Schafft Van der Bellen den Einzug in die Hofburg?
"Hofer ist der verlängerte Arm von Strache"

Alexander Van der Bellen: "Hofer ist der verlängerte Arm von Strache"

Alexander Van der Bellen über die Grundstimmung der Angst.

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profil: Seit dem ersten Wahlgang heißt es, jede Polarisierung, jede Angriffigkeit nutze nur der FPÖ. Woher kommt diese Grundstimmung? Van der Bellen: Die gibt es nur in den Köpfen mancher Politiker und Journalisten. FPÖ-Generalsekretär Kickl sendet jeden Tag eine Schmähschrift gegen mich oder meine Unterstützter aus und diffamiert sie systematisch, immer unter der Gürtellinie. Macht jemand so etwas, wenn er sich seines Sieges sicher ist?

profil: Bestreiten Sie, dass eine Grundstimmung der Angst vorherrscht? Van der Bellen: Es gibt eine berechtigte Angst, was passiert, wenn Norbert Hofer gewinnt. Es wäre ja auch unvernünftig, sich keine Sorgen zu machen – immerhin ist Hofer der verlängerte Arm von Herrn Strache und betont bei jeder Gelegenheit, er werde keinen Millimeter von der FPÖ-Parteilinie abweichen, auch wenn er Bundespräsident werden sollte.

Es ist eine Entscheidung zwischen konstruktiv und destruktiv, zwischen Miteinander und Gegeneinander.

profil: Warum wollen Sie partout einen Lagerwahlkampf vermeiden? Van der Bellen: Weil ich den Ausdruck Lagerwahlkampf nicht mag. „Lager“ ist etwas Verfestigtes, mit einem Zaun darum herum. Meine Wähler und Wählerinnen kommen aus allen Berufs- und Einkommensschichten, sie haben bisher alle möglichen Parteien gewählt. Es widerstrebt mir, das als „Lager“ zu bezeichnen. Aber es ist eine Entscheidung zwischen konstruktiv und destruktiv, zwischen Miteinander und Gegeneinander, zwischen Verbindendem und dem trennenden Orbánismus, der Herrn Strache offenbar vorschwebt.

profil: Verstehen Sie Menschen, die nach den Kriminalfällen am Praterstern oder Brunnenmarkt Angst vor Flüchtlingen haben? Van der Bellen: Diese Attacken sind schrecklich. Klar verstehe ich die Ängste. Auf der anderen Seite haben wir in zwei Dritteln aller Gemeinden Flüchtlingsunterkünfte, die gut funktionieren. Aber wenn nur ein halbes Prozent der Neuankömmlinge kriminell ist, sind das immer noch 500 Leute zu viel, die mit aller Schärfe des Gesetzes zur Rechenschaft gezogen werden müssen. Es gibt aber auch Probleme auf dem Arbeitsmarkt, die alle betreffen, das dürfen wir nicht verschweigen.

Der Lagerarbeiter, der früher mit seinem Wagerl hin und her gefahren ist, muss jetzt einen Computer bedienen können.

profil: Ihren Job als Universitätsprofessor hätte Ihnen kein Migrant weggenommen. Wären Sie Bauarbeiter, hätten Sie zittern müssen. Van der Bellen: Das hat mit den Flüchtlingen wenig zu tun, aber zweifelsfrei haben wir im schlecht bezahlten Segment des Arbeitsmarkts, wo Menschen mit geringer oder keiner Qualifikation unterzukommen versuchen, ein Problem. Die Hilfsarbeiterjobs der 1960er- und 1970er-Jahre verschwinden. Der Lagerarbeiter, der früher mit seinem Wagerl hin und her gefahren ist, muss jetzt einen Computer bedienen können.

profil: Das erzeugt Ängste und führt Populisten zu Erfolgen, etwa Donald Trump in den USA. Ist das eine Rache an den Eliten? Van der Bellen: Mag sein, dass die Eliten versagt haben, aber die Frage ist: Kommt mit Trump etwas Besseres nach? Der ist ja ärger als alles, was demokratische Eliten in den USA jemals verbockt haben könnten. Ein Milliardär als Vertreter der stagnierenden unteren Mittelschicht? Absurd! Auch die Burschenschafter der FPÖ im Parlament haben mit dem Großteil der FPÖ-Wähler gar nichts gemeinsam. Die FPÖ ist nicht sozial, ich sehe bei der FPÖ auch keine wirtschaftspolitische Kompetenz. Ich habe kürzlich nachgedacht, wer die Wirtschafts- und Finanzsprecher der FPÖ sind. Es ist mir nicht eingefallen. Das sagt doch alles.

Eva   Linsinger

Eva Linsinger

Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin