NS-Karrieren: Blinde Flecken der ÖVP

NS-Karrieren: Die blinden Flecken der ÖVP

Bei der ÖVP waren noch mehr Ex-Nazis zu finden

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Wen das Schicksal nach dem Krieg in das Lager der ÖVP verschlug, sollte von anständigem Charakter sein. So wollten es die Gründungsväter, die zum Teil selbst aus den Konzentrationslagern der Nazis gekommen waren. Doch so genau wollte man es dann doch nicht wissen. Bis heute nicht.

Umso größer das Entsetzen, wenn sich – wie profil im Februar dieses Jahres berichtete – herausstellt, dass selbst der legendäre Tiroler Landeshauptmann Eduard Wallnöfer drei Monate nach dem deutschen Einmarsch um Aufnahme in die NSDAP angesucht hatte. Wallnöfers Kinder fielen aus allen Wolken und wollten es zunächst nicht glauben.

Der gefeierte frühere Finanzminister Reinhard Kamitz (Raab-Kamitz-Kurs) diente sich aalglatt durch alle Regime. In der Zeit des Austrofaschismus nützte Kamitz einen Auslandsaufenthalt seines damaligen Chefs, Oskar Morgenstern, um diesen auszubooten und selbst die Leitung des Wiener Konjunkturforschungsinstituts zu übernehmen. Nach der Machtübernahme der Nazis entließ er einen Mitarbeiter, weil dieser „aus seiner antinationalsozialistischen Gesinnung (…) gar keinen Hehl macht“. Der Beamte grüße „auch heute noch, wenn er in das Institut kommt, ostentativ ,Grüß Gott‘ oder ,Guten Tag‘, obwohl er mit dem deutschen Gruß angeredet wird“, informierte Kamitz im September 1938 den Reichskommissar für die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich.

Den Vernadererbrief hat der Wiener Historiker Christian Klösch vor Kurzem in den Akten des Staatsarchivs entdeckt. Über das Schicksal des Beamten ist nichts bekannt. Das NSDAP-Mitglied Kamitz avancierte zum Geschäftsführer der Gauwirtschaftskammer, 1952 wurde er Finanzminister, 1960 Nationalbankpräsident.

„A man for all seasons“ war auch Rudolf Neumayer, Finanzminister im Ständestaat, danach Generaldirektor der Wiener Städtischen Versicherung, wo er nicht linientreue Angestellte an die Gestapo auslieferte. Mithilfe seiner Parteifreunde kam er nach 1945 im ÖVP-nahen „Verein der Freunde des Wohnungseigentums“ unter.

Auf höchster Ebene. In der ÖVP nannte man das „christliche Barmherzigkeit“. Und die wurde ziemlich strapaziert. „Wenn das Nazi-Gesetz wirklich so durchgeführt wird“, trug der spätere ÖVP-Minister Eugen Margaretha am 21. Juli 1946 in sein Tagebuch ein, „werden wir unsere Mitglieder und Funktionäre mit der Laterne suchen müssen.“

So weit sollte es nicht kommen. Einzigartig war der Fall des späteren Parteiobmannes der ÖVP, Karl Schleinzer, dem die Aufnahme in die Kärntner ÖVP zunächst verweigert wurde, weil er ein NS-Hochschulstipendium bezogen und Jungzugführer der Hitlerjugend gewesen war. Im Kärntner Landtagswahlkampf 1949 schickte die ÖVP dann schon den ehemaligen Kärntner Abwehrkämpfer und SS-Führer Hans Steinacher ins Rennen.

Nicht immer hatten die ÖVP-Vertreter in den Entnazifizierungskommissionen mit der freizügigen Ausstellung von Persilscheinen allerdings den erwünschten Erfolg. In Kärnten etwa beklagten sich ÖVP-Funktionäre bitter, dass viele ihrer Schützlinge dennoch bei der SPÖ anheuerten.

Wohl auch deshalb wurde die Reinwaschung auf höchster Ebene geregelt. Am 3. Mai 1947 vereinbarten die Spitzen von ÖVP und SPÖ „die beschleunigte Behandlung des Verfahrens nach Paragraf 27 des Verbotsgesetzes in Fällen, an denen die Parteien Interesse haben“.

Auch der Antisemitismus war salonfähig geblieben. ÖVP-Bundeskanzler Josef Klaus schadete es nicht, dass er 1932 als Leiter der „Deutschen Studentenschaft“ an der Universität Wien heftig gegen die Wahl eines Juden zum Dekan der Medizinischen Fakultät protestiert hatte. Leopold Kunschak, der in der Ersten Republik die Einrichtung von Konzentrationslagern für Juden gefordert hatte, wurde 1945 Nationalratspräsident. Kanzler Leopold Figl hetzte gegen Emigranten, die „die Zeit in ihren Klubsesseln verbracht haben, anstatt für Österreich zu leiden“. ÖVP-Landwirtschaftsminister Josef Kraus wandte sich gegen jüdische Entschädigungswünsche. Er sehe nicht ein, deponierte er im Ministerrat, „warum man jetzt einer Rasse besondere Privilegien einräumen sollte“.

Im Nationalratswahlkampf 1949 buhlte der spätere ÖVP-Bundeskanzler Alfons Gorbach, der in Dachau inhaftiert gewesen war, ungeniert mit antisemitischen Tönen um die Stimmen der Braunen: „Da mögen die Herren Emigranten noch so viel Moralinsäure verspritzen, jene, die draußen (an der Front, Anm.) in härtester Prüfung ihren Mann gestanden haben, wissen besser, was anständig ist, als jene, die sich beim ersten Kräuseln des blauen Ozeans auf Übersee in Sicherheit gebracht haben. Ich spreche den Emigranten das Recht ab, in der NS-Frage mitzureden.“ Gorbach überredete den ehemaligen NS-Bauernführer Sepp Hainzl zu einem Aufruf der Nazi-Prominenz, die ÖVP zu wählen.

Zugunsten der Täter. Die ÖVP verhalf auch hohen Beamten und Richtern aus der NS-Zeit zurück in schöne Ämter. Hermann Hiltscher, Ermittlungsrichter am NS-Volksgerichtshof, durfte wieder ans Oberlandesgericht, nachdem sich die Wiener ÖVP und das Domkapitel von St. Stephan für ihn eingesetzt hatten. Für die Anwaltslizenz des NS-Richters Philipp Metzler machten sich Julius Raab und Leopold Figl stark. Der NS-Landesgerichtspräsident von Wiener Neustadt, Arthur Khlos, der schon 1933 der NSDAP beigetreten war, bekam nach Intervention von Bundeskanzler Raab sogar seine NS-Dienstzeit für die Pensionsbemessung anerkannt. Im ÖVP-geführten Ministerium für Vermögenssicherung, das unter anderem die Aufgabe hatte, Arisierungen rückgängig zu machen, entpuppten sich einige von der ÖVP eingesetzte kommissarische Verwalter als ehemalige Nazis. Die Rückstellung der Guggenbacher Papierfabrik wurde verschleppt – sie war als Finanzierungsquelle für die ÖVP gedacht.

Hans Hausberger, in den siebziger Jahren Bürgermeister im Zillertal, der unvorsichtigerweise mit seiner Kriegsvergangenheit 1. SS-Infanteriebrigade geprahlt hatte, musste zurücktreten, als sich herausstellte, dass er in Holland ein Kind erschossen hatte. „Nimm diese Dinge nicht zu ernst“, tröstete Landeshauptmann Wallnöfer damals den Parteifreund.
Das gilt offenbar heute immer noch.

Christa Zöchling