Die Vermögensbilanz Österreichs

Das Budgetdefizit ist nur die halbe Wahrheit. Seit 2013 erstellt der Rechnungshof auch eine Vermögensbilanz.

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Die Oppositionsparteien hielten sich an das gewohnte Ritual: Bruno Rossmann von den Grünen kritisierte die neoliberale Agenda des Finanzministers. Der NEOS-Abgeordnete Rainer Hable bemängelte, er habe eher eine Wahlkampf- als eine Budgetrede gehört. FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache ortete einen Stillstand in der Koalition.

Die Regierung stellt ihr Budget vor, die Opposition kritisiert es. So läuft das eben im demokratischen Betrieb. Dieses Mal gab es allerdings eine Abweichung vom üblichen Prozedere. SPÖ und ÖVP stritten derartig erbittert miteinander, dass den anderen Parteien kaum mehr Angriffsflächen blieben. "Sollen wir rausgehen?“, twitterte NEOS-Chef Matthias Strolz während des großkoalitionären Schlagabtauschs.

Begonnen hatte es damit, dass Finanzminister Hans Jörg Schelling in seiner Budgetrede am Mittwoch ausschließlich SPÖ-geführte Ressorts - nicht explizit, aber deutlich - der Geldverschwendung bezichtigte. Tags darauf revanchierte sich der Koalitionspartner. Reformen im Schlafwagentempo würden Österreich nicht weiterbringen, keppelte Bundeskanzler Christian Kern. Wer die Budgetdebatte aufmerksam verfolgte, konnte immerhin seinen Zitatenschatz erweitern. Vom Finanzminister kam eine wenig gebrauchte Shakespeare-Weisheit ("Worte zahlen keine Schulden“), vom Bundeskanzler ein Songtitel von Elvis Presley ("A little less conversation“), dazwischen fand SPÖ-Klubobmann Andreas Schieder noch Gelegenheit, Ferdinand Raimund ("Der Bauer als Millionär“) zu erwähnen.

Die Koalitionsparteien werden demnächst wahrscheinlich das Ende ihrer unglücklichen Zweckbeziehung bekanntgeben. Nett von ihnen, dass sie davor noch etwas für die Allgemeinbildung tun.

Das strukturelle Defizit verschleiert mehr als es erhellt

Wie die Republik finanziell nun wirklich dasteht, wurde bei all dem Gezeter leider nur am Rande erörtert. Die Antwort: ziemlich schlecht. Eine weitere Wirtschaftskrise oder noch eine große Bankenpleite könnten wir uns derzeit nicht ohne gröbere Verwerfungen leisten. Zwar präsentierte Finanzminister Schelling für 2017 ein Budget, das den Vorgaben der EU entspricht. Das sogenannte "strukturelle Defizit“ wird nach seiner Planung bei 0,5 Prozent liegen und damit niedriger ausfallen als ursprünglich befürchtet. Außerdem werde sich, so Schelling, die Verschuldung des Bundes von derzeit 83,2 Prozent des BIP auf 80,9 Prozent reduzieren. Klingt erst einmal ganz gut - verrät aber leider nicht die ganze Wahrheit. Das strukturelle Defizit ist ein seltsames Rechenkonstrukt, das mehr verschleiert als es erhellt. Mit dem Sanktus aus Brüssel darf Österreich etwa die Kosten für die Flüchtlinge - insgesamt rund zwei Milliarden Euro pro Jahr - einfach herausrechnen. Bezahlt werden muss diese Summe aber natürlich trotzdem.

Näher an der Realität sind jene Zahlen, die auf insgesamt 1800 Seiten im Bundesrechnungsabschluss ausgebreitet werden. Seit 2013 wird darin nicht mehr nur, wie bis dahin üblich, eine simple Einnahmen-Ausgaben-Rechnung geboten. Die Republik bilanziert seither wie ein Unternehmen, weist also ihre Aktiva und Passiva aus. Dazu kommt noch eine Ergebnisrechnung, die etwa dem entspricht, was in der Betriebswirtschaft als Gewinn- und Verlustrechnung bekannt ist. Groß vermarktet wurde das alles bisher nicht. Man wollte das Volk wahrscheinlich nicht beunruhigen.

Ein Blick in dieses Konvolut offenbart nämlich, dass die Österreicher in nur drei Jahren um fast 20 Milliarden Euro ärmer geworden sind - und zwar auf Basis einer ohnehin schon schlechten Ausgangslage. Aktiva von etwas über 88 Milliarden Euro standen zuletzt Passiva in der Höhe von 241,5 Milliarden gegenüber. Die Republik war Ende 2015 also mit 153,36 Milliarden Euro überschuldet (siehe Grafik). Ein Unternehmen mit solchen Kennzahlen müsste umgehend Insolvenz anmelden und hätte wohl eine Klage wegen Konkursverschleppung am Hals.

Selbstverständlich wäre es unseriös, einen Staat mit einem Konzern gleichzusetzen. Der Bund kann, wenn es eng wird, die Steuern erhöhen und seine Leistungen einschränken. Anders als die Kunden eines Unternehmens können die Bürger ja nicht einfach zur Konkurrenz wechseln. Ein Bankrott Österreichs steht also trotz der alarmierenden Zahlen nicht bevor. Doch die penible Auflistung von Vermögenswerten und Fremdmitteln bietet eine wesentlich genauere Sicht auf die Problemfelder des Landes. "Es geht darum, ein umfassendes, transparentes Bild von der finanziellen Situation zu bekommen“, sagt Patrick Kainz, Experte im Finanzministerium. Die neue Rechnungshofpräsidentin Margit Kraker formulierte die daraus gewonnenen Erkenntnisse anlässlich der Präsentation im Parlament vor ein paar Wochen deutlich: "Das Vermögen des Staates wird jährlich kleiner, und dieser Trend muss gestoppt werden.“

Es geht darum, ein umfassendes, transparentes Bild von der finanziellen Situation zu bekommen

Die Einführung einer Vermögensrechnung für den Bund war eines der letzten Großprojekte der damaligen Finanzministerin Maria Fekter. Die Eröffnungsbilanz wurde von ihrem Ressort erstellt, seither erledigt der Rechnungshof diese Arbeit. Österreich gehört damit zu den Vorreitern; diese Art der Buchführung ist derzeit noch die Ausnahme. Weitere Länder würden aber wohl bald folgen, meint Kainz. "Man kann sagen, dass der Trend international in diese Richtung geht.“

Großteil des Vermögens bilden Sachanlagen

Den Bundesrechnungsabschluss als unterhaltsames Lesevergnügen zu preisen, wäre übertrieben. Aber wer sich die Mühe macht, findet in den dicken Wälzern eine Menge Informationen - zum Beispiel über das Familiensilber der Republik: Fast die Hälfte des Vermögens (44,4 Prozent) besteht derzeit aus Sachanlagen. Darunter fallen Grundstücke und die Wälder der Bundesforste, diverse Amtsgebäude und Kulturgüter. Nicht ganz 30 Prozent kommen aus Unternehmensbeteiligungen, der Rest sind Forderungen, großteils an die Steuerzahler.

Wertvollstes Kulturgut des Landes ist das Schloss Schönbrunn, das in der Bilanz mit rund 283 Millionen Euro zu Buche steht. Das Vienna International Center kommt auf 261 Millionen, die Staatsoper auf 97 Millionen, das Burgtheater auf fast 93 Millionen. Bei den Unternehmensbeteiligungen liegt die Nationalbank mit einem Buchwert von fast 4,3 Milliarden Euro einsam an der Spitze, gefolgt von der Asfinag (3,3 Milliarden). Die vom Finanzminister in seiner Budgetrede einmal mehr als Kostentreiber gescholtene ÖBB stellt, wie die Auflistung zeigt, auch einen hohen Wert dar. Schienen, Züge und Gebäude der Bundesbahn stehen mit 2,25 Milliarden Euro in der Bilanz.

Anders als bei Unternehmen kann die Bewertung von Kulturgütern natürlich keine exakte Wissenschaft sein. Weil es für Schlösser und historische Amtsgebäude keinen Markt gibt, behalf man sich in der Eröffnungsbilanz mit Näherungswerten - je nach Nutzungskategorie und Zustand der Immobilie. Nicht kalkulieren lässt sich die touristische Bedeutung von Museen und Schlössern - oder jene der schönen Landschaft. Der Großglockner beispielsweise ist ja nicht bloß ein großes Grundstück, auf dem nichts wächst, sondern auch ein Symbol für das Land und eine Attraktion für viele Österreichurlauber. Stünde die Republik zum Verkauf, müsste man über die Bewertung solcher Extras wohl noch einmal nachdenken. Aber das ist ja zum Glück nicht geplant.

Dem Vermögen des Bundes stehen, wie erwähnt, gigantische Schulden gegenüber. Sie erhöhten sich allein von 2014 auf 2015 um fast 5,8 Milliarden Euro. Dabei gilt 2015 in budgetärer Hinsicht eigentlich als ein gutes Jahr. Der Finanzminister durfte sich über ein strukturelles Beinahe-Nulldefizit freuen. Wie das zusammenpasst? "Die Methodik des strukturellen Defizits ist in der Theorie eine feine Sache, in der Realität ist es der blanke Wahnsinn“, sagt ein Experte, der lieber ungenannt bleiben möchte. Abgebildet werde damit nur eine virtuelle Finanzlage unter virtuellen Rahmenbedingungen.

Aussagekräftiger ist die Ergebnisrechnung des Rechnungshofs, die Abschreibungen, Rückstellungen und langfristige Verpflichtungen berücksichtigt - und 2015 auf ein Minus von fast 4,8 Milliarden Euro kommt. Von einem seriös berechneten Nulldefizit war Österreich weit entfernt.

Geht es nach der SPÖ, wird der Abstand demnächst noch um 200 Millionen Euro größer. Bekanntlich wünschen sich die Genossen eine 100-Euro-Sonderzahlung für jeden Pensionisten. Vereinbart war das nicht, im Budget 2017 steht darüber nichts. Aber bald ist Weihnachten. Wer will da ans Sparen denken?

Rosemarie Schwaiger