Wirtschaftswunde

Warum man in Österreich mit Arbeit nicht mehr reich werden kann

Geld. Warum man in Österreich mit Arbeit nicht mehr reich werden kann

Drucken

Schriftgröße

Von Heinz Wallner

Kann man in Österreich noch reich werden? Auf den ersten Blick kann die Antwort auf die Frage eigentlich nur lauten: selbstverständlich. Beispiele sonder Zahl belegen eindeutig, dass man in Österreich sehr wohl noch innerhalb einer Lebensspanne reich werden kann - und zwar ohne im Lotto zu gewinnen oder gewaltig zu erben. Dietrich Mateschitz, Johann Graf, Karl Wlaschek, Hans Peter Haselsteiner - die Erfolgsstorys des Red-Bull-Milliardärs, des Novomatic-Glücksspiel-Tycoons, des Billa-Gründers und Immobilien-Investors oder des Strabag-Baulöwen zählen hierzulande fast zum Allgemeinwissen.

Junge Durchstarter
Selbst jüngere Semester beweisen, dass es geht: etwa der Immobilien-Entwickler René Benko, 37, der als Schulabbrecher sein erstes kleines Vermögen mit dem Ausräumen und Ausbauen von Dachböden machte und im Sommer 2014 seine rasante Karriere mit der Übernahme der deutschen Karstadt-Kaufhauskette gekrönt hat. Oder Georg Stumpf, 42, der Erbauer des Wiener Millennium-Towers und der wohl härteste Verhandler, auf den heimische Baufirmen je getroffen sind. Auch der etwas in Vergessenheit geratene Superfund-Gründer Christian Baha, 45, könnte sich mit einem vom Wirtschaftsmagazin "trend" auf rund 250 Millionen Euro geschätzten Vermögen längst aufs Altenteil zurückziehen.

Laut Berechnungen des liechtensteinischen Investmenthauses Valluga gibt es hierzulande etwa 82.300 "reiche" Österreicher. Das sind jene Leute, die ein Vermögen von einer Million Euro oder mehr ihr Eigen nennen. Glaubt man dem jüngsten "Wealth Report Europe" der Schweizer Privatbank Julius Bär, dann besitzt dieses reichste eine Prozent der heimischen Bevölkerung 40 Prozent des gesamten Privatvermögens in Österreich - eine höhere Konzentration als in Deutschland, Großbritannien oder den Niederlanden.

Reich "nur mehr als Unternehmer oder Selbständiger"
"Kurzum: All diese Leute zeigen, dass man in Österreich sehr wohl noch reich werden kann", sagt der früher einflussreiche Ex-Banker und heute hochkarätige Vermögensberater Manfred Drennig. "Aber das sind Ausnahmebeispiele, die ihren Reichtum entweder im Ausland oder in ganz gestimmten Branchen, meist Bau, Immobilien oder Finanzwesen, verdient haben." Sein Kollege Wolfgang Matejka sieht das ganz ähnlich: "Wer in Österreich wirklich reich werden will, wird es wohl auch schaffen, wenn er sich sehr anstrengt. Aber nur als Unternehmer oder Selbstständiger. Auf Basis eines unselbstständigen Einkommens ist das heute praktisch unmöglich".

Tatsächlich zeigt sich auf den zweiten Blick, dass der Großteil der Bevölkerung - abgesehen von ein paar Spitzenverdienern in Großbanken und Industriekonzernen -"mit ehrlicher Arbeit nicht mehr reich werden kann" (Drennig). Und das liegt nicht daran, dass die Österreicher zu wenig rackern oder leisten, sondern mehr als die Hälfte des Jahres, im Schnitt bis zum 23. Juli, für den Staat schuften müssen. Erst danach wirtschaften Österreichs Werktätige in die eigene Tasche. Wem dann nach Abzug aller Lebenskosten noch genügend Geld übrig bleibt, um dies über die Jahre hinweg mit halbwegs sicheren Anlagen zu einem kleinen Vermögen anzusparen, dem macht die momentane Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank einen gehörigen Strich durch die Rechnung. Denn weil die Inflation, insbesondere die von allen im Alltag gefühlte, höher ist als die derzeitigen Renditen bei sicheren Sparanlagen, stürzen die Realrenditen - also der tatsächliche Saldo aus Zinsen minus Inflation - ins Negative. Oder anders gesagt: Diese kalte Progression lässt Vermögen schwinden.

Mehr als die Hälfte des Einkommens für Staat
Die Eckdaten dieses Befundes sind weithin bekannt und Öl ins Feuer der aktuellen Steuerreform-Debatte, in deren Mittelpunkt die Forderung nach einer Reduktion des Eingangssteuersatzes von 36,5 Prozent auf 25 Prozent steht. Dieses derzeit noch hohe Niveau und die vergleichsweise relativ niedrige Bemessungsgrundlage für den Spitzensteuersatz von 50 Prozent (ab 60.000 Euro jährlich) führt gemeinsam mit den üppigen Sozialabgaben dazu, dass sich der Staat im Schnitt mehr als 44 Prozent eines Erwerbseinkommens krallt. Rechnet man zu den Bruttolöhnen auch noch den sogenannten "Dienstgeberanteil" - also jene Lohnbestandteile, die direkt von den Unternehmen abzuführen sind - hinzu, schnappt sich die öffentliche Hand sogar 55,77 Prozent eines durchschnittlichen unselbstständigen Arbeitseinkommens. (Beim Großteil der selbstständigen Einkommen sieht es übrigens nicht viel besser aus).

Laut Statistik Austria verfügt die Hälfte der gut 3,5 Millionen unselbstständig erwerbstätigen Österreicher über weniger als 1781 Euro netto im Monat (Median-Einkommen). Lediglich zehn Prozent erzielen ein Netto-Monatseinkommen von über 3236 Euro. All diese sind außerdem mit Konsumsteuern - zehn Prozent für Lebensmittel und Miete, 20 Prozent für alles andere -belastet. "Auch wenn man auf so manchen Konsum verzichtet", sagt der Vermögensberater Matejka, "lässt sich in diesen Einkommenskategorien mit dem verbleibenden Geld auch über Jahrzehnte hinweg kein Vermögen ansparen."

Aus 10.000 werden 6900 Euro
Selbst mit einem monatlichen Bruttogehalt von 10.000 Euro, also jährlich 140.000 Euro brutto - auf diesem Niveau befinden sich gerade mal 0,8 Prozent aller heimischen Erwerbstätigen - könne man auf dem Wege des Sparens maximal wohlhabend werden, aber nicht reich. Ein Blick auf den Gehaltsrechner der Arbeiterkammern zeigt, warum: Wer in Österreich 140.000 Euro brutto im Jahr bezieht, muss davon 11.369,38 Euro an Sozialversicherung und 45.952,65 Euro an Lohnsteuer abführen. Unterm Strich bleiben dann 82.677,97 Euro oder knapp 6900 Euro pro Monat.

Werden von dieser stattlichen Summe monatlich zumindest 1000 Euro angespart - was einer Rekord-Sparquote von 14,5 Prozent entspricht -, ergibt das bei einer fixen Laufzeit von zehn Jahren und der höchsten aktuell am Markt erzielbaren Festgeld- Rendite (2,6 Prozent per annum) ein angespartes Vermögen von etwa 156.000 Euro - ein stolzer Betrag, aber trotz dieser Spitzenverzinsung weit von jener Million entfernt, ab der für Vermögensexperten Reichtum beginnt. "Deswegen muss man in Wahrheit etwa eine halbe Million Euro im Jahr verdienen", meint Drennig, "um in zehn Jahren eine Million Euro ansparen zu können."

Spar-Investments werden unattraktiv gemacht
Allerdings macht auch in diesen Höhen, in denen sich in Österreich sowieso nur etwa 0,2 Prozent aller Einkommensbezieher aufhalten, die momentane Zinspolitik der EZB herkömmliche, risikolose Anlageprodukte - Sparbuch, Lebensversicherungen, Anleihen - immer unattraktiver, weil deren Renditen , die sich allesamt am extrem niedrigen EZB-Leitzins von derzeit 0,05 Prozent orientieren, von der Inflation, insbesondere den Teuerungsraten auf alltägliche Verbrauchsgüter, aufgefressen werden. Der Hintergrund ist klar: EZB-Chef Mario Draghi will angesichts der röchelnden Konjunktur indirekt so den Konsum, die Wirtschaft und damit die Umsatzsteuer-Einnahmen der Staaten wieder ankurbeln, weshalb er Spar-Investments dementsprechend unattraktiv macht.

Die treibende Kraft hinter dieser Zinspolitik ist die - trotz der durchwegs hohen Steuer- und Abgabenbelastung der Einkommen - gewaltige Verschuldung der europäischen Wohlfahrtsstaaten. Ein Großteil dieser Schulden ist auf die jeweilige Ausgaben-, Sozial- und Umverteilungspolitik zurückzuführen, aber fast ebensolche Bedeutung kommt dabei dem mathematischen Zinseszins-Effekt zu. Sehr vereinfacht gesagt, funktioniert dieser so: Wer 100 Euro mit einer Verzinsung von zehn Prozent anlegt, hat nach einem Jahr ein Kapital von 110 Euro. Dieses, wieder mit zehn Prozent verzinst, ergibt nach dem zweiten Jahr 121 Euro, nach dem dritten 133,1 Euro und so weiter und so fort. Natürlich sind zehn Prozent illusorisch, aber selbst bei weitaus geringeren Renditen explodiert diese Zinseszins-Rechnung spätestens nach zehn, 20 Jahren.

"Irgendwann fressen dich die Zinseszinsen auf"
Was für die Vermögensbildung recht vorteilhaft ist, wird leider auch extrem nachteilig bei der Anhäufung von Schulden schlagend. Etliche Experten haben berechnet, dass die Schuldendienst-Ausgaben für Zins-und Zinseszinszahlungen bei manchen westeuropäischen Staaten inzwischen bis zu 50 Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung eines Landes, also des BIP, ausmachen, mitunter sogar mehr. Solange die Wirtschaft brummt und die Wachstumsraten hoch sind, geht sich das alles irgendwie aus. Aber in Zeiten schlechter Konjunktur, also geringerem Steueraufkommen bei gleichbleibender, ja steigender Schuldenbelastung wird es grimmig. "Irgendwann fressen dich die Zinseszinsen auf", sagt Matejka. "Früher gab es etwa alle 60 Jahre ein schmerzhaftes Re-Balancing durch Kriege, Hyperinflation oder Megarezession. Heute gibt es die Zinspolitik der EZB, die die Realrenditen unter null treibt, um mit dem Geld der Sparer die Wirtschaft auf Vordermann zu bringen."

Ob das gelingt, weiß im Moment kein Mensch. Klar ist hingegen, dass alle, die mit der Veranlagung ihrer frei verfügbaren Gelder halbwegs wohlhabend werden wollen, fast zwangsweise in riskantere oder zumindest nicht kurzfristig liquide Anlagen gedrängt werden - seien es nun Aktien, Immobilien oder alternative Investments. Das Endresultat ist je nach Risikobereitschaft ungewiss.

"Unglaubliche bürokratische Widerstände"
Oder sie wählen den Weg der Selbstständigkeit und eifern jenen reichen heimischen Top-Unternehmern nach. Doch selbst mit einer cleveren Geschäftsidee und abgesehen von den Österreich-spezifischen Hürden - Drennig: "Als Unternehmer musst du hier unglaubliche bürokratische Widerstände überwinden und bist auf die richtigen Kontakte angewiesen" - finden viele heimische Start-ups jenseits der öffentlichen Hand, etwa in Form des AWS-Gründerfonds, um dessen 65-Millionen-Euro-Budget sich fast alle reißen, keine ausreichende Finanzierung. Das ist erstaunlich, denn immerhin stünde seitens der gut 82.000 heimischen Millionäre genügend Kapital auf der Suche nach guten Investments zur Verfügung.

"Aber seit etwa einem Jahr versiegen diese Quellen", sagt Matejka. Grund dafür sei die in Österreich 2013 erfolgte Umsetzung der EU-Richtlinie für "Alternative Fund Management". Diese AFM-Direktive legt den bis dahin relativ liberal regulierten Private-Equity- und Venture-Capital-Fonds nun Berichtspflichten auf, die genauso streng sind wie bei klassischen Aktien- oder Anleihe-Investmentfonds. Matejka: "Das bedeutet einen irrwitzigen bürokratischen Aufwand, der die heimische Risikokapital-Szene erstickt."

Deswegen müssten sich viele Gründer auf die mühsame Suche nach Investoren in aller Welt aufmachen. Der Vermögensberater hat auch gleich eine "supersmarte Geschäftsidee, um wirklich reich zu werden", auf Lager: Es brauche nämlich dringend einen Start-up-Scout, der den internationalen Venture-Kapitalisten die eigentlich recht lebendige heimische Szene schmackhaft mache.