EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker mit dem Präsident der Europäischen Zentralbank Mario Draghi.

Tauziehen um Bankenregulierung

Damit in Zukunft nicht mehr allein der Steuerzahler für die Kosten von Bankenpleiten aufkommt, sollen die Gläubiger der Geldhäuser etwas mitzahlen. Aber wird das auch was? Wie die EU-Kommission in Brüssel mit Detailbestimmungen zentrale Bankenreformen hintertreibt.

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Es kommt die Zeit, da ist eine Reform vollendet. Dann halten Politiker und Experten noch einige Lobreden auf sie, bevor sie sich anderen Themen zuwenden. Dann feilen im Hintergrund die Beamten noch an letzten Details, aber die interessieren schon niemanden mehr.

Dabei kann gerade diese Phase einer Gesetzesentstehung äußerst heikel sein.

Zum Beispiel bei der Neuregelung der Bankenwelt in Brüssel. Es handelt sich um eines der größten Vorhaben der EU der vergangenen Jahre. Umfangreiche Reformen sollen den Finanzsektor für eine mögliche neue Krise wappnen. Das Ziel: Die Kosten dafür sollen nicht mehr allein am europäischen Steuerzahler hängen bleiben, so wie bei der vergangenen Finanzkrise im Jahr 2007. Ein Meilenstein in diese Richtung ist die sogenannte EU-Bankenabwicklungsrichtlinie. Sie regelt seit dem Jahr 2014, wer künftig mit welchem Geld zahlen soll, wenn Banken in finanzielle Schieflagen geraten.

Über das Kleingedruckte werden die Vorschriften der Abwicklungsrichtlinie entscheidend gelockert

Doch vergangenen Montag schob die EU-Kommission der Richtlinie noch eine "Delegierte Verordnung“ nach. Darin werden Details spezifiziert. Allerdings: nicht zum Guten, wie Kritiker meinen.

"Über das Kleingedruckte werden die Vorschriften der Abwicklungsrichtlinie entscheidend gelockert“, sagt Sven Giegold, grüner deutscher EU-Parlamentarier, der sich mit Bankenregulierung befasst. Christian Stiefmüller von der NGO "Finance Watch“ in Brüssel ergänzt: "Mit Detailbestimmungen höhlt die EU-Kommission Gesetze aus, zu denen man sich bereits durchgerungen hat.“

Beim Thema Bankenregulierung stehen viel Geld und Macht auf dem Spiel. Bankenlobbyisten setzen alles daran, manche Reformen doch noch abzuschwächen. Schenkt ihnen die EU-Kommission - also quasi die Regierung der EU unter Jean-Claude Juncker - zu viel Gehör?

Die Verordnung sei ein weiterer wichtiger Schritt zu einem "gut funktionierenden System, in dem nicht mehr die Steuerzahler für Probleme der Banken aufkommen“, freut sich per Aussendung der Brite Jonathan Hill, konservativer Politiker und zuständiger EU-Kommissar für Finanzmarktstabilität. Doch dem widersprechen nicht nur Giegold und Stiefmüller, sondern auch die Europäische Bankenaufsichtsbehörde EBA, selbst ein Organ der EU, mit Sitz in London.

Die EBA ist mit vielen Änderungen, welche die Kommission vorgeschlagen hat, nicht einverstanden

"Die EBA ist mit vielen Änderungen, welche die Kommission vorgeschlagen hat, nicht einverstanden“, heißt es in einer Protestnote der Aufseher an die Kommission vom Februar. Man fordere die Kommission "unverzüglich“ auf, Änderungswünsche der EBA zu berücksichtigen. Doch die EBA darf lediglich Vorschläge äußern. Kommissar Hill ignorierte den Appell. In den kommenden Monaten soll die fertige Verordnung nun von Mitgliedsstaaten und EU-Parlament abgesegnet werden.

Wie wichtig die Regulierung der Finanzmärkte ist, hat spätestens die Krise 2007 gezeigt. In ihrem Gefolge steckten die EU-Staaten laut Kommission 4,6 Billionen Euro in die Rettung europäischer Banken. Zum Vergleich: Die Gesamtkosten infolge der Flüchtlingsbewegung in Österreich und Deutschland zusammen betragen bis 2017 schätzungweise nur rund ein Achtzigstel dieser Summe. Die Folgen der Finanzkrise waren massive Sparprogramme, etwa bei Sozialausgaben.

Doch den EU-Regierungen war meist keine andere Wahl geblieben, als für die Banken zu zahlen. Hätten sie sie pleitegehen lassen, wäre wohl das Finanzsystem kollabiert. Eine Bank hätte die nächste mitgerissen, Bankomaten hätten kein Geld ausgespuckt, Supermärkte wären vielleicht leer geblieben. Schwache Aufsichtsbehörden und laxe Kontrollmechanismen waren für die Krise mitverantwortlich.

Heute soll ein stabileres System aufgesetzt werden - und dazu dient unter anderem die Abwicklungsrichtlinie. Das Werk schreibt vor allem das sogenannte "Bail-in“ vor. Das bedeutet: Künftig sollen zuerst die Gläubiger und Eigentümer der Bank - also Anleihehalter und Aktionäre - zahlen, bevor der Steuerzahler drankommt. Bei Banken ist dies, im Gegensatz zu normalen Unternehmen, keine Selbstverständlichkeit.

Um die Causa zu verstehen, muss man die Idee hinter dem Bail-in begreifen: Würde man Bankengläubiger (zu ihnen zählen zwar auch die normalen Sparer, jedoch ist deren Vermögen bis 100.000 Euro durch die Einlagensicherung geschützt) rücksichtlos beschneiden, geraten möglicherweise andere Banken auch ins Schlingern, weil sie ihr hergeborgtes Geld nicht wiedersehen. Infolgedessen könnten verängstigte Sparer ihre Konten plündern. Eine Bankenpleite wächst sich also rasch zu einer Finanzkrise aus.

Zugleich jedoch darf man auch die Bankengläubiger nicht ganz aus ihrer Verantwortung entlassen - denn wenn sie fix damit rechnen, dass im Ernstfall ohnehin der Staat einspringt, sind sie zu riskanteren Geschäften bereit. Also versucht die Abwicklungsrichtlinie einen Spagat: Die Gläubiger sollen im Pleitefall mitzahlen, aber nicht so viel, dass dadurch das ganze System zu wanken beginnt.

Im Fall der drohenden Pleite haben die Staaten dann gar keinen Spielraum mehr, darauf zu bestehen, dass die Gläubiger ihren Teil beitragen

Konkret schreibt die Richtlinie vor, dass Gläubiger künftig einen Mindestbeitrag leisten müssen, bevor eine Bank gerettet wird. Er beträgt laut Artikel 44, Absatz 5, mindestens acht Prozent der Bilanzsumme. Sollten die Aktien- und Anleihenhalter dieses Geld nicht aufbringen, ist laut Richtlinie eine Bankenrettung mit Staats-oder EU-Mitteln verboten. So weit, so regulär.

Nach dem Beschluss leitete die EU-Kommission den Gesetzestext an die EBA weiter. Die Aufsichtsbehörde sollte nun "technische Regulierungsstandards“ erarbeiten, also Details. Unter anderem fügte die EBA einen Satz hinzu: Es solle darauf geachtet werden, dass bei den Banken "die Erfordernis des Mindestbeitrags von acht Prozent (…) erfüllt ist“. Also: Die acht Prozent, die für den Pleitefall vorgeschrieben sind, müssen sich auch in der Bankbilanz wiederfinden. Eine Formalität. Sollte man meinen.

Doch nachdem die ergänzte Richtlinie zur Kommission zurückgewandert war, strich diese die Passage aus dem Text. Eine derartige Präzisierung sei "mit der Richtlinie nicht vereinbar“, begründet das die Kommission in einem Brief an die EBA vom Dezember, der profil vorliegt.

Was bedeutet das? Die Banken müssen nun zwar zwingend die acht Prozent aufbringen, damit sie im Notfall vor der Pleite gerettet werden. Im Normalbetrieb müssen sie aber nicht über dieses Geld verfügen - sondern eben erst dann, wenn aufgrund der drohenden Pleite eine Rettung erforderlich wird. Wenn man so will, ist das wie bei einem Feuerlöscher, den man erst dann mit Löschschaum befüllen muss, wenn es brennt.

"Im Fall der drohenden Pleite haben die Staaten dann gar keinen Spielraum mehr, darauf zu bestehen, dass die Gläubiger ihren Teil beitragen“, sagt der Bankenexperte Stiefmüller. "Diese Streichung bringt das ganze Konzept der EU-Bankenabwicklung ins Wanken.“

Bei der EU-Kommission reagiert das Büro von Finanzmarkt-Kommissar Hill nicht auf die profil-Anfrage. Im Brief an die EBA rechtfertigt die Kommission die Streichung der Acht-Prozent-Klausel damit, dass in der Abwicklungsrichtlinie kein "harmonisiertes Mindest-Level“ vorgesehen sei. Der Hintergrund: Banken müssen laut Richtlinie eben nur dann die acht Prozent haben, wenn sie gerettet werden sollen - und nicht, streng formalrechtlich gesehen, die ganze Zeit über. "Aber wenn die Pleite wirklich droht und der Beitrag nicht geleistet werden kann, ist es zu spät “, sagt Stiefmüller.

Vor allem Italien, Frankreich, Spanien und Portugal üben Druck auf die Kommission aus

Was hat die Kommission tatsächlich zur Streichung des Acht-Prozent-Passus veranlasst? Darüber kann man nur mutmaßen. Kritiker, die anonym bleiben wollen, sprechen von massivem Banken-Lobbying, das auf eine Abschwächung der Abwicklungsrichtlinie zielt. Die Banken fürchten, dass es ihnen zu teuer käme, Schulden zu machen, wenn sie jederzeit acht Prozent der Bilanzsumme für ein mögliches Bail-in bereithalten müssen.

Für eine unschöne Optik sorgt jedenfalls, dass EU-Kommissar Hill vor seiner Politikkarriere selbst als Finanz-Lobbyist in Großbritannien tätig war, etwa für die Großbank HSBC. Zudem gibt es ein Positionspapier des Londoner Bankenverbands AFME ("Assoziation der Finanzmärkte in Europa“) vom Februar 2015. Darin legen die Banker ihre Meinung zur Acht-Prozent-Klausel dar. Sie bringen da genau das gleiche Argument in Stellung wie später die Kommission: Mit derartigen Maßnahmen würde das Mandat der Abwicklungsrichtlinie "überschritten“, heißt es im AFME-Papier.

Laut EU-Parlamentarier Giegold machen jedoch nicht nur Banken Stimmung gegen eine strenge Abwicklungsrichtlinie, sondern auch einige EU-Staaten. "Vor allem Italien, Frankreich, Spanien und Portugal üben Druck auf die Kommission aus.“ Inwiefern auch hier die jeweils nationalen Finanzmärkte dahinterstecken, ist unklar. Das Zusammenspiel von Staaten, Banken und Kommission bei derart wichtigen Entscheidungen - es bleibt dem Außenstehenden verborgen.

Fest steht: Die Bankenaufseher von der EBA protestieren scharf gegen die Abschwächung. Die Acht-Prozent-Klausel sei keinesfalls unvereinbar mit der Abwicklungsrichtlinie, widerspricht die EBA in ihrer Protestnote der Kommission. Und: "Versagt das Schema (der EU-Bankenabwicklung, Anm.), bedroht dies die finanzielle Stabilität und andere Ziele.“ Im Klartext: Dass bei der nächsten Krise erneut der Steuerzahler in die Bresche springen muss, ist wahrscheinlicher geworden.