Dimitry Kochenov und die Welt der Pässe

Dimitry Kochenov: „Mein Pass ist scheiße“

Dimitry Kochenov: „Mein Pass ist scheiße“

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Eine Reportage vom Treffen der Dienstleister der Weltelite finden Sie im aktuellen profil, Nummer 33.

profil: Herr Kochenov, in Österreich darf die Regierung die Staatsbürgerschaft für „außergewöhnliche wirtschaftliche Leistung“ vergeben, muss aber nicht sagen an wen und für welche Summe. Sie beschäftigen sich seit Jahren mit der legalen Einbürgerung von Investoren und der Branche. Was halten sie vom österreichischen Programm? Dimitry Kochenov: Ein sehr seltsamer Zugang. Das ist ein altmodischer Weg, der gegen Ideen geht, die wir im europäischen Gesetz schätzen. Transparenz und klare Kriterien sollten im Zentrum stehen, so werden Gesetze geschrieben. Die österreichische Praxis ist hier eine Ausnahme. Das schadet der Vermarktung von Nationalität.

profil: Was sollte denn anders sein? Kochenov: Jeder kann Österreich mit Malta vergleichen. Die maltesische Regierung hat eine klare Liste von Kriterien, die man erfüllen muss. Alle Summen, die man zahlen muss, sind einsehbar. Wir wissen, wo das Geld hingeht, es gibt Due Diligence (in der Wirtschaft übliche Sorgfalts-Prüfungen, die z. B. Gelder aus korrupten Geschäften entdecken sollen, Anm.). Wir wissen, wer die Staatsbürgerschaft bekommen hat, weil das alles veröffentlicht wird. In Österreich wissen wir nur, dass theoretisch einige Leute von diesem Programm profitieren. Wenn man Glück hat, kann man diese Leute treffen. Aber die öffentlichen Informationen fehlen. Ich denke, die Österreicher sollten Auskunft verlangen, wer aufgrund dieses Programmes ihrer Regierung in ihrer Gesellschaft lebt. Wenn man sich die Länder ansieht, die ihre Staatsbürgerschaft für ein Investment verleihen, dann ist Malta am einen Ende der Skala und Österreich am anderen.

Malta ist der einzige Pass am Markt – neben Österreich natürlich – der einem unbeschränkten Zugang in die EU und die USA erlaubt.

profil: Als reicher Mensch sollte man sich also einen maltesischen Pass besorgen. Kochenov: Meiner Meinung nach, ja. Malta ist der einzige Pass am Markt – neben Österreich natürlich – der einem unbeschränkten Zugang in die EU und die USA erlaubt. Die Malteser machen die Due-Diligence mit Freude. Die verstehen sehr gut, dass der erste Terrorist, der mit einem maltesischem Passport in den USA auftaucht oder sonst ein Problem verursacht, dazu führt, dass Malta von der Liste der visafreien Länder gestrichen wird. Das wäre der Tod des Programmes. Malta steht unter ständiger Kontrolle einer Supermacht, die jederzeit ihren Pass ruinieren kann. Das Gleiche gilt übrigens für Österreich, aber dort ist man nicht transparent.

profil: Es gibt mittlerweile eigene Anwaltsfirmen, die Superreichen helfen, einen neuen Pass zu kaufen. Diese veranstalten jedes Jahr ihre Konferenzen, auf denen sich die Branche erzählt, was neu ist, welches Land nun auch Staatsbürgerschaften verkauft. Sie haben das Investment Migration Forum mitorganisiert, was soll denn hier anders sein? Kochenov: Wir vermarkten nichts und wir verkaufen kein Produkt. Wir wollen ethische Minimal-Standards für die Branche einführen. Viele Länder, die heute ihre Produkte (gemeint sind Staatsbürgerschaften und Aufenthaltsbewilligungen, Anm.) anbieten, sind an Standards nicht interessiert. Die lesen von schnellen Profiten und verschwinden bald wieder vom Markt, das haben wir überall gesehen: von den Pazifikinseln bis zu Portugal.

profil: Wer soll denn solche Standards durchsetzen? Kochenov: Selbstkontrolle. Anders geht es nicht, weil Pässe ein souveränes Recht der Staaten sind. Wir arbeiten mit einer Reihe von schwachen Nationen. Während wir wissen, dass alle vor dem internationalen Gesetz gleich sind, wissen wir auch, dass nicht jeder Staat fähig ist, Gesetzeshüter einzusetzen, die nicht korrupt oder schwach sind. Es gibt also die Selbstkontrolle oder man verlässt sich auf die Werkzeuge der wichtigsten Länder der Welt, wie den US. Die können die Gauner rausfischen und sie bestrafen. Wir können es aber nicht einer Supermacht überlassen, die schlimmsten Fälle zu regeln während das Verhalten von ein paar kleinen Staaten der gesamten Industrie schadet.

profil: Könnte das zumindest in Europa nicht die EU regeln? Kochenov: Es steht den Staaten frei, wen sie als Bürger aufnehmen wollen. Das zu vereinheitlichen wäre schwer, die historische Wurzeln sind überall anders: Länder wie Italien oder Griechenland betonen die Vorfahren. Wenn Sie einen Urgroßvater haben, bekommen sie einen EU-Pass, auch wenn Sie noch nie in Italien waren. Die Niederlande oder Dänemark lehnen das stark ab. Die Niederländer glauben, dass niemand in der Diaspora leben sollte und Sie verlieren ihre Staatsbürgerschaft, wenn Sie in einem fremden Land eingebürgert werden. Eine Vereinheitlichung ist historisch unmöglich oder verschlechtert die Optionen von Menschen, die eingebürgert werden wollen.

Malta ist der einzige Pass am Markt – neben Österreich natürlich – der einem unbeschränkten Zugang in die EU und die USA erlaubt.

profil: Sie forschen über Staatsbürgerschaften für Investoren, haben die Malteser beraten und arbeiten mit großen Anwaltsfirmen zusammen. Warum eigentlich? Kochenov: Ich habe mitbekommen, wie die Sowjetunion zerfiel und Grenzen, Visa-Kontrollen und Pässe auftauchten. Die Idee von Investment-Migration konterkariert die Vorstellung, dass Staatsbürgerschaft etwas Heiliges ist und untergraben wird, nur weil sie auch anders als durch Geburt erlangt werden kann. Daran glaube ich absolut nicht. Das ganze Heiligigkeitsgerede ist Heuchelei. Als ich in die Niederlande gezogen bin, haben meine Kollegen davon gesprochen, wie heilig die Verbindung zwischen einem Land und einer Person ist und umgekehrt. Ich dachte nur: Tja, das wäre mir nicht eingefallen, mein Pass ist scheiße. Eine heilige Verbindung zu Scheiße wirkt nicht. Wenn man einmal den legalen Aspekt der Staatsbürgerschaft vom sozialen trennt, sieht man ein total anderes Bild. Du kannst deine Familie lieben, du kannst dein Land lieben, aber das heißt nicht, dass dein Land dich nicht schlägt und dir nicht dein Leben verbaut.

profil: Die Idee von der käuflichen Staatsbürgerschaft wird immer wieder gerne als das Werk einer turbokapitalistischen, neoliberalen Elite beschrieben. Wo sehen Sie sich, Ihre Kollegen und die Anwaltsfirmen mit denen Sie in Kontakt stehen denn politisch? Kochenov: Politik spielt keine Rolle, es geht um eine Evolution der Staatsbürgerschaft in den vergangenen hundert Jahren. Ende des 19. Jahrhunderts war sie ein Konzept um Menschen zu schaffen. Man musste zu einer Gesellschaft gehören, die Standards hatte: Sprache, Religion, Wehrpflicht, Verachtung für die Nachbarstaaten. Das Dazugehören bedeutete, dass man bestraft wurde, wenn man sich anders verhielt, als es der Staat vorgab. Du konntest nicht frei denken, du warst in die nationale Erzählung eingebettet. Das galt für totalitäre Regime genauso wie für die Demokratien. Du musstest stolz sein und du musstest unerbittlich darin sein, diesen Stolz zu zeigen.

profil: Die Staatsbürgerschaft entschied schließlich, wer im Krieg gegen wen kämpft. Kochenov: Ja, das war das fundamentale Konzept. Nach dem Zweiten Weltkrieg betraten die Menschenrechte die Bühne und eine globale Bewegung verstand sie als Schutz der Person vor dem Staat. Regierungen sahen ein Problem darin, den Mitglieder ihrer Gesellschaft aufzudrängen, wer ein guter und wer ein schlechter Bürger ist. Heute muss der Staat zuhören, weil er den Leuten dient. Er macht nicht einfach Leute und schickt sie in den Krieg. Immer weniger Länder haben eine Wehrpflicht oder verhindern den Besitz einer zweiten, dritten oder vierten Nationalität. Es wurde ein Prozess ausgelöst, der dazu geführt hat, dass wir heute Pässe erstehen können. Man kann schließlich nicht etwas verkaufen, das heilig ist und alles in einer Gesellschaft bedeutet.

Zur Person Dimitry Kochenov forscht zu europäischem Recht und Verfassungsrecht an der niederländischen Universität von Gröningen. Der gebürtige Russe beriet unter anderem die maltesische Regierung bei der Erstellung ihres Staatsbürgerschafts-Programmes für Investoren. Außerdem sitzt er in einem Beirat der Anwaltskanzlei Henley und Partners, die sich selbst als Weltmarktführer im Vertrieb von Staatsbürgerschaften sieht. Gemeinsam mit ihr erstellte er dieses Jahr den so genannten Quality Nations Index (QNI), mit dem er Nationen nach ihrer Attraktivität für einbürgerungswillige Investoren wertet.