Wird die Schulreform einen Run auf Privatschulen auslösen?

Der Eton-Effekt: Die Schulreform als Segen für Privatschulen

Die rot-schwarze Schulreform soll die Bildungs-Apartheid beenden. Tatsächlich wird die soziale Auslese verschärft: durch den absehbaren Run auf Privatschulen.

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Sportanlagen inmitten eines prächtigen, fünf Hektar großen Parks in Wien-Wieden; ein Schwimmbad, ein eigener Raum für Aquarien und Terrarien; Sprachintensivwochen in Cambridge und St. Petersburg, Projektwoche in Rom; ein Schulorchester, ein Chor, WLAN für alle Oberstufen-Schüler - und zum Drüberstreuen Tanzkurse beim Elmayer: Das Gymnasium der Stiftung Theresianische Akademie Wien bietet die wunderbare Welt der modernen Schule.

Am 1746 gegründeten Theresianum wird, so will es Direktor Andreas Schatzl, nicht "die Asche angebetet“, sondern "das Feuer weitergegeben“; nicht nur Wissen vermittelt, sondern auch der Charakter geschult. Die Absolventen sollen sich laut Schul-Website "mit Selbstvertrauen und Mut im Leben behaupten können und Werte wie Integrität, Ehrlichkeit, Fairplay, Gerechtigkeit und Zivilcourage hochhalten“. Höhere Allgemein- und Herzensbildung hat ihren Preis. Das Schulgeld beträgt 5980 Euro pro Jahr.

Steigendes Interesse durch Schulreform erwartet

Wenn verstärkte Nachfrage auch im Bildungsbereich die Preise erhöht, werden die Gebühren bald steigen. Die jüngste Reform der Regierung bringt einen ersten Schritt zur Gesamtschule der Zehn- bis 14-jährigen. Das Ziel - besonders auf SPÖ-Seite - ist edel: Nach jahrzehntelangen Debatten soll die herrschende Bildungs-Apartheid in Österreich beendet werden. Tatsächlich wird sie aber noch verstärkt: durch den absehbaren Run auf Privatschulen wie das Gymnasium der Stiftung Theresianische Akademie Wien. Die präsentierte Lösung ist das Problem - ein rot-schwarzer Klassiker.

Am 17. November hatten Bildungsministerin Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ) und Staatssekretär Harald Mahrer (ÖVP) die Ergebnisse der koalitionären Arbeitsgruppe zur Bildungsreform präsentiert. Das Papier blieb dank seiner Kürze (16 Seiten) übersichtlich; Details und Umsetzung müssen erst die Legisten in Gesetzesform gießen. Beim ewigen Streit "Gymnasium gegen Gesamtschule“ einigte sich die Regierung auf einen gigantischen, bis 2025 beschränkten Schulversuch - ohne ihn so zu benennen: Bundesländer können demnächst Modellregionen einrichten, in denen die Gesamtschule erprobt wird. Allerdings darf dabei eine Höchstgrenze von 15 Prozent der jeweiligen Schulart beziehungsweise 15 Prozent der betroffenen Schüler nicht überschritten werden. Im Falle Wiens: Von den 84 Gymnasien mit Unterstufe können nur zwölf zu Gesamtschulen umgemodelt werden.

Die gemeinsame Schule kann zusammen mit qualitätsvoller ganztägiger Betreuung davor bewahren, familiäre Bildungsnachteile mitzuschleppen.

Wenigstens muss der jeweilige Landeshauptmann dabei nicht um Erlaubnis fragen: Ein Mitspracherecht der Schule - ob Direktor, Lehrkörper, Eltern oder Schüler - ist nicht mehr vorgesehen. Zu viel Demokratie würde den Schulversuch auch gefährden. Bei der Einführung der Neuen Mittelschule war österreichweit nur ein Dutzend Gymnasien bereit, ihre Unterstufen umzuwandeln.

Wenn politischer Wille fürs Werk zählte, müsste man Heinisch-Hoseks Reform loben. Erst in der Vorwoche kritisierte die OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) ums andere Mal, dass "die Aufwärtsmobilität im Bildungsbereich in Österreich weiterhin bemerkenswert schwach ausgeprägt“ sei. Nur 21 Prozent der Schüler erreichen hierzulande einen höheren Abschluss als ihre Eltern. Heinisch-Hosek: "Die gemeinsame Schule kann zusammen mit qualitätsvoller ganztägiger Betreuung davor bewahren, familiäre Bildungsnachteile mitzuschleppen.“

Der gute Wille der Ministerin reicht freilich nicht aus. Ihr Reformwerk ist missglückt. Landeshauptmänner wie Michael Häupl in Wien und Markus Wallner in Vorarlberg hoffen auf eine Anhebung der 15-Prozent-Höchstgrenze im Zuge des Gesetzgebungsprozesses. Und auch Bildungsexperten aus allen Bereichen sehen den Gesamtschulversuch skeptisch.

Wer dem neuen Modell nicht vertraut, wird dann umso stärker in Richtung Privatschulen tendieren.

Der Wissenschafter: "Wenn nun ein Teil der AHS-Unterstufen ohne Zustimmung der Eltern in Modellschulen umgewandelt wird, kommt es zu einer Verknappung der Gymnasiumsplätze. Wer dem neuen Modell nicht vertraut, wird dann umso stärker in Richtung Privatschulen tendieren.“ (Stefan Hopmann, Professor am Institut für Bildungswissenschaft der Universität Wien)

Die Praktiker: "Was man als soziale Maßnahme verkauft, wird die soziale Segregation noch stärken - vor allem, wenn die einzelnen öffentlichen Gymnasien in quasi-kommunistischer Weise zwangsbeglückt werden.“ (Günter Schmid, ehemaliger Direktor des Wiedner Gymnasiums); "Die Gefahr der stärkeren sozialen Auslese besteht.“ (Heidi Schrodt, ehemalige Direktorin der AHS Rahlgasse)

Die zuständige Landespolitikerin auf die Frage im "Presse-Interview“, ob sie nach der Einrichtung einer Modellregion in Wien "einen Ansturm auf Privatschulen“ erwarte: "Ja.“ (Sandra Frauenberger, Bildungsstadträtin in Wien, SPÖ)

Der Direktor des Theresianums rechnet auch mit mehr Bewerbungen. Andreas Schatzl: "Noch gibt es ja kein Gesetz. Ich nehme aber an, dass wir mehr Interessenten haben werden. Das weiß man aus dem anglo-amerikanischen Raum.“

Droht Österreich die pädagogische Anglifizierung? Wird die Upper Class ihren Nachwuchs nun verstärkt in Privatschulen schicken? Hängen Theresianum, Schottengymnasium und Lycée Français - wie in England Westminster School, Eton College oder Rugby School - die öffentlichen Schulen leistungsmäßig ab? Und kann das eine SPÖ-Bildungsministerin wirklich wollen?

Gabriele Heinisch-Hosek beurteilt den Sachverhalt auf profil-Anfrage anders als die Experten: "Es wird kein Run auf Privatschulen erwartet, vielmehr ist auf die regionale Gegebenheit und die einzureichenden Modellkonzepte der Länder Bedacht zu nehmen.“

Nach der Präsentation der Bildungsreform hatte die Bildungsministerin Kritik an ihrem Konzept flapsig kommentiert: "Wenn Eltern ihr Kind nicht in eine solche Schule schicken wollen, müssen sie ausweichen.“ Dies mag in Großstädten möglich sein. Als vergangene Woche aber ruchbar wurde, dass Osttirol eine Modellregion werden könnte, war die Aufregung groß. Das einzige Langform-Gymnasium der Region, das BG/BRG Lienz, stünde damit vor der Zwangs-Metamorphose. Die Direktorin deponierte einen harschen Protest bei Landeshauptmann Günther Platter. Der kalmierte: Nix sei fix.

Schulgebühren bedeuten nicht zwangsläufig höhere Qualität

Insgesamt gibt es in Österreich 278 öffentliche Gymnasien mit Unterstufe und 60 private. Laut Bildungsministerium besuchen derzeit mit 31.600 Schülern etwa 15 Prozent aller Gymnasiasten eine private AHS - ein seit 20 Jahren konstanter Wert. (Zum Vergleich: Der Anteil der Schüler in privaten Volksschulen liegt bei fünf Prozent.)

Fast alle Privatgymnasien sind konfessionell: Schulträger sind die Diözesen oder Orden wie Franziskaner, Benediktiner, Herz-Jesu-Missionare oder auch die Schwestern vom Armen Kinde Jesus.

Auch wenn sie sich "privat“ nennen, werden die Gymnasien doch öffentlich finanziert. Denn die Kosten für die Lehrer trägt die Republik Österreich. Insgesamt gibt die öffentliche Hand jährlich rund 618 Millionen Euro für Privatschulen aus. Davon entfallen 223 Millionen Euro auf die Privatgymnasien.

Das von den Eltern zusätzlich zu zahlende Schulgeld variiert. Im Schwazer Paulinum beträgt es 128 Euro pro Monat, im Wiener Schottengymnasium 197 Euro.

Wir sehen uns nicht als Zugangselite, sondern als Leistungselite.

Schulgebühren bedeuten nicht zwangsläufig höhere Qualität der Ausbildung. Aus Kreisen des Ministeriums und des Wiener Stadtschulrats ist zu vernehmen, dass bei der heurigen Zentralmatura private und öffentliche Gymnasien in Wien gleichauf lagen. Freilich sollen einzelne Privatgymnasien in der Tat signifikant besser abgeschnitten haben als der Durchschnitt. Theresianum-Direktor Schatzl bekennt sich zu höchsten Ansprüchen: "Wir sehen uns nicht als Zugangselite, sondern als Leistungselite.“

Günter Schmid, ehemaliger Direktor des öffentlichen Wiedner Gymnasiums, befürchtet eine Zwei-Klassen-Gesellschaft: "Ich unterscheide zwischen guten und weniger guten Schulen, nicht zwischen öffentlichen und privaten. Allerdings tun sich öffentliche Gymnasien angesichts enger werdender Rahmenbedingungen immer schwerer, ihr Niveau zu halten. Das ist natürlich die große Chance für jene Privatschulen, die eine Klientel ansprechen, der die bestmögliche Bildung seiner Kinder sehr viel Geld wert ist, und das über dieses auch verfügt.“

Wo die Republik nichts mitzureden, aber auch den Lehrkörper nicht zu finanzieren hat, steigen die Kosten ins Astronomische: etwa an der Danube International School Vienna (DISV) im 2. Bezirk, die von Kindern von ausländischen Managern, Diplomaten und betuchten Wienern besucht wird. Die Schulgebühren betragen 17.000 Euro für jüngere und 22.000 Euro für ältere Schüler - pro Schuljahr.

Im Gegensatz zur DISV erhält die Vienna International School (Schulgebühren: 14.000 bis 18.000 Euro) sehr wohl Geld vom Steuerzahler. In der Vergangenheit wurde die Schule in Donaustadt - sie wird auch von Kindern von UN-Mitarbeitern besucht - mit jährlich fünf Millionen Euro gefördert. Ab dem Jahr 2018 wird die staatliche Jahressubvention nur noch zwei Millionen Euro betragen.

Die Zielgruppe ist die gleiche

Am Rand des Privatschul-Spektrums finden sich Einrichtungen in sogenannter "Freier Trägerschaft“ ohne konfessionellen Background - wie Waldorf- und Montessori-Schulen oder andere Alternativformen. Seit Jahren fordern diese vergleichsweise neuen Schulen die Gleichstellung mit konfessionellen Privatschulen und die Übernahme der Lehrerkosten durch den Bund.

Zumindest die Zielgruppe ist bei alternativen und katholischen Privatschulen die gleiche: Mittel- und Oberschicht. Und mit mehreren hundert Euro Schulgebühr im Monat müssen Mama und Papa etwa für das Wiener Werk-College oder das Regenbogenhaus in Graz gleich viel bezahlen wie für das Kollegium Kalksburg in Liesing oder das Gymnasium Maria Regina in Döbling.

Vor dem (katholischen) Privatschulwesen graut der SPÖ-Linken fast so sehr wie vor TTIP und Neoliberalismus. So fordert die sozialdemokratische "Aktion Kritischer Schüler“ seit Jahren pauschal die Abschaffung aller Privatschulen. Diametral anders sieht man das im Team Stronach. Dessen deklariertes Bildungsziel: "Privatschule für alle.“

Gernot   Bauer

Gernot Bauer

ist Innenpolitik-Redakteur.