Theresa May. Die Premierministerin tut sich innenpolitisch noch schwerer als mit dem Brexit.
Ende May, Anfang Juni?

Wahlen in Großbritannien: Ende May, Anfang Juni?

Als Großbritanniens konservative Regierung vorgezogene Neuwahlen ansetzte, spekulierte sie auf einen Erdrutschsieg. Doch unversehens ist ihr die linke Labour-Partei in den Umfragen gefährlich nahe gekommen.

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Kurz vor den Parlamentswahlen am 8. Juni macht sich in konservativen Kreisen in London ein mulmiges Gefühl breit: Könnte Großbritannien eine Art linken Trump-Moment erleben? Die jüngsten Umfragen zeigen, dass die Labour-Partei nur noch fünf Prozentpunkte hinter den regierenden Tories liegt. Jeremy Corbyn, der als Außenseiter in dieses Rennen gegangen ist, hat zum ersten Mal Chancen, Regierungschef zu werden.

Noch vor Kurzem wäre jeder, der darauf spekuliert hätte, schallend ausgelacht worden - und zwar nicht nur von den Anhängern der Konservativen. Als Premierministerin Theresa May zu Ostern vorgezogene Neuwahlen ausrief, lag Labour 24 Prozentpunkte hinter den Tories. Selbst in seiner eigenen Partei setzte niemand auf Corbyn.

Warum ist die Wahl plötzlich so spannend geworden?

Vornehmlich ist dies Theresa May zuzuschreiben. Im Vorfeld des Brexit-Referendums hatte die Pastorentochter mit wenig Enthusiasmus Tory-Chef David Cameron und die Pro-Europa-Fraktion der Konservativen unterstützt. Nachdem die Briten am 23. Juni 2016 für den Austritt aus der EU votiert hatten, wechselte sie geschmeidig das Lager. Die damalige Innenministerin wartete ab, bis sich alle männlichen Brexit-Befürworter in der politischen Arena gegenseitig ausgeschaltet hatten. Dann zog sie als Premierministerin in Downing Street Nr. 10 ein und verkündete mit dem Furor der Konvertitin: "Brexit heißt Brexit."

Gelassenheit und Glaubwürdigkeit: Das war Theresa Mays Kapital.

Die überzeugte Konservative wollte sich nicht mehr um Big Business, sondern um die Nöte und Ängste der unteren Mittelschicht kümmern und dabei die frustrierten linken Labour- und europafeindlichen UKIP-Wähler abholen. All diese EU-skeptischen Kräfte sammelte sie in den ersten Monaten ihrer Regentschaft recht geschickt ein und versprach ihnen einen harten Brexit, weniger Einwanderung sowie eine globale, strahlende Zukunft für das von den Ketten der EU-Technokraten befreite Großbritannien.

Dagegen hatte selbst die Opposition, die zudem durch parteiinterne Streitigkeiten gelähmt war, wenig einzuwenden. Doch dann begann May sich selbst systematisch und ohne Not zu unterminieren. Sie vollführte eine Reihe von politischen Kehrtwendungen und verstrickte sich in Widersprüche.

Den 180-Grad-Schwenk beim Brexit haben ihr die Briten noch verziehen; die Abkehr von der EU entspricht nach wie vor der Stimmung im Land. Die Austrittsverhandlungen sind im britischen Wahlkampf jedoch in den Hintergrund getreten . Der Anschlag von Manchester am 22. Mai, bei dem 22 Menschen von einem islamistischen Selbstmordattentäter ermordet wurden, hat zwar verdeutlicht, wie wichtig die Kooperation der Sicherheitsbehörden innerhalb der EU ist. Doch darüber wird eher im Akademiker-Kanal Radio 4 als im Massenblatt "Daily Mail" diskutiert.

May tut sich innenpolitisch noch schwerer als mit dem Brexit

Wenn sich May schon beim Thema Brexit schwer tut, gilt das in noch viel größerem Ausmaß für die britische Innenpolitik, wo sie bereits mehrere Projekte zurücknehmen musste: zum Beispiel die Erhöhung der Sozialversicherungsabgaben für Selbstständige, die im Budget 2017 vorgesehen waren und ausgerechnet ihre eigene Kernwählerschicht trafen. Nach wütenden Protesten musste der Plan wieder fallen gelassen werden.

Ähnlich erging es ihr mit einer Regress-Regelung, die dem Staat Zugriff auf das Vermögen von Pflegebedürftigen verschaffen sollte. Die Opposition verpasste dem Vorhaben die Bezeichnung "Demenzsteuer", der Sturm der Entrüstung war entsprechend heftig, die Maßnahme musste zurückgezogen werden.

Auch nicht gerade förderlich für das Vertrauen in May war die Tatsache, dass sie monatelang beteuert hatte, es werde "ganz sicher keine vorgezogenen Neuwahlen " geben - mit dem Ergebnis, dass nunmehr am 8. Juni gewählt wird.

Von starker und stabiler Führung war bisher wenig zu spüren. Die Rechnung dafür bekam May am Montagabend im Fernsehen präsentiert. Sie hatte sich geweigert, an TV-Debatten mit Konkurrenten teilzunehmen, und trat lediglich in einer Politshow bei Sky-News auf, bei der sie - parallel zu Jeremy Corbyn - vom Publikum befragt wurde. Ein 89-jähriger Herr im Publikum trug würdevoll seine Lebensgeschichte vor, ein sozialer Aufstieg von Armut zu bescheidenem Mittelstand wurde deutlich. Ob die Premierministerin wirklich glaube, dass er seinen Kindern sein sauer verdientes Häuschen wegen ihrer "Demenzsteuer" nicht mehr vererben dürfe? Die Regierungschefin versprach zahm eine "sachgerechte Konsultation".

Ich glaube, wir können aus dem Brexit einen Erfolg machen

Einige Male wurde sie vom Publikum für die offensichtliche Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit sogar ausgelacht. Im anschließenden Gespräch mit dem für seinen beißenden Interviewstil berüchtigten Journalisten Jeremy Paxman fragte dieser mehrfach, ob sie wirklich glaube, dass der Brexit nun plötzlich gut für das Vereinigte Königreich sei - wo sie doch vor dem Referendum dagegen gekämpft hatte. "Ich glaube, wir können aus dem Brexit einen Erfolg machen", sagte sie wiederholt.

Als Paxmann daraufhin in den Raum stellte, ob die EU nicht zu Recht annehmen werde, May sei eine "aufgeblasene Angeberin, die beim ersten Windstoß umfalle ", gab es Szenenapplaus für den Interviewer.

Jeremy Corbyn hingegen muss sich nicht als Wendehals verunglimpfen lassen. Der 68-jährige Linke hat seine politischen Positionen seit 40 Jahren kaum verändert. Er will sich, so wie May, um die kleinen Leute kümmern, aber nebenbei noch Bahn und Post wiederverstaatlichen und kann sich als Republikaner gerade mal mühevoll damit abfinden, dass seine Partei die Monarchie nicht abschaffen will: "Ich habe mich sogar letztens sehr nett mit der Queen unterhalten", erklärte er. Neben einer Premierministerin, deren Zickzack-Kurs schwer auszurechnen ist, hat es der altmodische Mann derzeit leicht.

Corbyn wird sich vermutlich nicht als Premier beweisen müssen. Das Wettbüro William Hill sieht immer noch eine 6:1- Chance für eine Tory-Mehrheit. Einen großen Unterschied für Europa würde ein Sieg der linken Volkspartei sowieso kaum machen. Corbyn war immer schon EU-Skeptiker. Grundsätzlich unterstützen beide Parteichefs den Brexit.

Wäre die kämpferische Theresa May für die EU gefährlicher als Corbyn, der sich dialogbereit gibt? Die bisherige Regierungschefin wirkt meistens so, als sei es ihr egal, ob man sie mag oder nicht. Das könnte ihr bei den Brexit-Verhandlungen zugute kommen. In der Fernsehdebatte wurde sie gefragt, ob sie tatsächlich, wie Parteikollege Kenneth Clarke gesagt hat, "verdammt schwierig" sei? May lächelte grimmig: "Wenn es eine schwierige Frau braucht, um den Brexit zum Erfolg zu machen, dann werde ich genau diese Person sein."

Tessa   Szyszkowitz

Tessa Szyszkowitz