Brauner Dammbruch bei den Nachbarn

Brauner Dammbruch bei den Nachbarn: Ungarn auf dem Weg in den Faschismus?

Ungarn auf dem Weg in den Faschismus?

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Gregor Mayer, Budapest

Man kann nicht behaupten, Gabor Vona, der nie lächelnde Chef der rechtsextremen Partei Jobbik (Die Besseren/Die Rechteren), hätte nicht einen gewissen Sinn für Humor. Eine seiner Ansprachen begann der 31-Jährige im vergangenen Oktober mit folgender Sottise: „Wer kennt den Witz? Ferenc Gyurcsany (der in diesem März zurückgetretene sozialistische Ministerpräsident, Anm.) kommt ins Gefängnis und muss sich die Zelle mit einem zwei Meter großen, sexbesessenen Metalldieb (Synonym für kriminelle Roma, Anm.) teilen. Kennen Sie ihn? Nein? Ich leider auch nicht, aber er fängt gut an.“

Die Partei, die gegen Roma und Homosexuelle hetzt und mit antisemitischen Botschaften operiert, hat bei der Europawahl am vorvergangenen Sonntag aus dem Stand her­aus 14,8 Prozent der Stimmen geschafft und drei von insgesamt 22 Mandaten erzielt. Doch auch der rechtspopulistische Bund Junger Demokraten (FIDESZ) schnitt mit 56,4 Prozent besser ab als bei jeder Wahl zuvor. Geführt wird diese Partei von dem ehemaligen Ministerpräsidenten Viktor Orban, der den noch regierenden Sozialisten mit „Abrechnung“ und Strafverfolgung droht und gegen das „internationale Finanzkapital“ wettert. Er träumt von einer Zweidrittelmehrheit bei der nächsten Wahl – spätestens im kommenden Frühjahr –, um dann ein autoritäres Präsidialsystem einzuführen.

In vielen EU-Ländern gewannen modernisierungsfeindliche, xenophobe und braune Parteien kräftig dazu. Doch nur in Ungarn entfielen auf rechte Populisten und Rechtsextreme zusammengenommen über 70 Prozent der abgegebenen Stimmen. Oft und immer wieder wurde beim Aufstieg populistischer oder faschistoider Kräfte geunkt, dieses oder jenes Land drohe dem Faschismus anheimzufallen. Immer wieder entpuppte sich solches Gerede als schierer Alarmismus. Doch Ungarn, wo sich in den vergangenen Jahren autoritäre Haltungen und aggressive Vorurteile gegen die Roma tief in der Mitte der Gesellschaft festgesetzt haben, könnte tatsächlich auf dem Weg dorthin sein.

Totgeschlagen. Jene, die dagegenhalten könnten, sind demoralisiert. Die derzeit allein regierende Ungarische Sozialistische Partei erlitt mit 17,4 Prozent ein schweres Debakel. „Man hat uns totgeschlagen“, seufzte die sozialistische Spitzenpolitikerin Katalin Szili resigniert am Tag danach. Der frühere Koalitionspartner, der Bund Freier Demokraten, schlitterte überhaupt in die Katastrophe. Mit nur 2,2 Prozent der Stimmen stehen die aus der alten Dissidentenbewegung hervorgegangenen Liberalen vor dem Ende als eigenständiger politischer Akteur.

Ins Wanken kam Ungarns Demokratie im Herbst 2006. Die berüchtigte Skandalrede Gyurcsanys, in dem dieser an seine Partei appellierte, endlich mit dem Lügen aufzuhören, drang an die Öffentlichkeit. Wochenlang ließen von der Rechten angefachte Unruhen das Land erbeben. Der Putschversuch misslang, doch Gyurcsanys Regierung war entscheidend geschwächt. Der FIDESZ unter Orban torpedierte jegliche wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Reformversuche mit populistischen Volksabstimmungen. Vor einem Jahr zerbrach die sozialliberale Koalition. Gyur­csany trat im März zurück. Orban trieb die immer glanz- und mutloser agierenden linken Regierungen vor sich her. Doch mit der Jobbik-Bewegung ist auf einmal eine neue Kraft da, die behauptet, das alles noch viel besser zu können. Jobbik redet nicht nur, sondern erweckt auch den Anschein der Handlungsfähigkeit.

Entmenscht. Im August 2007 gründete Gabor Vona die „Ungarische Garde“, eine paramilitärische Truppe mit Uniformen, die in Schnitt und Muster an jene von NS-Militärformationen erinnern. Die Garde veranstaltet martialische, bedrohlich wirkende Aufmärsche in Roma-Gemeinden. Jobbik und Garde mobilisieren mit dem Versprechen, effektiv gegen die „Zigeunerkriminalität“ zu kämpfen, vor allem ärmere Menschen, die in unmittelbarer Nachbarschaft zu verelendeten und sozial verwahrlosten Roma leben. Als „staatlich subventionierte Zigeunerzucht“ bezeichnete der Jobbik-Vize und frisch gebackene Europaabgeordnete Csanad Szegedi im Wahlkampf die Sozialhilfen, die an Roma gehen. „Barikad.hu“, die Internetseite der Jobbik, präsentierte wochenlang einen Comicstrip, der Jean de La Fontaines Fabel „Die Grille und die Ameise“ abwandelt und die Roma in „Stürmer“-Manier als entmenschte Schmarotzer und Vergewal­tiger zeigt.

Die Hetzstrategie ging auf. In Nord- und Ostungarn, wo es einen hohen Roma-Bevölkerungsanteil gibt, erhielt die Jobbik bei der Europawahl mehr Stimmen als die Sozialisten. Diese Gebiete, in denen Industrieruinen wie die Stadt Miskolc oder die frühere Stahlschmiede Ozd liegen, waren bislang linke Hochburgen. Die Dynamik ist alarmierend. Hatten nicht auch Hitlers Nazis bei ihrem Aufstieg davon profitiert, dass ihnen angesichts der Wirtschaftskrise massenhaft Arbeiter zuliefen, die zuvor kommunistisch und sozialdemokratisch gewählt hatten?

Das von den Rechtsextremen geschürte Klima provozierte bereits rassistisch motivierte Morde. Fünf Roma starben seit letztem November bei bewaffneten Anschlägen auf ihre Elendshütten. Bei einer dieser Bluttaten wurden ein Vater und sein fünfjähriger Sohn erschossen. „Nicht einmal der Tod dieses Kindes hat das Land erschüttert“, gibt die Budapester Soziologin Maria Vasarhelyi zu bedenken. Für den Aufstieg der Jobbik macht sie vor allem Viktor Orban verantwortlich. „Er hat den Boden dafür bereitet.“ Als der 2002 die Wahlen relativ überraschend verlor, wollte er sich mit dem Ergebnis nicht abfinden. Er rief seine Anhänger dazu auf, gegen die „Wahlfälschung“ zu demonstrieren und sich in so genannten „Bürgerkreisen“ zu organisieren. So versuchte er, den Machtanspruch seiner Partei wachzuhalten. Eine Gruppe von jungen Männern Anfang 20, die nach nationalem Radikalismus dürsteten, nahm die Aufforderung ernst.

Der Geschichtsstudent Gabor Vona kam aus der Hochschülerschaft, andere aus der 2002 gleichfalls gescheiterten Ungarischen Wahrheits- und Lebenspartei des Antisemiten Istvan Csurka. Sie nutzten die „Bürgerkreise“ als Betätigungs- und Mobilisierungsplattform für den zielstrebigen Aufbau ihrer Jobbik. Orban hatte schon in seiner Regierungszeit (1998–2002) einen Hofstaat rechtsradikaler Publizisten aufgepäppelt. Die Wahlniederlage bestärkte ihn in seinem Credo, dass Ungarns Rechte „ein Lager, eine Fahne, einen Führer“ habe.

Orbans rechtsextreme Kampfschreiber versuchen indes, in Sachen Radikalität den vor allem im Internet agierenden Jobbik-Propagandisten Paroli zu bieten. Sieben Jahre derartiger extremistischer Mobilisierung haben das Meinungsklima in Ungarn nachhaltig verändert, stellt Vasarhelyi fest. „Der öffentliche Diskurs ist so verkommen, dass aggressive, obszöne, rassistische Äußerungen niemanden mehr vom Hocker reißen. Sie erscheinen vielfach sogar als normal.“ Eine Teilverantwortung falle auch den linksliberalen Regierungsparteien zu, die „in sieben Jahren kaum etwas weitergebracht haben“.

Pfeilkreuzler. Das Elend der ländlichen Roma, ihre Entkoppelung von der allgemeinen Gesellschaftsentwicklung, habe sich selbst noch zu einer Zeit verschärft, als der durchschnittliche Lebensstandard im Land gestiegen war. „Die Bürgermeister und Bewohner dieser Regionen fühlten sich mit den daraus resultierenden Problemen völlig alleingelassen.“

Vasarhelyi, die wegen ihrer schonungslosen Kritik an den ungarischen Zuständen selbst immer wieder zur Zielscheibe medialer Angriffe der Rechten wird, hofft, dass sich im FIDESZ, wenn er einmal an der Macht ist, „eine nüchterne, pragmatische Strömung durchsetzt“. Ob es dazu je kommen werde, weiß sie aber nicht. Andere bauen wiederum darauf, dass ein Land inmitten der EU nicht einfach zur braunen Diktatur mutieren kann – auch wenn Gabor Vona wiederholt damit droht, im Falle der Macht­erringung die privaten Fernsehsender TV 2 und RTL Klub zu schließen, Betreiber und Redakteure aus dem Land zu werfen und „ihre Fernsehstationen dem Erdboden gleichzumachen“.

Orban hingegen suggeriert, alles im Griff zu haben. „Mit der Ungarischen Garde“, gab er einmal die Richtung vor, „werden wir fertig wie damals Horthy mit den Pfeilkreuzlern: mit zwei Ohrfeigen.“ Was Orban nicht erwähnte: Der rechts-autoritäre Reichsverweser Miklos Horthy musste im Oktober 1944 zurücktreten, um der faschistischen Terrorherrschaft der Pfeilkreuzler Platz zu machen.