michael Nikbakhsh über die schwierige Suche nach der eigenen Identität - in einer Stadt, in der die FPÖ das beste Ergebnis ihrer Geschichte feiert.

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Ich bin der Sohn eines Kameltreibers; eines Teppichknüpfers; eines Jordan-Pritschlers; eines Pyramidenputzers; oder überhaupt: eines Tschuschen. "Irgendwann hat es mich nicht mehr gekränkt, all das zu hören", sagt mein Vater, der seine Heimat Iran 1957 verlassen hatte, hatte müssen. "Ich habe diese Dinge im Laufe der Jahre oft zu hören bekommen. Ich musste es akzeptieren."

Ich bin auch der Sohn einer Österreicherin. Einer tapferen Burgenländerin, die leidvoll erfahren musste, was es hieß, im Wien der 1960er-Jahre eine Liaison mit einem "Ausländer" einzugehen. Gegen die Widerstände in der Familie, im Freundeskreis, in der Kollegenschaft. "Fräulein Brandstädter, hätten S'Ihnen keinen anderen suchen können?", wurde sie nicht nur ein Mal gefragt. "Umso mehr stand ich zu ihm", sagt sie. Der Verbindung von Parviz und Maria, sie hält bis heute, entstammen drei Kinder und vier Enkel (Stand Oktober 2015).

Was also bin ich? Ich stelle mir die Frage neuerdings öfter. Weil sie mir gestellt wird; eine Alterserscheinung.

Rassismus, Xenophobie, von niederschwellig bis offensiv, sind mir wohlvertraut.

Österreicher, gewiss. Hier geboren, hier sozialisiert (wenn auch ohne jedes Glaubensbekenntnis), ausgebildet, verwurzelt. Keine Vorstrafen. Integriert. Demokrat. Patriot. Nettozahler. Einerseits. Andererseits: eben doch "Migrationshintergrund", wie man das heute nennt. "Halber Ausländer", wie man das früher nannte. "Quotenperser", wie mich ein geschätzter Kollege einst titulierte ("Quotenburgenländer" war ich demgegenüber erstaunlicherweise nie).

Rassismus, Xenophobie, von niederschwellig bis offensiv, sind mir wohlvertraut. Ich war keine zwölf, da schmierte ein namenloser Agitator "Haltet Wien rein. Nikbakhsh raus" ins Stiegenhaus jenes Gemeindebaus, in welchem mein Vater damals als Allgemeinmediziner (und österreichischer Staatsbürger) ordinierte. Unser Familienname war falsch geschrieben. Absicht vielleicht. Wahrscheinlich nicht. Man darf nicht überempfindlich sein. Längst werden mit derlei Sprüchen launige Wahlkämpfe bestritten. Und seit Sonntag wissen wir, dass fast ein Drittel der Wiener Wähler und -innen das auch noch lustig findet.

Bis heute ereilen mich - anonymisierte - Zuschriften, in welchen mir nahegelegt wird, mich doch "nach Hause" zu schleichen, wenn's mir hier nicht gefällt. Viele der Verfasser und -innen hadern mit Orthografie, Grammatik und Satzstellung. Und erst die Schreibweise meines Nachnamens. Herausfordernd, keine Frage. Stimuliert offensichtlich die Kreativität: Nikbusch, Nikdash, Nikbakschisch, Nixbakese, Nikobisch, Nakabasch, Nikarsch, Nikbakoasch, Nikbakhasch. Alles schon da gewesen.

Ich bin praktizierender Atheist, war noch nie im Iran, spreche noch nicht einmal Farsi.

Jüngst habe ich mehr als ein Dutzend Facebook-Hassposter wegen mutmaßlicher Verhetzung angezeigt. Dazu auch Facebook selbst - wegen möglicher Beitragstäterschaft. Im Online-Forum des "Standard" schlussfolgerte ein - no na ned - namenloser Angstbeißer - der "Wxil-Iraner", also ich, "wünscht iranische Zensurverhältnisse: Vor dem realen Islam fliehen und ihn verteidigen. Vor dem totalen Staat fliehen und ihn zur Durchsetzung eigener Interessen fordern." Ich bin praktizierender Atheist, war noch nie im Iran, spreche noch nicht einmal Farsi. Und das Eintreten für Meinungsfreiheit und Toleranz ist Teil der DNA dieser Redaktion, der ich seit nunmehr 16 Jahren angehöre.

Wie gesagt, man gewöhnt sich daran. Wenn mein Vater über sein zweites Leben in Österreich spricht - Medizinstudium, erster Spitalsjob, eigene Praxis, Polizeiamtsarzt -, dann erzählt er letztlich eine urösterreichische Geschichte. Die erste Anstellung in einem kleinen Krankenhaus nahe Wien 1969 bekam er nur unter Auflagen. "Die Bewilligung kann jederzeit widerrufen werden, insbesondere dann, wenn sich ein österreichischer Arzt um die vom Inhaber dieser Bewilligung besetzte Stelle bewirbt", beschied ihm das damalige Bundesministerium für soziale Verwaltung unter Ministerin Grete Rehor (ÖVP). Ein "österreichischer Arzt" ließ sich bis zu seinem Austritt allerdings nicht blicken. Der Eintritt in den amtsärztlichen Dienst der Wiener Polizei Mitte der 1970er-Jahre wiederum war von heftigen Widerständen innerhalb des Apparats begleitet. Ein ranghoher Offizier ließ ausrichten: "A Perser kummt bei uns ned eine." Er kam hinein, als erster "Ausländer" überhaupt. Mit den Jahren kamen Beförderungen, Ehrungen, Anerkennung, Respekt. "Als ich bei der Polizei angefangen habe, wurde ich immer wieder auf diese spezielle, herablassende Weise geduzt", erinnert er sich. "Später, als Oberrat, standen alle auf, wenn ich einen Raum betrat." Heimat bist du großer Titel.

Österreich. Meine Heimat, die meines Clans (dazu noch Anverwandte rund um den halben Globus). Aber was heißt das eigentlich? Vor zwei Jahren hatte ich Gelegenheit, dazu einen Mann zu befragen, der es ja eigentlich wissen müsste. Heinz-Christian Strache, zu hundert Prozent made in Austria, der sich nunmehr die Deutungshoheit über den Begriff "Heimat" anmaßt. Die Frage "Definieren Sie doch einmal, was für Sie Heimat ist" parierte er damals so: "Heimat ist, wo sich Menschen angenommen und geborgen fühlen. Heimat ist der Ort, den man mit seinen Liebsten in einer gemeinsamen Sprache, einer Kultur und einer Identität wahrnimmt. Ich halte es mit Johann Gottfried Herder: Heimat ist da, wo man sich nicht erklären muss." Er las die Antwort von einem Spickzettel ab. Dass er ausgerechnet den deutschen Philosophen, Theologen, Dichter, Freimaurer und Illuminaten Herder (1744 bis 1803) strapazierte, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Es soll in Straches Bewegung ja Leute geben, die der festen Überzeugung sind, Freimaurer, Satanisten, Zionisten und Illuminati hätten sich zusammengetan, um die FPÖ zu vernichten.

Vor einigen Jahren folgte ich der Einladung des damaligen iranischen Botschafters in Wien - auf eine Tasse Tee. Es entwickelte sich eines der absurdesten Gespräche meiner Karriere.

Das Herder-Zitat findet sich so auch auf gutezitate.com.

Der österreichischste Ort ist für Herrn Strache übrigens "der Stephansdom". Das ist deshalb amüsant, weil der Einband des (analogen!) Fotoalbums meines Vaters, das seine ersten Jahre in der Stadt dokumentiert, den Stephansdom zeigt.

Ich habe umgekehrt nie iranischen Boden betreten. Wobei. Vor einigen Jahren folgte ich der Einladung des damaligen iranischen Botschafters in Wien - auf eine Tasse Tee. Es entwickelte sich eines der absurdesten Gespräche meiner Karriere. Exzellenz legte mir nahe, seine Heimat zu bereisen, um wohlwollend über Land und Leute zu berichten. Ich sei ja schließlich auch einer von ihnen. "Wussten Sie, dass Iran der weltgrößte Erdnussproduzent ist?", fragte der Botschafter. "Ich würde mit Ihnen gerne über Atomwaffen und Menschenrechte sprechen", entgegnete ich. Und: "Könnten Sie einen Gesprächstermin bei Präsident Ahmadinedschad arrangieren?""Der Präsident ist sehr beschäftigt", konterte der Botschafter, der ausdrücklich nicht über Sprengköpfe und Menschenrechte sprechen wollte. Ich ersuchte ihn zum Abschied, Ahmadinedschad die Bitte um Rückruf zu überbringen. Auf nämlichen warte ich bis heute. Dabei ist er gar nicht mehr Präsident.

Vor nunmehr fünf Jahren fragte mich eine Journalistin der Tageszeitung "Die Presse" in einem Interview, was an mir eigentlich "persisch" sei. Ich deutete reflexartig auf den Samowar in meinem Büro. Ihre Story trug den Titel "Ein Journalist, aus dem kein Mullah mehr wird". Ja, eh.

Womöglich liegt die Antwort auf die Frage nach meiner Identität in der Art, wie meine Mutter kocht. Sie ist irgendwann dazu übergegangen, persische Speisen mit Schweinefleisch zuzubereiten. Durchaus stimmig.

Im Februar kommenden Jahres begeht mein Vater seinen 80. Geburtstag. Als Obermedizinalrat und Oberrat im Ruhestand. Dienstag vergangener Woche traf ich ihn am Wiener Westbahnhof vor Antritt seiner Abendschicht in der mobilen medizinischen Flüchtlingsbetreuung (fast auf den Tag genau 58 Jahre, nachdem er selbst am Südbahnhof einem Zug entstiegen war, der ihn in Sicherheit gebracht hatte). In den darauf folgenden viereinhalb Stunden versorgte er Dutzende Not leidende Menschen in Quartieren quer durch die Stadt.

Als einer von zahlreichen ehrenamtlichen Helfern, die das System mit am Laufen halten. Nicht zum ersten Mal, nicht zum letzten Mal. Die Schicht einige Tage zuvor zog sich über mehr als zehn Stunden. "Ausruhen? Es ist meine Verpflichtung, zu helfen", sagt er. Als Arzt. Als Mensch. Als Österreicher.

Michael   Nikbakhsh

Michael Nikbakhsh

war bis Dezember 2022 stellvertretender Chefredakteur und Leiter des Wirtschaftsressorts.