Regen Sie sich nicht so auf!

Gastkommentar von Kathrin Röggla: Regen Sie sich nicht so auf!

Über Kritik, Kampfvokabeln und festgefahrene Kommunikation in politisch bewegter Zeit.

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Bullshitter, erfahre ich auf der Tagung „Digitale Aufklärung für unsere Gesellschaft“ an der Kommunikationswissenschaft in Salzburg, sind es, die jetzt auf den Plan treten, keine Lügner im klassischen Sinn. Menschen, die irgendetwas behaupten, die auf den Vorwurf der Lüge nicht einmal reagierten, weil es ihnen ohnehin nur um eine publizistische Wirkung geht. Ihrem Publikum ist es anscheinend egal, ob jemand die Wahrheit sagt oder nicht. Diese reagierten ihrerseits nur noch auf die Reizwörter „rassistisch“ und „rechtsextrem“ mit Abwehr. Sinnlose Kampfvokabeln der sogenannt politisch Korrekten, meinen sie, die allesamt das Establishment darstellten, was sehr merkwürdig ist, denn sie selbst sind ja durchaus nicht nur die Verlierer, als die sie anfangs publizistisch dargestellt wurden.

Die ganze öffentliche Kommunikation sei im Moment festgefahren, erzählen mir in Wien Freunde, Ressentiment und Reflexe beherrschten die derzeitige Diskussion, da bewege sich nur noch wenig. Das Bedürfnis nach Veränderung dieser Situation sei groß, wie die überwältigende Rezeption eines Artikels von Florian Klenk aus dem „Falter“ zeige. Warum? Weil sich dessen Reportage um einen Normalbürger drehte. Einen Normalbürger und eben nicht einen hässlichen Neonazi; einen Normalverdiener, der vielleicht sogar ein Unternehmen leite, in dem vielleicht auch Muslime beschäftigt seien, und der fair sei, aber er würde den Journalisten erst einmal am liebsten angezündet haben, hat er aber dann doch nicht, sondern ihn getroffen.

Rechtsextreme als solche zu bezeichnen, ist richtig, aber bei wem kommt das an?

Richtig ist, man solle sich klarmachen, dass es sich nicht um die homogene Gruppe handelt, als die sie immer wieder medial vorgestellt wurde, wird auf der Tagung in Salzburg weiter berichtet. So viel ist mir klar, die Dämonisierung trage zur Auseinandersetzung mit dem Rechtspopulismus nicht mehr viel bei. Und jemand, mit dem man direkt nach einem Interview auf ein Bier ginge, würde er einen nicht gern angezündet haben, ist einfach ein Phänomen, das einen in jedem Fall nachdenklich stimmen kann. Als Schriftstellerin muss ich mich fragen, wie man Öffnungen in diese verfahrene Situation, wie man Bewegung in verhärtete Fronten bringen kann, für die in den meisten Teilen Deutschlands noch die Losung gälte: Nennt die Rechtsextremen doch bitte Rechtsextreme, wie es der Herausgeber des „Freitag“, Herr Augstein, vor zwei Wochen tat. Rechtsextreme als solche zu bezeichnen, ist richtig, aber bei wem kommt das an? Warum wirkt es nicht? Mir schwant nach diesem unseligen US-Präsidentschaftswahlkampf, dass deren Demontage schwieriger wird als gedacht.

Vielleicht reicht es aus, den Alarmismus aus der Stimme zu nehmen? Hatte ich denn einen? „Regen Sie sich nicht so auf!“, lautet eine auch in Österreich beliebte Bullshitter-Strategie, auf sachliche Kritik zu antworten. Das Problem ist: In Gesprächen mit Bullshittern müsste man diese gleichzeitig ignorieren und immer wieder an deren Themen dranbleiben. Bullshitter leben von der Kommunikationswilligkeit ihres Gegenübers – zumindest, bis sie ihr Ziel erreicht haben. Ich frage mich ja, was sie dann machen, wenn sie an der Macht sind: Kriege anzetteln, damit die Dinge in Bewegung bleiben, und es nicht so auffällt, dass sie nichts zu sagen haben?

Vielleicht reicht es einfach nicht mehr, die Grenzen zu ziehen. Gerade als Schriftstellerin weiß ich das, da muss noch etwas hinzukommen, möchte ich nicht in einem Land wohnen, das Blut und Boden wieder zum Maßstab erhebt, die Inländer von Ausländern trennt, die kulturelle Identität des Abendlandes auf ein Christentum einschwört, das sich aber nicht gemeint sehen will. Denn mit den Inhalten des Christentums hat das alles längst nichts mehr zu tun.

Bei meinem kurzen Österreich-Besuch diesen November habe ich jedenfalls begriffen, dass meine Rhetorik nach hinten losgeht.

Es heißt, die Medien-Bubbles, filter bubbles, die die US-Öffentlichkeit derzeit darstelle, die demokratische und die republikanische, verlaufen über das Konstruieren des jeweils anderen. Allerdings bleibt zu bemerken, dass die eine Blase über Ausschluss funktioniert und die andere als Ausschluss des Ausschlusses. Das ist meines Erachtens nicht das Gleiche. Es sind nicht zwei gleichberechtigte Sichtweisen, die sozusagen nur ein wenig anders die Lage einschätzen. Bei meinem kurzen Österreich-Besuch diesen November habe ich jedenfalls begriffen, dass meine Rhetorik nach hinten losgeht, meine Ansagen, dass ein Rassist ein Rassist sei, zu wenig ist, dass auch die Aussage, eine Volkswirtschaft könne unter dem Zeichen des reinen Protektionismus nicht funktionieren, wenige zu interessieren schien, Europa zu verlieren und zu den Nationalstaaten zurückzukehren einen politisch irrsinnigen Rückschritt bedeutete, den wir bitter bereuen würden – groß ist das Bedürfnis, es den Großparteien einmal zu zeigen, die gerade dabei sind, ihren Namen zu verlieren, weil sie die soziale Frage nicht neu definieren und keine Alternativen anbieten. Weil Solidarität anscheinend noch immer nicht der Begriff werden konnte, auf den wir wieder setzen sollten, weil keine politischen Kollektive adressiert werden, die sie umsetzen könnten?

Warum braucht es ansonsten diese Zombie-Kollektive eines Nationalstaates? Natürlich wünsche ich mir einen Präsidenten, der alle Österreicher vertritt, aber dann wirklich alle: Frauen, Homosexuelle, Migrantinnen und Migranten, Intellektuelle, Hackler und Hacklerinnen, Arbeitslose. Und die Witzigen. Denn über Humor, das zumindest ist eindeutig erwiesen, verfügen keine Rechtspopulisten.

Kathrin Röggla, geboren 1971 in Salzburg, lebt und arbeitet seit 1992 in Berlin. Zuletzt erschien der Band „Nachtsendung“, eine Sammlung, so der Untertitel, „unheimlicher Geschichten“.