Die große Rochade

US-Wahlen: Die große Rochade

Amerikas Politik erlebt eine totale Umkehrung der Verhältnisse.

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Noch hoffen Donald Trump und seine Anhänger auf einen Brexit-Effekt. Beim britischen Referendum hatten sich die Meinungsforscher und Wettbüros total verschätzt. So bleibt Trump, trotz für ihn überaus düsteren Umfragedaten, eine kleine Chance, doch noch Hillary Clinton zu besiegen. Spannung also bis zuletzt.

Aber wie immer auch die Wahlen ausgehen mögen: Die in den vergangenen Monaten zu Hauf durchgeführten demoskopischen Erhebungen zeigen tektonische Verschiebungen in der amerikanischen Politik, die als historisch zu bezeichnen sind. Das erste Mal in der US-Geschichte wird ein demokratischer Präsidentschaftskandidat von einer Mehrheit der Weißen mit höherem Bildungsniveau gewählt. In der jüngsten Umfrage von ABC News führt Hillary unter College-Absolventen 52 zu 36 Prozent. Bei den weißen Frauen unter ihnen ohnehin – mit 62 zu 30. Und selbst bei den weißen Männern mit abgeschlossenem Collegestudium hat die Demokratin mit Trump, dem republikanischen Kandidaten gleich gezogen (42 zu 42). Noch die republikanischen Kandidaten John McCain 2008 und Romney 2012 hatten sichere Mehrheiten der weißen Bildungsschichten hinter sich versammeln können.

Das ist dramatisch. Thomas B. Edsall in der „New York Times“ spricht von „einer totalen Umkehrung der Verhältnisse“. Und tatsächlich wird jetzt sichtbar, dass Amerika eine große Rochade erlebt. Erdsall: „Von den 1930er-Jahren bis zum Ende vergangenen Jahrhunderts wählten die weißen Unterschichten die Demokraten, die oberen Mittelschichten die Republikaner. Jetzt ist es genau umgekehrt“.

Der gut verdienende weiße Mittelstand und große Teile der Oberschicht wiederum haben die Republikaner verlassen und wählen nun demokratisch.

War die Demokratische Partei Franklin D. Roosevelts mit ihrer New-Deal-Politik die Partei der weißen Arbeiterklasse, ist diese mehrheitlich nach rechts gerückt und zu den Republikanern gewechselt. Der gut verdienende weiße Mittelstand und große Teile der Oberschicht wiederum haben die Republikaner verlassen und wählen nun demokratisch. Und sie haben nicht nur die Partei gewechselt. Sie sind in ihren Einstellungen mit der Demokratischen Partei nach links gerückt, ja, die – wie man in Europa sagen würde – bürgerliche Jugend Amerikas war geradezu die treibende Kraft der Linksentwicklung der Partei Hillary Clintons. Sie gaben die enthusiastischen Unterstützer des Sozialisten Bernie Sanders.

Gewiss: Antirassistisch, antisexistisch und tolerant gegenüber den verschiedensten Lebensentwürfen waren die gut gestellten weißen Bildungsschichten bereits seit längerem. Dass sie, wie die Umfragen zeigen, nicht nur gesellschaftspolitisch, sondern jetzt auch ökonomisch links eingestellt sind – für Umverteilung nach unten und für wohlfahrtsstaatliche Politik – ist jedoch ein Phänomen rezenteren Datums.

Die neue politische Konstellation in Amerika holzschnittartig dargestellt:

Die Demokraten stellen ein Bündnis weißer wohlhabender Mittel- und Oberschichten mit den nichtweißen (schwarzen, hispanischen und asiatischen) Minderheiten dar – die in ihrer überwältigenden Mehrheit niedriges Einkommens- und Bildungsniveau aufweisen. Die Republikaner hingegen sind heute eine nach rechts gerückte weiße Unterschichtspartei, geführt von einer reichen weißen Elite, die aber von den republikanischen Wählern immer weniger akzeptiert wird: Die Trump-Revolte ist nicht zuletzt ein Aufstand gegen das republikanische Establishment.

So sind die Demokraten die Profiteure der Bevölkerungsentwicklung. Und das wahrscheinlich für längere Zeit.

Diese gewaltige politische Rochade baut freilich bereits auf einer anderen Rochade auf, die vielfach bereits in Vergessenheit geraten ist: Bis in die sechziger Jahre, waren die Republikaner des Sklaverei-Abschaffers Abraham Lincoln die Partei der Schwarzen. Diese wählten – wenn sie durften – durchgängig republikanisch. Erst mit den Bürgerrechtsgesetzen, die vor einem halben Jahrhundert von demokratischen Regierungen auf den Weg gebracht wurden, konvertierten die Afroamerikaner. Sie wählen heute zu etwa 90 Prozent demokratisch.

Die Minoritäten wachsen durch Zuzug und höhere Geburtenraten und werden in absehbarer Zukunft zur Mehrheit in der amerikanischen Gesellschaft. Die weiße Bevölkerung (und im besonderen die weiße Arbeiterklasse) verliert also an Gewicht. So sind die Demokraten die Profiteure der Bevölkerungsentwicklung. Und das wahrscheinlich für längere Zeit.

Sollte die weithin ungeliebte Hillary Clinton nun am 8. November, wie es sich jetzt abzeichnet, trotz allem triumphieren, dann hat sie das nicht zuletzt Donald Trump zu verdanken, der mit seinem Rassismus, mit seiner Frauenfeindlichkeit und seinem so unmöglichen rabiaten Auftreten für viele, die sonst einem republikanischen Kandidaten ihre Stimme gegeben hätten, unwählbar wurde.

Nicht minder wäre aber die Demographie entscheidend für ihren Sieg. Dieser wäre jedenfalls Ausdruck jener großen Rochade, welche die amerikanische Politik nun so grundlegend verändert hat.

Georg Hoffmann-Ostenhof