Duftboten

Der Geruchssinn ist unser am meisten unterschätzter Sensor.

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Die Lunge ist ein echter Feinspitz: Sie steht auf den Duft von Bananen und Marillen. Das fruchtige Odeur beruhigt nachweislich verkrampfte Bronchien - zumindest im Reagenzglas. Das hat der Zellphysiologe Hanns Hatt von der Ruhr-Universität Bochum herausgefunden. Er ist Riechsensoren dort auf der Spur, wo niemand sie vermuten würde: in der Lunge, in der Haut, im Darm, in Spermien und in Krebszellen. Hatts Labor ist derzeit weltweit das einzige, das sich mit menschlichen Geruchsrezeptoren außerhalb der Nase beschäftigt. In Zusammenarbeit mit mehreren Kliniken erforscht er, wie Körper- und Tumorzellen auf Gerüche reagieren.

Der Geruchssinn, also das Wahrnehmen von chemischen Substanzen, ist, evolutionär gesehen, der älteste Sinn

Wie kamen die Sensoren in diese Körperregionen und was machen sie dort? "Der Geruchssinn, also das Wahrnehmen von chemischen Substanzen, ist, evolutionär gesehen, der älteste Sinn“, sagt die Wiener Biologin Elisabeth Oberzaucher. Schon die ersten Lebewesen der Erde erkannten Nahrung, Sexualpartner und Feinde im Urmeer mithilfe von Geruchsensoren. Im Laufe der Entwicklung wanderten die meisten Rezeptoren bei Menschen und anderen Säugetieren in die Nase, bei Insekten in die Antennen. Konzentriert an einer exponierten Körperstelle, ermöglichen sie das Riechen, wie wir es heute kennen. Manche Sensoren blieben allerdings in anderen Organen sitzen. Welche Funktionen sie dort noch haben könnten, versuchen Riechforscher gerade herauszufinden.

Die Sensoren in der Nase sind für zwei essenzielle Sinne des Menschen bestimmend. Würden wir den Sonntagsbraten nicht riechen, würde er uns auch nicht schmecken. 80 Prozent der Wahrnehmung von Essen und Trinken erfolgen über die Nase. Bei der Partnerwahl spielt sie ebenfalls eine große Rolle: "Wir können unseren Geruch nicht fälschen. Über die Nase prüfen wir, ob ein Partner genetisch weit genug von uns selbst entfernt ist, um mit ihm Kinder zeugen zu können“, sagt Oberzaucher. Parfüms überdecken dabei nicht etwa den Eigengeruch, sondern werden intuitiv so ausgesucht, dass sie den individuellen Körperduft unterstreichen.

Amylbutyrat könnte Lungenkranken künftig helfen, die Luftzufuhr zu verbessern

Die Gewebezellen der Lunge können freilich nicht so riechen, wie wir es von der Nase kennen. Aber ihre Duftrezeptoren nehmen bestimmte chemische Moleküle wahr - und im Idealfall finden kreative Forscher genau jene Düfte, auf die sie ansprechen. Nun hat der Riechrezeptor OR2AG1, der in den Muskelzellen der Bronchien sitzt, eine Vorliebe für Amylbutyrat, synthetisch hergestellten Bananen-Marillen-Duft. Geruchsforscher Hanns Hatt versetzte die Muskelzellen zuerst mit Histamin, jenem Stoff, den der Körper bei allergischem Asthma ausschüttet. So imitierte er einen Asthmaanfall, bei dem sich die Muskeln rund um die Bronchien verkrampfen. Dann besprühte er die Proben mit dem fruchtigen Odeur. Das Ergebnis: Der Duft hob die Wirkung des Histamins auf, die Muskeln erschlafften. "Amylbutyrat könnte Lungenkranken künftig helfen, die Luftzufuhr zu verbessern“, sagt Hatt.

Im menschlichen Körper gibt es 350 verschiedene Arten von Duftrezeptoren. Jeder einzelne ist spezialisiert auf eine bestimmte chemische Molekülgruppe. Der Rezeptor für Vanille erkennt ausschließlich das Vanillinmolekül, ein Moschussensor nur das Moschusmolekül. Die Wissenschaft weiß bisher nur von 50 Rezeptoren, welcher Duft zu ihnen passt. Herausfinden können die Forscher das nur durch ein langwieriges Ausschlussverfahren: Sie stellen in menschlichem Gewebe einen bisher unbekannten Rezeptor her und beträufeln ihn so lange mit verschiedenen Duftextrakten, bis er reagiert. Das kann Monate oder gar Jahre dauern; bisweilen findet sich das passende Odeur gar nicht, weil es im Sortiment des Labors nicht vorhanden ist.

Der Zellbiologe Manfred Gratzl von der Ludwig-Maximilians-Universität München entdeckte 2007, dass auch der Dickdarm bestimmte Gerüche erschnüffeln kann. Er bestäubte die Rezeptoren in den Darmzellen mit Thymol, dem Hauptbestandteil von Thymian. Diese reagierten umgehend: Sie animierten die Darmzellen, den Botenstoff Serotonin auszustoßen. Dieser setzt den Darm in Bewegung und aktiviert die Verdauung. Zudem leiteten die Riechsensoren ihre Informationen an Bauchspeicheldrüse und Galle weiter, was deren Produktion von Verdauungssäften anregte. Das Aroma der Nelke wirkt ebenfalls verdauungsfördernd, wie Gratzls Forschungen zeigten.

Auch Tumoren sind empfänglich für verführerische Düfte. Seit Kurzem weiß man, dass Terpene, die Hauptbestandteile von ätherischen Ölen, Krebszellen am Wachsen hindern können. Die Zellen des Leberkarzinoms lassen sich zum Beispiel durch Zitrusdüfte bremsen. Sie besitzen in ihrem Inneren den Geruchssensor OR1A2. Wird er von einem Limettenduft namens Citronellal umschmeichelt, stößt er eine Erhöhung der Kalziumkonzentration in der Zelle an. Dies wiederum reduziert das Wachstum.

Ähnliches konnte Hanns Hatt vor einigen Jahren bei Prostatakrebszellen feststellen. Diese produzieren massenhaft Rezeptoren, die auf ein dem Veilchenduft sehr ähnliches Steroidhormon reagieren, das im Körper des Mannes natürlich vorkommt. Auch hier verblüffte die Wirkung des Blumengeruchs (sowie des Steroidhormons) auf die Krebszellen: Das Zellwachstum nahm signifikant ab und sank gegen null. Der Signalweg unterscheidet sich klar von jenem, den Riechzellen in der Nase wählen - sie melden ihre Information direkt ans Gehirn weiter. Die Sensoren in den Prostatakrebszellen hingegen berichten den Veilchenduft umgehend an den Zellkern, der daraufhin die Zellteilungsrate reduziert. Diese Entdeckung hilft heute bei der Diagnose von Prostatakrebs, denn in gesunden Prostatazellen kommt der Rezeptor für Veilchenduft nicht vor.

Wir vermuten, dass die Sensoren auch auf körpereigene Moleküle oder Stoffe, die von Bakterien produziert werden, die unseren Körper bevölkern, reagieren

In Leukämie- und Lungenkrebszellen befinden sich ebenfalls Duftrezeptoren. Warum sie in vielen Tumorzellen in großer Zahl vorkommen, konnten die Forscher noch nicht klären. "Wir vermuten, dass die Sensoren auch auf körpereigene Moleküle oder Stoffe, die von Bakterien produziert werden, die unseren Körper bevölkern, reagieren“, sagt Hatt. Sicher ist jedenfalls, dass die Rezeptoren, wenn sie vom richtigen Duft aktiviert werden, die Teilung der Krebszellen verlangsamen oder ganz verhindern.

Bis aus den Erkenntnissen der Geruchsforschung nach Veilchen duftende Krebsmedikamente oder Asthmasprays mit Bananenaroma entstehen, werden noch einige Jahre vergehen. Bevor ein Medikament am Menschen getestet werden kann, muss es sich im Tierversuch bewähren. Das ist bei Gerüchen äußerst schwierig: Während Menschen über 350 Duftsensoren verfügen, haben Mäuse und Ratten mit bis zu 1200 die besten Nasen im Tierreich. Die Ergebnisse von Geruchsversuchen mit Ratten auf den Menschen zu übertragen, ist entsprechend schwierig.

Eine Ausnahme ist der Duftstoff Veracetal, der ähnlich wie Jasmin riecht und in der Gardenienblüte vorkommt. Er beeinflusst im Gehirn genau jene Rezeptoren, die auch auf starke Schlafmittel wie Valium oder Propofol ansprechen. Das bewies Riechforscher Hatt zuerst im Reagenzglas an jenen menschlichen Nervenzellen, die für den Tag- und Nachtrhythmus zuständig sind, und später bei Mäusen. Jene Tiere, die den Duft einatmeten, schliefen innerhalb von zehn Minuten ein.

Leseempfehlungen:

Hanns Hatt, Regine Dee: Niemand riecht so gut wie du: Die geheimen Botschaften der Düfte. Piper, 320 Seiten, 11 Euro.

Hanns Hatt, Regine Dee: Das kleine Buch vom Riechen und Schmecken. Knaus, 224 Seiten, 16,50 Euro.

Franziska   Dzugan

Franziska Dzugan

schreibt für das Wissenschaftsressort und ist Moderatorin von tauwetter, dem profil-Podcast zur Klimakrise.