"Als würde die Vergangenheit die Zukunft vergiften"

Wie ein Trauma die Integration von Geflüchteten gefährden kann

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„Die Diagnostik hinkt enorm“, erklärt Barbara Preitler, die für den Verein Hemayat arbeitet, einer psychotherapeutischen Betreuungsstelle für Folter- und Kriegsüberlebende. Eine Posttraumatische Belastungsstörung oder PTBS könne nach einem Verkehrsunfall genauso diagnostiziert werden kann, wie nach schweren Foltererlebnissen.

„Bei Flüchtlingen beschreibt eine PTBS nie ein singuläres Ereignis, sondern immer kumulative Situationen“, erklärt Preitler, „Wir arbeiten mit dem Begriff Extremtraumatisierung. Sie ist dadurch gekennzeichnet, dass die Person sich als hilflos ausgeliefert erlebt.“ Mittlerweile gibt es zwar in jedem Bundesland psychotherapeutische Unterstützung für Geflüchtete, doch die Wartelisten sind lang. Allein bei Hemayat warten rund 400 Personen auf eine Behandlung.

Bei Flüchtlingen beschreibt eine PTBS nie ein singuläres Ereignis, sondern immer kumulative Situationen

Eine Posttraumatische Belastungsstörung kann die Integration erschweren. Gefährlich ist dabei das Vermeidungsverhalten, das auf schmerzhafte Erinnerungen folgt. „Es ist, als würde die Vergangenheit die Zukunft vergiften“, erklärt Preitler.

Wenn die betroffene Person durch andere Menschen traumatisiert wurde, kann es passieren, dass sie bestimmten Gruppen wie etwa Uniformierten ausweicht. Im Extremfall kommt es zu einer Vermeidung jeglichen Kontaktes mit anderen Menschen, da dieser schmerzhafte Erinnerungen auslösen würde. Um dieses Leitsymptom zu mindern, bedarf es vieler positiver Begegnungen. „Das können kleine Momente sein. Und sei es nur die freundliche Frau, die in Ungarn eine Flasche Wasser oder einen Apfel gespendet hat.

Es ist, als würde die Vergangenheit die Zukunft vergiften

Belgeiterscheinungen sind massive Lernstörungen, die durch eine Traumatisierung hervorgerufen werden können. „Dabei kann es zu einem Teufelskreis kommen“, warnt Preitler. So kann das Erlernen von Deutsch zu einem schwierigen und frustrierenden Unterfangen werden. Vor allem bei großen Prüfungen sei das Risiko eines Rückfalls hoch: „Man muss immer wieder loben, wenn etwas gelingt. In Lerngruppen geht es oft einfacher, weil dabei die Gefahr geringer ist, von der Vergangenheit überschwemmt zu werden.“

Auch wenn es eine Herausforderung ist, sollten traumatisierte Geflüchtete in das Bildungssystem oder den Arbeitsmarkt eingegliedert werden. „Tod und Flucht“ wäre Chaos, „Struktur hingegen kann da extrem heilsam wirken“. Barbara Preitlers Buch „An ihrer Seite sein. Psychosoziale Begleitung von traumatisierten Flüchtlingen.“ erscheint Ende September im Studienverlag Innsbruck.