Homöopathie: Warum Alternativmedizin nicht wirkt

Laut einer aktuellen Studie der australischen Gesundheitsbehörde National Health and Medical Research Council (NHMRC) ist "Homöopathie bei jeglicher Anwendung wirkungslos." Die Wissenschafter warnen ausdrücklich davor, chronische und schwere Erkrankungen auf diesem Weg zu behandeln. Lesen Sie hierzu die Titelgeschichte der profil Wissen-Ausgabe Nr. 01/2014 von Elisabeth Schneyder:

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Rund 80 Prozent der Österreicher schwören auf alternative Heilmittel, Milliarden Euro geben sie jedes Jahr für sanfte Medizin aus - und vertrauen verblüffend oft in die Kraft origineller Kuren. Deren stärkste Wirkstoffe: der Placeboeffekt und das Prinzip Hoffnung.

Nach all den Jahren erfolgloser Arztbesuche gehe es ihr endlich besser, dachte Ulla E. nach der Konsultation einer Heilerin. Hautprobleme und Regelschmerzen würden nun bald der Vergangenheit angehören. Ullas Rat an alle Freundinnen: Jede solle bei der Wunderfrau vorstellig werden. Koste ja bloß an die 70 Euro. Aber dann wisse man genau, wo der wunde Punkt liege. Ein paar Termine mehr, dann werde er verschwinden, ganz ohne Chemie und Pillen. So erfuhr eine Freundin: Ihr Problem liege links im Bauch, werde sich im Zuge weiterer Besuche zurückbilden und sei Folge verdrängter Liebesqual. Die Klientin entschied jedoch, den bereits angesetzten Termin bei ihrem Gynäkologen einzuhalten. Und dieser konstatierte: Endometriose mit blutgefüllter Zyste am Eierstock, rechts. Der liebende Gatte der Patientin hatte Glück: Vom laut "Heilerin“ für die Krankheit verantwortlichen Liebesleid seiner Frau erfuhr er nie. Sonst hätte er eventuell auch noch Unterleibsprobleme bekommen.

Ansturm auf alternative Heilmethoden ungebrochen

Glaube kann bekanntlich Berge versetzen. Allerdings kann er rettende medizinische Errungenschaften selten ersetzen - bestenfalls dann, wenn man Einzelfallberichten über wundersame Heilungen vertraut. Trotzdem ist der Ansturm auf Angebote, die Gesundheit und Heilung auf unkonventionelle Art versprechen, seit Jahren ungebrochen. Statistiken darüber, wie viele Österreicher die Dienste privater Heiler, Schamanen oder anderer Anbieter ausgefallener Konzepte in Anspruch nehmen, gibt es nicht. Geht es jedoch um die in einigen Bereichen zusehends anerkannte, vergleichsweise seriöse alternative Medizin, erfährt man: Rund 80 Prozent der Österreicher nutzen einmal pro Jahr zumindest eine solche Methode. Besonders Frauen mittleren Alters mit höherem Bildungs- und Einkommensniveau wählen diese Strategien.

Am häufigsten werden Phytotherapie, Homöopathie, Chirotherapie, Massagen und Vitamintherapie in Anspruch genommen - vor allem wegen Schmerzen, Schlafstörungen, Depressionen oder gastrointestinalen Problemen. Dazu kommt, dass die Zahl der Ärzte, die CAM (Complementary and Alternative Medicine) empfehlen und selbst anbieten, stetig steigt. Im Jahr 2000 waren es hierzulande 3543 Ärzte (zehn Prozent aller praktizierenden Mediziner), die eine oder mehrere solche Methoden mit Zertifizierung durch die Ärztekammer offerierten. Im Jahr 2007 hatten bereits 5873 Mediziner (16 Prozent) derlei im Programm. Wer derart kurieren darf, wird per Arzneimittel- und Ärztegesetz geregelt. Dort heißt es auch, dass Mittel der komplementären Medizin keine Arzneimittel sind - es sei denn, es handle sich um Homöopathie.

Dass bei vielen alternativen Therapien und Mitteln bisher jeder wissenschaftliche Wirkungsnachweis fehlt, tut dem Boom keinen Abbruch. Ebenso wenig wie einprägsame Aktionen von Gegnern wie jene in Großbritannien 2010 und in Wien 2013: Gruppen von Kritikern formierten sich vor Apotheken, erwarben Fläschchen des homöopathischen Arzneimittels "Arsenicum album“, schluckten zeitgleich fröhlich den gesamten Inhalt - und blieben trotz dieser extremen Überdosierung kernge sund. Was zu denken gibt. Denn nach den Prinzipien der Homöopathie wird bei Krankheit jener Wirkstoff stark verdünnt verordnet, der bei Gesunden dieselben Beschwerden hervorrufen würde, die es beim Patienten zu beheben gilt. Ein Konzept, das geltenden Naturgesetzen widerspricht.

Dschungel von Heilsversprechen und geschickter Werbung

Die Fronten zwischen begeisterten Anhängern sanfter Alternativmethoden und Hardlinern der konventionellen Medizin sind verhärtet: Die einen meinen, was wirke, bedürfe nicht zwangsläufig derselben Beweise, welche die klassisch westliche moderne Medizin verlangt. Die anderen warnen vor Risiken durch nicht hinlänglich überprüfte, mitunter überholte und möglicherweise schädliche Therapien. Und so bewirft man einander mit mehr oder minder ernst zu nehmenden Fallberichten und Studien, die von der jeweils anderen Seite entweder ignoriert oder angezweifelt werden.

Im Dschungel von Heilsversprechen und geschickter Werbung finden sich Laien kaum zurecht. Karl D. aus Wien erfuhr vor bald fünf Jahren nach einer Darmoperation von bösartigen Tumoren in seinem Verdauungstrakt. Prognose: maximal vier weitere Lebensjahre laut Statistik. Seitdem lebt er in latenter Angst, muss wochenlang auf Befunde der Kontrolluntersuchungen warten und hat Glück, wenn er zwischendurch tatsächlich mal einen seiner Ärzte ans Telefon bekommt. Eine Qual, die Lebensqualität, Psyche und körperlichem Zustand kaum zuträglich ist. Darum zahlte Karl D. bereitwillig einige tausend Euro für eine Heilmethode, die via Hitzebehandlung Erfolg versprach - bis er nach mühsamer, eigener Recherche dahinterkam, dass die Therapie nicht dem wissenschaftlichen Standard entsprach, mit dem sie beworben worden war. Was blieb, war das bittere Gefühl, mit dem Tod vor Augen alleine dazustehen - und ein dezimiertes Konto.

Klar ist, dass die klassische Gesundheitsversorgung durch finanzielle Vorgaben und daraus folgendem Zeitmangel in der Praxis die Unzufriedenheit der Patienten schürt - und damit die Sehnsucht nach anderen Wegen. Nach langer Wartezeit und knapper Konsultation mit nichts als einem Rezept und vielen offenen Fragen aus der Ordination zu gehen, macht wenig froh. Wie wunderbar erscheint es da, wenn sich ein alternativer Behandler Zeit für Gespräch und Anamnese nimmt, allerlei Tipps für den Alltag mitgibt und so zumindest das Gefühl vermittelt, dass der Patient mehr ist als eine Nummer auf der E-Card.

"Kein Freibrief für jede Art der Quacksalberei"

Gefühle sind es tatsächlich, die nachweislich den Heilungserfolg beflügeln, wie der Mediziner Edzard Ernst erklärt, ebenso anerkannter wie kritischer Erforscher alternativer Heilmethoden: "Dass der Glaube Berge versetzen kann, ist in der Heilkunde wohl wahr. Placeboeffekte können einiges bewirken. Aber das ist kein Freibrief für jede Art der Quacksalberei.“ Dass sich viele Klienten von eigenwilligen Heilern endlich verstanden und treffend diagnostiziert wähnen, führt Ernst auf andere als medizinische Fähigkeiten zurück: "Diese Heiler haben viel Einfühlungsvermögen, Charisma und Placebos zu bieten, sonst aber sehr wenig.“

Wer vorab ausgiebig mit dem Patienten über Alltag, Sorgen und Beschwerden spricht, erkennt auch leichter, was diesen Menschen plagt. Egal, ob dabei tatsächlich ein akutes Gesundheitsproblem aufgedeckt oder bloß Befindlichkeiten bestätigt werden: Kombiniert mit hoffnungsvoll selektiver Wahrnehmung des Patienten, mündet dies in Begeisterung und neue Hoffnung.

So glaubt man gerne, was man glauben will. Sei es, dass alles, was - wie etwa Mittelaltermedizin - nach alter Tradition aussieht, auch gesund sein muss, oder dass Naturheilmittel immer sanft sind, obwohl einige der stärksten Gifte aus Pflanzen kommen. Der Idee, alternative Methoden wären stets ohne Risiko, widerspricht Ernst mit Vehemenz: Manipulationen im Nackenbereich, wie sie bei Osteopathie und Chiropraktik vorkommen, könnten sogar Schlaganfälle auslösen. Und: "Selbst eine scheinbar harmlose Therapie wie Homöopathie kann lebensgefährlich werden, wenn sie als Ersatz für eine effektive Behandlung eingesetzt wird.“

Was konventionelle und komplementäre Mediziner am ehesten eint, ist der Wunsch, das Beste beider Wege im Sinne der Patienten zu verbinden. So meint der Pulmologe Norbert Vetter, Primar am Sozialmedizinischen Zentrum Baumgartner Höhe: "Ich bin Schulmediziner. Doch wenn es um vegetativ überlagerte Fälle geht, also die Psyche etwa eine Rolle bei erhöhter Schmerzempfindlichkeit spielt, schicke ich Patienten gern auch zur TCM oder Akupunktur. Ich bin froh, wenn jemand mit Geduld und anderem Wissen versteht, diese Befindlichkeitsstörungen zu beheben, egal ob mit Placebo oder psychologischer Führung.“ Hauptsache sei, dass die Behandlung nach modernen wissenschaftlichen Kriterien nicht zugunsten einer fragwürdigen Alternativmethode abgebrochen werde.

Mit Akupunktur kann man keinen Krebs vertreiben

Ähnlich sieht dies der Gynäkologe Leo Auerbach, Präsident der Österreichischen Gesellschaft zur Erforschung komplementärer Therapien in der Onkologie: "Onkologisches Wissen und Wissen um komplementäre Therapien ergeben das Beste beider Wege. Dies stärkt auch das Vertrauen in die Ärzte. Wichtig ist, dass alternative Methoden in Absprache mit dem Arzt genutzt und auf das individuelle Problem angepasst werden, damit es zu keinen Störungen der onkologischen Therapie kommen kann.“

Der Vorteil der komplementären Strategien liege auch darin, dass sie dem Patienten vermitteln, selbst an seiner Genesung mitzuwirken - was beispielsweise in Form von Ernährungsumstellungen möglich ist, im klinischen Bereich aber kaum. Begleitend eingesetzt, könnte Alternatives - obwohl onkologisch nicht effektiv - unterstützend wirken, die Lebensqualität heben und eventuell den Medikamentenaufwand senken. Freilich, so Auerbach: "Mit Akupunktur kann man keinen Krebs vertreiben, und Ayurveda bringt Schwerkranken nichts.“

Von Laien werden alternative Mittel indes gern verwendet, um in Eigenregie Krankheit vorzubeugen, was den Anbietern blendende Geschäfte garantiert. Das Wirtschaftsministerium beurteilte den Bereich "Prävention“ als größten Wachstumsmarkt: Schon 2008 erreichte die Branche hier mit 13 Milliarden Euro an die 60 Prozent des Umsatzes der klassischen Medizin.

Alternativmedizin glattweg als Humbug oder Abzocke verdammen, will allerdings nicht einmal Edzard Ernst. Durch seine Forschungen hofft er auch zukunftsweisende Heilmittel zu finden, weil er meint, dass hier noch Schätze zu bergen sind: "Wenn dem nicht so wäre, hätte ich die vergangenen zwei Dekaden meines Berufslebens verschwendet. Der Haken ist jedoch, dass, sobald die Wirksamkeit eines Verfahrens bewiesen ist, dieses rasch in die konventionelle Medizin einfließt. So gesehen ist Alternativmedizin eigentlich ein Widerspruch in sich und beschreibt eher einen Bereich, in dem Therapien noch nicht ausreichend beforscht sind. Sobald die Forschung zu endgültigen Schlussfolgerungen gelangt, ist ein Konzept entweder widerlegt oder zur konventionellen Medizin zu rechnen.“

Dieser Artikel ist ursprünglich in der profil Wissen-Ausgabe Nr. 01/2014 erschienen.