Innenminister Sobotka

Rabiatperle

Eva Linsinger über den streitbaren Innenminister Wolfgang Sobotka.

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Es war eine gute Woche für Wolfgang Sobotka. Am Samstag laut über Schadenersatzklagen gegen schleißige Wahlbeisitzer sinniert, am Montag vollmundig mehr Polizei im Kampf gegen den Terror gefordert, am Dienstag gegen Pro-Erdogan-Demonstrationen in Wien gewettert, am Mittwoch ostentativ angekündigt, das Versammlungsrecht kritisch zu überprüfen und den Chef von Scotland Yard in London getroffen, am Donnerstag vehement auf die Flüchtlings-Obergrenze gedrängt, am Freitag vom Kanzler ätzend und höchstpersönlich als Minister mit bestem SMS-Draht nach Niederösterreich gewürdigt. Kurz: Kein Tag ohne Schlagzeilen.

In einer typischen guten Woche, etwa zwischen 8. und 14. Juli, kommt der umtriebige Innenminister 516 Mal in den Medien vor, abgehängt nur vom scheidenden Bundespräsidenten Heinz Fischer (629 Nennungen) und vom Regierungschef, Bundeskanzler Christian Kern (546 Artikel). Zum Vergleich: Kollegen wie Finanzminister Hans-Jörg Schelling, auch nicht gerade öffentlichkeitsscheu, schafften es in dieser Woche lediglich 195 Mal in die Medien, Vizekanzler und ÖVP-Parteiobmann Reinhold Mitterlehner sogar nur 181 Mal - von spröden Hintergrundarbeitern wie Sozialminister Alois Stöger und seinen kümmerlichen 82 Nennungen ganz zu schweigen.

Ein Hinterbänklerschicksal wie Stöger würde Sobotka nie ereilen. Dazu agiert er zu gekonnt als streitbarer Hardliner, der Meinungen aller Art präsentiert - notfalls auch mehrmals pro Woche eine andere. Die allgemeine Themenlage, von Terror über Wahlwiederholung bis zu Flüchtlingen, bietet einem Innenminister mit Mitteilungsdrang reichlich Stoff. Aber Ressortgrenzen sind für hyperaktive Politiker mit Rampensau-Qualitäten wie Sobotka nur dazu da, um überschritten zu werden. Selbst zur Mindestsicherung ist Sobotka öfter zu vernehmen als sein im Grunde zuständiger Kollege Stöger.

"Das Sicherheitsthema ist weitreichend und spielt in fast alle Bereiche hinein“, erklärt Sobotka selbst seine Omnipräsenz. Schon in seinen Antrittsinterviews machte er klar, dass mit ihm permanent zu rechnen ist: "Natürlich werden mein Kerngeschäft die 32.000 Polizisten sein, deren Chef ich bin. Aber verlangen Sie nicht, dass ich mich um sonst nichts kümmere.“

Permanenter Korrekturbedarf

Ein derartiger Drang zum Mikrofon birgt Risken, besonders dann, wenn Ansichten bevorzugt in forschem Ton vorgetragen werden, wie es Sobotkas Naturell entspricht. Meinungsstärke sichert Schlagzeilen - sie sorgt aber auch für permanenten Korrekturbedarf. Wenn Sobotka mit der Überzeugung vorprescht, Hitlers Geburtshaus solle abgerissen werden, muss seine Sprecherin tags darauf zurückrudern, der Chef habe nur "seine persönliche Meinung“ kundgetan. Wenn Sobotka seine Auffassung darlegt, das Wahlergebnis der Bundespräsidenten-Stichwahl werde erst Montagabend veröffentlicht, muss seine Sprecherin klarstellen, dass es bei der Bekanntgabe am Wahlsonntag ab 17 Uhr bleibe. Wenn Sobotka Anfang Juni in einem Interview trommelt, die Flüchtlings-Obergrenze sei bereits erreicht, muss seine Sprecherin relativieren, der Chef habe lediglich den Arbeitsmarkt gemeint. Ein gewisser Nachbesserungsbedarf ist bei derartigen Rabiatperlen im Ministeramt unvermeidbar.

Zurückhaltenderen Charakteren wären solche Korrekturschleifen womöglich unangenehm, der selbstbewusste Sobotka lässt sich von kleineren Malheuren aber nicht beirren. Neuer Tag, neue Meinung, neues Glück, neue Schlagzeile. Einmal geißelt er die "Unkenntnis“ des Bundeskanzlers, wenn dieser gegen OSZE-Wahlbeobachter bei der Stichwahlwiederholung auftritt, dann wieder kommt ihm die Idee, Ausländer schon bei Verurteilungen in erster Instanz in Schubhaft zu nehmen. Dass Rechtskundige wie Rupert Wolff, Präsident des Rechtsanwaltskammertages, solche Vorschläge für "vollständig überzogen und einen tiefen Eingriff in die verfassungsrechtlichen Grundrechte“ (Stichwort Unschuldsvermutung) halten, hält Sobotka aus. Widerspruch kratzt ihn wenig: "Wem etwas nicht gefällt, daran habe ich mich zeitlebens noch nie orientiert“, sagt er, stets in der ihm eigenen Hier-spricht-der-Chef-Haltung: grimmige Miene, fester Blick, erhobener Kopf, ausladende Armbewegungen.

Sobotkas Taktik

Jeder taktisch auch nur mäßig versierte Boxer kennt die Strategie, ständig in Bewegung zu bleiben, um so von potenziellen eigenen Schwachstellen abzulenken. Diese Praxis beherrscht Sobotka mit Raffinesse: Er schlägt so viel Wind, wirbelt derart herum, dass manchmal kaum auffällt, dass sein Ressort eigentlich ein Problemministerium de luxe ist. Das Innenministerium schafft es nicht, den Routinevorgang einer Wahl zur Zufriedenheit des Höchstgerichts abzuwickeln. Wahlwiederholungen gab es bisher nur in Staaten wie der Zentralafrikanischen Republik oder Südossetien. Oder: Nur um Haaresbreite landete Österreich nicht auf der Watchlist der Anti-Geldwäscheeinheit der OECD und damit in unrühmlicher Gesellschaft von Staaten wie Nordkorea oder Kirgisistan. Diese Peinlichkeit konnte gerade noch verhindert werden, eine deftige Rüge für die mangelnden Anstrengungen setzte es dennoch: Der österreichischen Geldwäschestelle fehle es an "Fähigkeiten, Kompetenzen und Personal“, um gegen Terrorismusfinanzierung anzukämpfen. Die gescholtene Einheit ressortiert im Bundeskriminalamt und damit im Innenministerium.

Keine Frage: All das wurde schon von Sobotkas Vorgängern über Jahre verbockt, er selbst ist erst seit drei Monaten im Amt - auch wenn es wegen seiner Dauerpräsenz länger erscheint. Eines jedenfalls kann er: Kritik wegdrücken. Das muss jeder im Albtraumjob Innenminister beherrschen, bisher schaffte es niemand, aus der Herrengasse unbeschädigt wieder herauszukommen. Außen- oder Finanzminister sammeln im Amt oft Popularitätspunkte und nutzen das für den Aufstieg ins Kanzleramt (in der Vergangenheit Franz Vranitzky, Wolfgang Schüssel, Viktor Klima, in Zukunft vielleicht Sebastian Kurz) - das Innenministerium hingegen ist oft eine Karrieresackgasse. Als Nächstes winkt in der Regel das politische Ausgedinge (Franz Löschnak, Karl Schlögl), maximal der Umzug in die Landespolitik (Johanna Mikl-Leitner, Günther Platter), ein Kurzzeit-Wechsel in ein anderes Ressort (Caspar Einem, Maria Fekter) oder, im allerschlimmsten Fall, eine Anklage vor Gericht (Franz Olah, Karl Blecha, Ernst Strasser). Die einzige Ex-Innenministerin mit halbwegs intakter Nachrede in den vergangenen Jahrzehnten war Liese Prokop - die im Amt verstarb. Dennoch gilt das Innenministerium als Traumziel, das viele zu ihrem Bedauern nie erreicht haben (Andreas Khol, Norbert Darabos).

Sobotka wäre lieber Landeshauptmann von Niederösterreich geworden. Die landestypische Haarkranz-Frisur hätte er gehabt, das Vertrauen von Erwin Pröll offenbar nur bedingt. Aber das kann sich ändern: Das von Christian Kern belästerte SMS von Sobotka aus der Ministerratssitzung hatte selbstredend dessen Chef als Empfänger: Erwin Pröll - auch eine Form der vertrauensbildenden Maßnahme.

Es war eine gute Woche für Wolfgang Sobotka.

Eva   Linsinger

Eva Linsinger

Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin