Die Platzhalter

Was wurde aus dem Flüchtlingsquartier in der Slowakei?

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Wenn auf einen Menschen rund 250 Quadratmeter Wohnfläche fallen, stellt man sich schnell etwas Luxuriöses vor. In der slowakischen Kleinstadt Gabcikovo erscheint es auf den ersten Blick eher skurril. In einem weitläufigen grauen Gebäudekomplex hat Österreich dort derzeit 15 Asylwerber in der Grundversorgung untergebracht. Das ehemalige Studentenwohnheim besteht aus aneinandergereihten Betonblöcken. Es liegt außerhalb der Stadt und wirkt verlassen. Doch auf der straßenabgewandten Seite wohnen die Flüchtlinge in zwei der schon etwas heruntergekommenen Blockbauten.

Das Quartier entstand aus einer Notsituation heraus. Als vergangenen Sommer eine weitere Flüchtlingswelle die Erstaufnahmezentren an die Grenzen ihrer Kapazitäten brachte und Hunderte in Traiskirchen im Freien schlafen mussten, nahm die damalige Innenministerin Johanna Mikl-Leitner Gespräche mit der Slowakei auf. 500 Asylwerber sollten im Nachbarland unterkommen. "Für Österreich ist das unterm Strich billiger“, erklärte Mikl-Leitner. Die slowakische Regierung kam für die Versorgung und Unterbringung der Flüchtlinge auf, Österreich zahlte nur die Betreuung und den Sicherheitsdienst.

Für Österreich ist das unterm Strich billiger

Inzwischen hat sich die Lage geändert. In Österreich stehen viele Betten leer, sowohl in Länderquartieren als auch auf Bundesebene. Warum müssen also 15 Asylwerber in der Slowakei ausharren?

Als das Innenministerium vergangenen Sommer den geplanten Deal mit der Slowakei ankündigte, wurde schnell Kritik laut. Die Grüne Menschenrechtssprecherin Alev Korun bezeichnete die Maßnahme als "Asyldumping in Europa“. Amnesty-Generalsekretär Heinz Patzelt äußerte "angewidertes Entsetzen“. Auch auf slowakischer Seite war der Widerstand groß. Die 5400 Einwohner der Kleinstadt stimmten in einer unverbindlichen Volksbefragung mit 97 Prozent gegen die Beherbergung von Flüchtlingen in ihrer Stadt. Zweimal marschierten slowakische Rechte auf, um gegen die Unterbringung zu protestieren.

Mitte September war es dann doch so weit, die ersten Flüchtlinge kamen in Gabcikovo an. Nach wenigen Wochen verstummten die kritischen Stimmen. Die Koordination vor Ort funktionierte, Traiskirchen wurde durch die Auslagerung zumindest teilweise entlastet. Das Innenministerium handelte Gabcikovo alsbald als Vorzeigemodell. Im September 2015 führte Mikl-Leitner UN-Generalsekretär Ban Ki-moon durch das Heim. Bis Februar 2016 waren bereits 1000 Asylwerber aus Österreich in der Slowakei untergebracht worden.

Eduard Sagbazarian ist einer von den 15, die das Innenministerium über die Grenze geschickt hat. Der syrische Zahnarzt steht mit einigen der anderen Asylwerber im Kreis. Es sind ausschließlich Syrer, drei von ihnen Frauen und vier Kinder. Kommt es unter ihnen zu Problemen? Alle lachen. "Wir sind wie eine große Familie“, sagt Sagbazarian. In Syrien sei es normal, dass man mit Menschen unterschiedlicher Religion zusammenwohne.

Wir sind wie eine große Familie

Einige der Flüchtlinge in Gabcikovo sind Muslime, andere armenische Christen. In der Unterkunft fühlen sie sich wohl. Das ORS-Personal sei freundlich und die Versorgung gut, sagen sie. Jeden Tag haben sie eine Stunde Deutschkurs mit einem slowakischen Professor. Den restlichen Tag treiben sie Sport, schauen Filme und lernen für ihren Kurs. Gabcikovo besuchen sie nur für Besorgungen und manche für die Kirche. Ansonsten leben sie abgeschottet, kaum jemand der Einwohner der Stadt spricht Deutsch oder Englisch.

Rund vier Monate warten sie auf ihren Asylbescheid. Dann dürfen die Asylwerber nach Österreich.

Laut Innenministerium läuft der Deal mit der slowakischen Regierung erst im September 2017 aus. Bis dahin werde der Betrieb aufrechterhalten. Grund dafür seien vor allem Prävention und geringe Kosten. "Es ist einfacher, mehr Flüchtlinge in einem laufenden Quartier unterzubringen, als ein neues zu eröffnen“, argumentiert der Sprecher des Innenministeriums, Karl-Heinz Grundböck. Wie auch bei anderen Bundesquartieren werde der Versorgungsbetrieb für den Eventualfall erhalten. Sollte sich die Flüchtlingsbewegung des Vorjahres wiederholen, wolle man vorbereitet sein. Die Quasi-Geisterstadt bleibt also erhalten, mit 15 Flüchtlingen als Platzhalter.