John Turturro
„Die Realität ist schlimmer“

John Turturro über „The Night Of“: „Die Realität ist schlimmer“

Zwischen Schuld und Sühne: John Turturro über „The Night Of“

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profil: In der von HBO und Sky produzierten achtteiligen Serie „The Night Of“ porträtieren Sie einen Anwalt, der in die Untiefen der US-amerikanischen Justiz eintaucht. Geht es dort wirklich so schlimm zu? John Turturro: In der Realität ist es wohl noch schlimmer. Die Gefängnisse sind überfüllt, die Angeklagten warten oft monatelang auf ihre Anhörungen. Dazu kommt, dass viele dieser Menschen psychisch krank sind und weder die Einrichtung noch die Medikamente bekommen, die sie benötigen. Das ist auch das Thema der Serie. Man muss sich die Frage stellen: Was passiert mit Menschen, die angeklagt sind und auf ihren Prozess warten? Was passiert mit ihren Familien?

profil: Ihre Serienfigur versucht die Tristesse, die Gewalt, den Hass und den Zynismus mit Humor zu konterkarieren. Turturro: John Stone ist ein fähiger Anwalt, er hat nur nicht die Nerven, vor Gericht zu ziehen. Die Menschen, die ich während meiner Recherche in der Mordkommission und im Gericht kennen lernen durfte, strotzen nur so vor schwarzem Humor. Sie können gar nicht anders. Stellen Sie sich vor, Sie hätten jeden Tag mit Toten zu tun.

Als Privatperson kann man da schon in Rage geraten.

profil: In der Pilotfolge sagt der Verteidiger zu seinem Klienten: „Vergessen Sie die Wahrheit!“ Sind Wahrheit und Gerechtigkeit nicht miteinander verbunden? Turturro: Nur weil etwas der Wahrheit entspricht, heißt es noch lange nicht, dass es vor den Geschworenen auch so gesehen wird. Als Privatperson kann man da schon in Rage geraten. Sehen Sie sich nur mal den Fall O. J. Simpson an.

profil: Nicht nur umstrittene Serien wie „Making a Murderer“ oder der erfolgreiche True-Crime-Podcast „Serial“ nehmen Bezug auf reale Mordfälle. Kann „The Night Of“ einen Einfluss auf die Debatte um das Justiz- und Strafvollzugsystem in den USA haben? Turturro: Es kann zumindest nicht schaden, sich Gedanken über ein System zu machen. Das ist auch eine Form der Zivilisation. Das System wird ohnehin schon seit längerer Zeit hinterfragt und sichtbar gemacht. Aber nur weil wir die vermeintlich richtigen Menschen wählen, heißt das noch lange nicht, dass sich etwas ändert.

John Turturro in "The Night Of"

profil: Man kennt Sie aus Filmen der Coen-Brüder, Sie haben mit Woody Allen gedreht und in der „Transformers“-Reihe mitgewirkt. Hatten Sie jemals Zweifel, sich auf eine TV-Serie einzulassen? Turturro: Nein, gar nicht. Es kommt eigentlich nur darauf an, mit welchen Personen man da arbeitet und wie gut die Drehbücher sind. Mit Steven Zaillian und Richard Price kann man nicht viel falsch machen.

profil: Sie sind Halbsizilianer, in New York geboren. Einen italienischen Pass haben Sie sich erst vor ein paar Jahren besorgt. Warum das? Turturro: Mein Vater ist Italiener. Ich habe viel in Europa gedreht und gearbeitet. Unter anderem mit Francesco Rosi und Nanni Moretti. Ich dachte mir, es wäre hilfreich, einen italienischen Pass zu haben, um einfacher in der Alten Welt arbeiten zu können. Das Problem war, dass ich nicht alle Informationen über meinen Großvater aus Palermo finden konnte. Sein Geburtsdatum auf der Heiratsurkunde war offensichtlich falsch. Er war viel älter, als er damals angab zu sein. Fündig wurde ich dann bei den Mormonen. Die wissen einfach alles über uns.

Das besondere an New York ist ja, dass man hier von Fremden nicht mehr sprechen kann.

profil: Sie leben in New York, ihrem Geburtsort. In „The Night Of“ nimmt die Stadt eine wichtige Rolle ein. Finden Sie New York City gut porträtiert? Turturro: Absolut. Nach der ersten Version der Pilotfolge dachte ich noch, dass der Rhythmus der Serie schneller sein müsste. Das haben wir aber gut hinbekommen. New York ist einfach eine sehr europäische Stadt. Wie man geht, wie man spricht, das ist in der Serie sehr wichtig. Das besondere an New York ist ja, dass man hier von Fremden nicht mehr sprechen kann. Denn hier kommt alles zusammen. Im Stadtteil Queens, wo ein Gutteil der Serie spielt, gibt es mehr Diversität als an jedem anderen Ort der Vereinigten Staaten.

profil: Sie haben Ihre Rolle in „The Night Of“ von James Gandolfini übernommen, der 2013 überraschend starb. Turturro: James war ein sehr guter Freund. Wir kannten uns seit Jahren, er hatte in meinem Film „Romance & Cigarettes“ die Hauptrolle gespielt. Ich war zunächst nicht sicher, ob ich den Job überhaupt annehmen kann. Es gab ja bereits einen ersten Piloten, in dem er einen kleinen Auftritt hatte. Seine Witwe meinte aber, es wäre gut, wenn ich es machen würde. Trotzdem war der Dreh diesmal anders, viel emotionaler für mich. James war ein verrückter, ein komplizierter Kerl. Ich liebe ihn noch immer.

Über „The Night Of“:

Eine verhängnisvolle Nacht in New York. Der pakistanische Student Naz (Riz Ahmed) besucht in Manhattan eine Party. Als er seine Mitfahrgelegenheit verpasst, schnappt er sich ungefragt das Taxi seines Vaters, um von Queens in die Lower Eastside zu kommen. Unterwegs nimmt er eine junge Frau mit, die in einer Nacht sein ganzes Leben verändern wird. Naz wird des Mordes angeklagt – und gerät mit seinem Verteidiger John Stone (John Turturro) in die Mühlen der amerikanischen Justiz.

Philip Dulle

Philip Dulle

1983 in Kärnten geboren. Studium der Politikwissenschaft in Wien. Seit 2009 Redakteur bei profil. Hat ein Herz für Podcasts, Popkultur und Basketball.