Warum man Gamer endlich ernst nehmen sollte

Spiele wie Pokémon GO oder Minecraft sind mehr als ein sinnloser Zeitvertreib.

Drucken

Schriftgröße

Mit dem Hype um Pokémon GO kamen neben viel ehrlichem Interesse auch die üblichen Vorurteile, mit denen sich Gamer und die dazugehörige Szene immer wieder herumschlagen müssen, zum Vorschein. Sich ernsthaft für ein Videospiel zu interessieren und diesem auch einen Großteil seiner Zeit zu widmen, kann auch im Jahr 2016 offenbar nicht normal, gesund, sozial erwünscht oder gar intelligent sein. Jene, die sich in den Parks dieser Welt scharen um Pokémon zu fangen werden von vielen belächelt, am meisten von jenen, die sich kaum mit Videospielen beschäftigen. Warum man Videospiele und ihre Fans endlich ernst nehmen sollte:

Nicht alles, was man nicht versteht, ist Mist

Was für ältere Generationen Bud Spencer und für jüngere die Spice Girls waren - Stars, die man als Kind bewundert hat - sind für die heutige Generation die YouTuber, für jüngere Zocker vor allem "Let's Player". Sie spielen im Brotberuf Videospiele, filmen sich dabei und stellen das Ergebnis auf YouTube. Manche mit ernsterem Anspruch, manche nur, um im Spiel Blödsinn zu machen. Bei Letzterem lässt sich der pädagogische Wert hinterfragen, dass die YouTuber-Szene ein Sexismusproblem hat, ist auch recht schnell ersichtlich. Dass diese Videos jedoch Millionen Klicks haben, lässt sich nicht bestreiten. Auch nicht, dass die erfolgreichsten Protagonisten Millionen mit ihren Videos verdienen. Es bleibt nur zu akzeptieren, dass wir nach allen Auswüchsen des Fernsehens, die unsere Eltern wohl ebenso wenig verstanden haben (Glücksbärchis, Teletubbies, Spongebob etc.), bei YouTube-Stars angekommen sind. Was unseren Kindern und Geschwistern Spaß macht, sollten wir nicht vorschnell als Unsinn abtun, denn das nimmt uns die Chance, ernsthaft mit ihnen darüber zu diskutieren.

Gamer sind keine Minderheit

Wer bei dem Wort "Gamer" sofort einen pickeligen Teenager vor sich sieht, irrt. Einer Untersuchung des Pew Research Centers zu Folge spielt knapp die Hälfte der US-amerikanischen Bevölkerung Videospiele, 48 Prozent der Spieler sind Frauen. Zwischen 18 und 29 ist der Anteil jener, die Videospiele spielen mit 67 Prozent am höchsten, aber auch bei den 50- bis 64-Jährigen liegt der Anteil immer noch bei 40 Prozent. In Großbritannien spielen sogar mehr Frauen als Männer, insgesamt spielen 65 Prozent der britischen Internetuser zwischen 16 und 74 Jahren.

E-Sport-Events, bei denen professionelle Zocker gegeneinander kämpfen, füllen mittlerweile die größten Stadien. Das Finale der Weltmeisterschaft des Spiels "League of Legends" 2015 verfolgten insgesamt 14 Millionen Zuschauer.

Videospiele sind nicht nur Spiele

Videospiele haben sich über einen reinen Unterhaltungszweck längst hinaus entwickelt. Sie sind gesellschaftlich, wirtschaftlich und künstlerisch relevant.

Das Spiel "Ori and the Blind Forest", entwickelt in den österreichischen Moon Studios, erhielt dieses Jahr bei den British Academy Video Games Awards den Preis für "künstlerische Errungenschaft". 2012 hielt das Smithsonian American Art Museum eine Ausstellung ab, die sich mit Videospielen als Kunstform beschäftigte. Die "Into the Pixel" trifft jährlich eine Auswahl der herausragendsten künstlerischen Darstellungen in Videospielen, jede davon auf ihre Art beeindruckend. Soundtracks zu Spielen sind entweder in ihrer Einfachheit legendär (Tetris, Super Mario) oder opulent beeindruckend (ein dreißig-stimmiger Chor sang das Titellied zu "The Elder Scrolls V: Skyrim" ein). Videospiele sind längst eine eigene Kunstform. Eine Kunstform, die ähnlich wie Musik oder Film Einfluss auf Millionen Menschen nimmt.

Viele Spiele bedienen leider auch gängige Stereotypen, Rassismen und Sexismen aus unserem Alltag spiegeln sich oft allzu deutlich in Handlung und Charakteren wieder. Es gilt auch hier mehr Diversität und Gleichberechtigung zu fordern und mitzudiskutieren, wie Spiele einen positiven Beitrag zu unserer Gesellschaft leisten können. Und das können sie auf jeden Fall, ihr großes pädagogisches Potenzial ist erwiesen.

"Es ist an der Zeit zu erkennen, dass das Medium erwachsen genug ist, wichtige Themen zu behandeln", betont Spieleentwickler Pawel Miechowski in einem Gespräch mit Zeit Online. Miechowski ist Chefautor des Spiels "This War of Mine", in dem Spieler das Überleben von Zivilisten in einem Kriegsgebiet sichern müssen. Tag für Tag gilt es Essen zu organisieren, Verletzungen zu verarzten, Entscheidungen zu treffen: Verbrennt man das letzte Buch, um die Überlebenden zu wärmen? Weist man den Bettler ab, der an der Tür klopft? Legt man sich mit einem Soldaten an, der einer Frau Gewalt androht? "Es geht darum, Entscheidungen zu treffen, sich selbst zu hinterfragen, was man alles tun würde, um in einem Krieg zu überleben", sagt Miechowski.

Videospiele sind nicht automatisch schlecht für Kinder

Mit jedem Amoklauf eines jungen Täters, der im Vorfeld einmal Shooter-Spiele wie "Counter-Strike" oder "Call of Duty" gespielt hat, kommt sie wieder: Die "Killerspiel-Debatte". Zuletzt wurde nach dem Attentat in München die Verbindung zwischen gewalttätigen Videospielen und Amokläufen hergestellt. Ein Zusammenhang, der von Wissenschaftern höchst kritisch hinterfragt wird. Mediale Gewalt, sei es im Kino, im Fernsehen oder in Form von Videospielen, kann einen negativen Einfluss auf Kinder, besonders Kleinkinder haben, aber Videospiele für Amokläufe verantwortlich zu machen, scheint angesichts der hohen Anzahl der aktiven Spieler, die keine solchen Taten verüben, nicht nur unfair, sondern entbehrt auch einer wissenschaftlichen Grundlage: "So etwas hat keinen Einfluss, ob man solche Taten begeht oder nicht", stellt Kriminalpsychologe Jens Hoffmann klar.