Gynäkologin Schuchter: "Pränataldiagnostik kann Leben retten"

Die Gynäkologin Katharina Schuchter erklärt, warum Pränataldiagnostik mehr ist als die Suche nach dem Down-syndrom und weshalb sich Schwangere klar für oder gegen Pränataluntersuchungen entscheiden sollten.

Drucken

Schriftgröße

Interview: Julia Schnizlein

profil: Wie häufig sind Fehlbildungen bei Embryos? Katharina Schuchter: Man rechnet, dass ungefähr drei von 100 Kindern betroffen sind. Darunter fallen sämtliche Fehlbildungen - leichte und schwerwiegende. Vom Downsyndrom, der bekanntesten Auffälligkeit, sind etwa drei von 1000 Kindern betroffen. Ob Fehlbildungen bereits in der Schwangerschaft entdeckt werden, hängt sehr stark von der Qualität der Untersuchungen ab.

profil: Fast alle Frauen entscheiden sich heute in der Schwangerschaft für die freiwilligen und kostenpflichtigen Pränataluntersuchungen wie Nackenfaltenmessung und Organscreening. Gibt es einen Druck in diese Richtung? Schuchter: Tatsächlich werden diese Untersuchungen den Frauen gleich zu Beginn der Schwangerschaft nahegelegt. Das ist auch notwendig, da die erste pränatalmedizinische Untersuchung bereits im ersten Schwangerschaftsdrittel stattfindet. Viele Frauen haben dadurch allerdings das Gefühl, dass sie diese Untersuchungen machen müssten. Es ist aber ganz wichtig, dass man sich selbst klar für oder gegen diese Untersuchungen entscheidet und sich nicht hineindrängen lässt. Wenn man sich dafür entscheidet, sollte man sich in jedem Fall auch Gedanken darüber machen, was eine negative Diagnose bedeuten würde.

profil: Wie viele Schwangere, die eine negative Diagnose erhalten, entscheiden sich trotzdem für das Kind? Schuchter: Beim Downsyndrom behält etwa eine von 20 Frauen das Kind. Die übrigen Fehlbildungen kann man nicht über einen Kamm scheren. Es gibt Dinge, die schlimm aussehen, aber aus medizinischer Sicht harmlos sind, wie etwa ein offener Bauch. Diese Fehlbildung wird das Kind später in der Regel nicht beeinträchtigen. Aber es gibt natürlich auch die Prognose, dass das Kind nicht lebensfähig sein wird. In dem Fall entscheiden sich die meisten gegen das Kind. Die Bandbreite ist hier sehr groß.

In den allermeisten Fällen wollen Frauen nur beruhigt werden

profil: Die Pränataldiagnostik wird häufig mit dem Vorwurf konfrontiert, mit ihr gehe das selbstverständliche Annehmen eines Kindes verloren, stattdessen finde eine Selektion statt. Was halten Sie dem entgegen? Schuchter: Tatsächlich wird Pränataldiagnostik häufig mit der Suche nach dem Downsyndrom gleichgesetzt. Sie ist aber viel mehr als das. In den allermeisten Fällen wollen Frauen nur beruhigt werden - und bei 97 Prozent geschieht das ja auch. Wenn aber doch eine Auffälligkeit entdeckt wird, kann Pränataldiagnostik Leben retten. Bei Fehlbildungen können die Geburt und die medizinische Versorgung des Kindes entsprechend vorbereitet und damit auch die Prognose für das Kind eindeutig verbessert werden. Außerdem können sich Paare auf das einstellen, was sie nach der Geburt erwartet. Für sehr wichtig halte ich den Feinultraschall in der zwölften Schwangerschaftswoche. Hier können 60 Prozent der Fehlbildungen erkannt werden, und Eltern können sich schon früh entscheiden, wie sie damit umgehen.

profil: Macht es einen Unterschied, zu welchem Zeitpunkt eine Schwangerschaft beendet wird? Schuchter: Ein Schwangerschaftsabbruch ist meines Erachtens weniger belastend, wenn er früher stattfindet. Ab circa der 17. Woche sind die Kindesbewegungen für die Mutter spürbar, dann ist es sicher viel belastender, sich gegen ein Kind zu entscheiden.

profil: Viele Betroffene kritisieren, dass Pränataldiagnostiker und Gynäkologen unsensibel sind, wenn es um das Überbringen schlechter Nachrichten geht. Teilen Sie diesen Eindruck? Schuchter: Speziell geschult sind wir tatsächlich nicht. Jeder macht es so, wie er es für richtig hält. Auch für den Arzt ist das eine große Stresssituation, denn er sieht eine Fehlbildung meist sofort und muss dann darüber nachdenken, wie er es den Eltern am besten mitteilt. Die Untersuchung muss jedenfalls vorher abgeschlossen sein. Danach ist es nicht möglich, eine weitere Diagnostik zu betreiben, weil man mit den Emotionen der Eltern beschäftigt ist. Was Frauen danach brauchen, ist ganz klar psychologische Betreuung. Und genug Bedenkzeit.

Katharina Schuchter ist niedergelassene Gynäkologin und Pränataldiagnostikerin und führt in Wien die Praxis med4woman. Außerdem ordiniert die Universitätsdozentin im Wiener Rudolfinherhaus.