Interview

Thomas Brezina: „Nur weil etwas immer maskulin war, muss es das nicht bleiben“

Thomas Brezina hat mit seinen millionenfach verkauften Kinder- und Jugendbüchern ganze Generationen geprägt. Zuletzt übersetzte er die Bibel in Reimform. Was hält er von der Kirche, wie steht er zur Generation Z – und wie glücklich macht ihn sein Erfolg?

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Herr Brezina, in einem Interview wurden Sie kürzlich als „Mr. Happy“ bezeichnet – Sind Sie das denn wirklich?
Brezina
Nein, null. Das bin ich absolut nicht. Ich habe auch melancholische und niedergeschlagene Phasen – aber aus ihnen lerne ich, wie ich dem Leben freudiger begegnen und erfüllt sein kann.
Sie haben weit über 500 Bücher geschrieben; gerne zitiert werden sie mit der Aussage: „Ich schreibe zehn Stunden am Tag“. Kann man mit dieser Work-Life-Balance ein erfülltes Leben haben?
Brezina
Ich halte den Begriff der Work-Life-Balance für sehr gefährlich. Er treibt eine Kluft zwischen das Leben und die Arbeit, aber Arbeit ist ein Teil des Lebens. Ich arbeite zwar sicher zehn Stunden täglich, aber ich sitze nicht den ganzen Tag angekettet am Sessel. Da gehört auch Nachdenken dazu, oder Ideen finden. Das ist manchmal saumäßig anstrengend, aber für mich ein ganz hohes Lebensgefühl.
Als erfolgreicher Schriftsteller argumentieren Sie natürlich aus einer sehr privilegierten Position.
Brezina
Dass andere Berufe ganz andere Anstrengung und Belastung bringen, da stimme ich Ihnen zu. Aber es kommt auch darauf an, wie die Menschen dem Leben allgemein begegnen. Ja, etliche arbeiten in Berufen, die nicht die große Erfüllung bringen, um einen Lebensunterhalt zu haben. Aber es gibt Menschen, die dem nicht leidend gegenübertreten. Andere klagen nur. Das ist immer die Entscheidung.

„Ich halte den Begriff der Work-Life-Balance für sehr gefährlich.“

Sie predigen Selbstliebe und mental health – das sind Schlagwörter der Generation Z. Treffen Sie damit einen Zeitgeist?
Brezina
Ja, und zwar auf zwei Ebenen. Die eine Ebene ist eine suchende: Wie man dem Leben und Situationen begegnen kann, wie man mit Schwierigkeiten und dem Selbstzweifel fertig werden kann. Eine Suche nach „Trost“. Und dann gibt es auch noch die Ebene der Selbstoptimierung – es kann ja etwas Gutes sein, wenn man an sich arbeitet. Aber oft ist es verbunden mit den Prämissen „Du bist schlecht“ und „Du musst das und jenes machen“, das ist so krampfhaft und verbissen. Da versuche ich ein Gegengewicht dazu zu setzen.
Die Generation Z und auch die Generationen davor sind aufgewachsen mit den von Ihnen geschaffenen Figuren. Haben Sie ein Bewusstsein dafür, dass speziell Lilo, die Chefin der Knickerbocker Bande, Kinder feministisch geprägt hat?
Brezina
Als ich die Knickerbocker Bande geschrieben habe, war es mir ganz wichtig, ein Mädchen zum Oberhaupt dieser Bande zu machen. Und damals ist mir gesagt worden: Wenn du das machst, ist das der vorprogrammierte Flop. So ist es nicht gekommen. Ich wollte immer zeigen: Alles ist möglich. Und ich höre das sehr oft, dass meine Figuren feministisch geprägt haben, vor allem auch Penny. Das freut mich unglaublich.
Sehen Sie das als Ihr Lebenswerk?
Brezina
Ja! Das sehe ich als Erfolg. Ich sitze hier und ich lächle, und freue mich total daran. Ich höre oft, nicht nur in Österreich: „Danke für eine schöne Kindheit.“ Es gibt für mich selbst keine höhere Anerkennung für das, was ich gemacht habe.
Sie schreiben immer weiter, die Zielgruppe entwickelt sich – welche Ziele haben sie jetzt im Kopf?
Brezina
Egal ob ich Kindern, Erwachsenen oder Jugendlichen etwas erzähle, ganz egal ob in Buchform oder auf TikTok oder auf Instagram: Ich nenne mich einen Geschichtenerzähler der Freude. Ich möchte Geschichten erzählen, die Mut machen. Das zeigt, dass in Menschen viel drinnen steckt, aber dass es an uns liegt, aus allem etwas zu machen. Die Welt ist mühsam, das Leben ist anstrengend, herausfordernd. Uns fliegt so viel um die Ohren, und gerade jetzt erscheint ja wirklich alles düster und zu. Aber wir dürfen nicht aufgeben. Und ich sage immer, gerade auch Kindern und Jugendlichen: Es muss klar sein, die wirkliche Aufgabe ist dafür zu sorgen, dass wir selber einen zuversichtlichen Blick behalten. Das versuche ich auch den Leuten auf Social Media zu vermitteln.  
Kürzlich haben Sie mit der „Bibel in Reimen“ ein – wenn man so will – ungewöhnliches Buch veröffentlicht, und mit der „Weihnachtsgeschichte in Reimen“ gleich den Nachzieher. 
Brezina
Die „Bibel in Reimen“ hat ja sehr, sehr großen Anklang gefunden. Und zwar nicht nur in Familien, sondern auch bei vielen Erwachsenen. Viele haben gesagt, ich wollte schon immer mehr über die Bibel wissen, und das ist jetzt ein Weg dahin. Ich habe wirklich ein großes Augenmerk darauf gelegt, die Inhalte und die Geschichten begreifbar zu machen. In Familien wird die „Bibel in Reimen“ unglaublich gerne gelesen, und sie wird auch im Schulunterricht und im Religionsunterricht eingesetzt, wie ich höre. Das freut mich unglaublich.

Auskopplung aus der „Bibel in Reimen“: Die „Weihnachtsgeschichte in Reimen“

edition a, 64 S., EUR 20,–

Verstehen Sie, warum manche Resonanz skeptisch war?
Brezina
Da müssen Sie die Leute fragen.
Warum sollte denn beispielweise eine nicht-religiöse oder nicht-christliche Familie ihr Buch lesen?
Brezina
Ich glaube, dass jeder Mensch etwas aus der „Bibel in Reimen“ lernen kann. Und was ist religiös? Die Bibel ist eine Sache, und die Interpretationen durch die verschiedenen Kirchen sind etwas anderes. Das, was ich hier versucht habe zu schildern, ist die kräftigende und stärkende Weisheit der Bibel; diese Richtlinien, diese Offenheit gegenüber anderen Menschen, das verstehend Verzeihende. Ich persönlich bin weder katholisch noch protestantisch. Ich gehöre gar keiner Kirche an. Aber es gibt ja verschiedene Ebenen von Glauben: Religion, Kirche, et cetera. Und eine wichtige Ebene sind auch die Vertreter der Kirche. Und wenn das jemand wie Toni Faber ist, dann finde ich das gut. Weil: Der schließt immer ein, nicht aus. Er hat den Stephansdom auch geöffnet und zu einem Ort der Begegnung für alle gemacht. Er zeigt für mich, wie Kirche heute sein kann.  
Haben Sie jemals überlegt, ob Sie eines ihrer Bücher durchgehend gendern, so wie jüngst im „Blutbuch“ von Kim de l’Horizon, dem Roman, der den Deutschen Buchpreis gewonnen hat? 
Brezina
Sprache ist lebendig, und es ist wichtig, dass sie sich weiterentwickelt. Aber: Das Pendel schlägt immer in verschiedene Richtungen aus, und die Frage ist, wo es in der Mitte steht. Ich schreibe nicht nur über Piloten, sondern auch über Pilotinnen. Ich rede vom Team, nicht von der Mannschaft. Ich versuche sehr bewusst, hier das Umfassende zu zeigen. Das ist ein Zugang der Offenheit, ein Zugang der Möglichkeit und des Zusammenseins. Das Gendern kann aber in eine Richtung gehen, wo es holprig und störend wird. Aber nur weil etwas immer maskulin war, muss es nicht immer maskulin bleiben, und dieses Stören kann manchmal auch notwendig sein, um wachzurütteln.
Lena Leibetseder

Lena Leibetseder

ist seit 2020 im Online-Ressort bei profil und Teil des faktiv-Teams. Schreibt über Popkultur und Politik.