Rainer Nikowitz: Bulxit

Rainer Nikowitz: Bulxit

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Die Briten haben also mehr als nachhaltig verdeutlicht, dass ihre Einstellung zu Europa jener zu gutem Essen in nichts nachsteht. Man muss ihnen dankbar sein. Denn das war natürlich nur der Anfang. Von etwas ganz Großem. Was sich jahrelang unterschwellig anpirschte, bricht sich jetzt endlich Bahn! Die vernünftigen Kräfte werden über kurz oder lang überall gewinnen. Bei Referenden. Bei Wahlen. In ganz Europa. Und wir alle miteinander haben noch nicht die geringste Vorstellung, wie großartig das dann sein wird!

Bis dahin ist aber natürlich noch einiges an Arbeit zu leisten, der Erfolg wird sich nicht ganz von selbst einstellen. Die gebratenen Tauben fliegen auch den Richtigen nicht ins Maul, aber, wie HC Strache anlässlich der Präsentation der neuen Öxit-Hymne "Wir schleichen uns aa“ von der John-Otti-Band augenzwinkernd feststellte: "Nach einem Öxit ist selbst das nicht auszuschließen!“

Mit ihm schunkelten im Prater Geert Wilders, der einen "Next Nexit“-Button auf seinem fliederfarbenen Sakko trug, sowie ein Neuzugang im Kreis des Europas der Vaterländer: Horst Diedrichsen, charismatischer Kopf der bulgarischen Austrittsinitiative "Bulxit“. Er sah seine noch junge Bewegung auf einem guten Weg, räumte aber ein, dass er in jener Vorstandssitzung, in der der Name für die Bewegung beschlossen worden war, besser auf das Englisch sprechende Mitglied gewartet hätte. Darauf angesprochen, dass seine Kampagne möglicherweise den Schwachpunkt aufweise, dass er gar kein Bulgare sei, sondern ein Kampfsporttrainer aus Mecklenburg-Vorpommern, meinte Diedrichsen: "Keineswegs. Dieses Referendum wird nämlich überall stattfinden - außer in Bulgarien.“

Das Trennende muss endlich wieder über das Gemeinsame gestellt werden.

Mit Namensproblemen kämpfen einige andere Austrittsbewegungen indessen auch (Marine Le Pen: "Ein Fraxit wäre kein Beinbruch!“). So ist die Zyxit-Kampagne etwas ins Stocken geraten, seit bekannt wurde, dass sich Monsanto die Namensrechte für ein neues Unkrautvertilgungsmittel gesichert hat. In der Zentrale der Kollegen von "Fixit“ sind die dort prekär beschäftigten echten Finninnen ständig damit beschäftigt, Anrufern mit Blechschäden und Rohrbrüchen einen grundlegenden Irrtum vor Augen zu führen. Und während zwischen Polen und Portugal zwar Eiszeit, aber wenigstens gespannte Ruhe herrscht, gaben Vertreter der "Sloxit“-Lager in Slowenien und der Slowakei gestern einen Vorgeschmack auf die kommende, konsensuale Partnerschaft in Europa. Die Slowenen betonten in einer Aussendung, der Begriff gehöre ihnen, und jeder, der dies bestreite, müsse mit ernsten Konsequenzen rechnen. Der slowakische Premier Robert Fico reagierte kühl: "Die sollen froh sein, dass Österreich zwischen uns liegt. Sonst wär ich schon drüben.“

HC Strache mahnte die Gesinnungsfreunde in den Nachbarländern zu Besonnenheit und versicherte gleichzeitig beiden, Verständnis für ihre Herangehensweisen zu haben: "Es ist einfach das Gebot der Stunde, dass wir nunmehr endlich unsere gemeinsamen Probleme alleine lösen.“

In Deutschland vermelden die Produzenten von Kuckucksuhren und Gemälden, auf denen ein röhrender Hirsch auf einer Waldlichtung zu sehen ist, zweistellige Umsatzzuwächse. Frankreich erwägt, eine gesetzliche Verpflichtung zum Tragen von Schnauzbärten, Baskenmützen und unter den Arm geklemmte Baguettes einzuführen. In Italien trennen sich der Norden vom Süden, Südtirol vom Norden, Siena von der Toskana und Gian von Franco. Luxemburg will seinen Austritt aus der EU mit der aktienrechtlichen Umwandlung des Landes in eine diskrete Investmentbank verbinden, betont aber, allen EU-Bürgern nachher erst recht freundschaftlich verbunden bleiben zu wollen.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan versicherte der schlingernden EU seine ungeteilte Unterstützung. Allerdings relativierte er das türkische Beitrittsansuchen etwas. "Da die EU ja nun bald zerfallen wird, ist ein Vollbeitritt der Türkei aus unserer Sicht nicht mehr zwingend. Wir könnten uns auch eine Teillösung vorstellen.“ Auf die Nachfrage, was das konkret bedeute, gab sich Erdogan eher ausweichend: "Griechenland würde uns schon länger gefallen. Seit ungefähr 600 Jahren.“ Vladimir Putin reagierte umgehend und ließ verlautbaren, das könne sich der Sultan schleunigst wieder abschminken. Es sei denn, das Baltikum lege endlich seine kindische Sturheit ab und sehe langsam ein, wo es wirklich hingehöre. Die chinesische Regierung wiederum reagierte auf die anhaltenden Turbulenzen mit einer an ganz Europa gerichteten aufmunternden Grußbotschaft, einem alten chinesischen Sprichwort: "Möget ihr in interessanten Zeiten leben!“

Ja, es war hoch an der Zeit für diese Revolution. Schließlich geht es uns ja deutlich schlechter als unseren Vorfahren. Und als allen anderen. Also muss das Trennende endlich wieder über das Gemeinsame gestellt werden. Dass das alte, weise Europa so lang gebraucht hat, um da wieder draufzukommen, ist eigentlich eh ein Wunder.