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SPÖ. Die Scheinheiligkeit hinter der roten Gerechtigkeitsrhetorik

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Im Juni 2008 war Werner Faymann noch nicht Bundeskanzler, aber bereits designierter SPÖ-Chef – mit angemessener Wortwahl: „Das Herzstück der Sozialdemokratie ist die soziale Gerechtigkeit.“ Im Juni 2010 plakatierte die SPÖ ihren Vorsitzenden großflächig im ganzen Land. Der ­Slogan: „Zeit für Gerechtigkeit!“ Die Unterzeile: „Faire Verteilung. Soziale Ausgewogenheit. Faire Chancen.“ Mit dem verschleißfreien Kampfbegriff „Gerechtigkeit“ und dessen Surrogat „Fairness“ gelang der SPÖ die bemerkenswerteste propagandistische Verwertung der Wirtschaftskrise. Der Kampagnenkonter der ÖVP – „Leistung!“ – wirkte beinahe hilflos. Im Realitätstest erweist sich Werner ­Faymanns Rhetorik als Weltverbesserungsfloskelei. Wenn es Parteiinteressen oder Sachzwänge erfordern, überstimmt das wirtschaftliche Sein das rote Gerechtig­keits­be­wusstsein. Und dann verstößt auch die SPÖ leichten Herzens gegen die eigenen – von profil aus der aktuellen Parteiprogrammatik destillierten – zehn Gebote.

Du sollst nicht dem Neoliberalismus frönen! „Es war der verdammte Neoliberalismus, der die Wirtschaftskrise ausgelöst hat“SPÖ-Finanzstaatssekretär Andreas Schieder, 2010


Michael Häupl und Alfred Gusenbauer benannten das Übel 2003 im Kompendium „Wirtschaft für die Menschen“. „Neoliberalismus“ und „seine vielen Verformungen“ wie „Rückzug des Staats aus allen Lebensbereichen“, „mehr privat, weniger Staat“, „größtmögliche wirtschaftliche Freiheiten“ und „Abbau von Regulierungen“ seien falsche „Heilsbotschaften“ von „Marktapologeten“. In der rot gelebten Praxis erwies sich der Neoliberalismus auch als gängiges SPÖ-Modell in vielen Lebensbereichen und Verformungen: Die Gemeinde Wien übertrug etwa mit so genannten Cross-Border-Leasing-Geschäften ganze U-Bahn- und Straßenbahn-Garnituren sowie die Kanalisation von Floridsdorf und Donaustadt an US-Finanzinvestoren. Die Leykam-Gruppe – Miteigentümer: SPÖ Steiermark – schloss eine Druckerei in Graz und verlagerte Arbeitsplätze wegen niedrigerer Personalkosten nach Slowenien. Die Wiener SPÖ fördert trotz parteiinterner Proteste das Glücksspiel und herrscht über ein profitorien­tiertes Wirtschaftsimperium. Die Bawag mit höchstrangigen SPÖ-Parteigängern in ­Vorstand und Aufsichtsrat verspekulierte das ÖGB-Vermögen. Bawag-Chefcroupier Wolfgang Flöttl ließ sich von Ex-SPÖ-Kanzler Franz Vranitzky beraten. Ex-SPÖ-Vorsitzender Alfred Gusenbauer dient Milliardären wie Hans Peter Haselsteiner und Martin Schlaff sowie Despoten wie dem kasachischen Staatschef Nursultan Nasarbajew. Ex-SPÖ-Vorsitzender Viktor Klima baut als VW-Chef in Südamerika Jobs ab. SPÖ-Ministerin Gabriele Heinisch-Hoseks vornehmste Aufgabe besteht darin, Personal im Bundesdienst zu kürzen. SPÖ-Minister Norbert Darabos verscherbelt Kasernen. Und Staatssekretär Andreas Schieder leitet eine Verwaltungsreformgruppe mit einer genuin neoliberalen Aufgabenstellung: „Deregulierung“.

Du sollst nicht spekulieren! „Wir werden einem Europa, das zu einem gemütlichen Paradies für Spekulanten verkommt, entschieden entgegentreten“ Werner Faymann, 2011


Bisweilen logiert der Spekulant nicht in New York, London oder Tokio, sondern an der Adresse Hauptplatz 1, 4041 Linz. Unter Verantwortung des seit 1988 amtierenden SPÖ-Bürgermeisters Franz Dobusch ging die Stadt Linz 2007 im Rahmen eines Franken-Swap-Deals eine hochriskante Wette mit der Bawag-PSK ein. Das ursprüngliche Anliegen: cleveres Schuldenmanagement durch Fremdwährungsgeschäfte. Bereits realisierte Verluste: zumindest 30 Millionen Euro. Worst-Case-Szenario: Abgänge in Höhe von 500 Millionen Euro bis 2017. Auch die Wiener Stadtväter- und -mütter spekulierten im Zeichen des Schweizer Kreuzes. Von den insgesamt drei Milliarden Euro Schulden der Bundeshauptstadt – verantwortliche Finanzstadträtin: Renate Brauner, SPÖ – stammen laut Medienberichten 1,5 Milliarden Euro aus Franken-Krediten. Buchverluste per Jahresende 2010: rund 200 Millionen Euro. Dass komplexe Spekulationsinstrumente gefährlich sind, bemerkte Werner Faymann schon im Jänner 2009: „Manchmal ist ein Joghurt besser gekennzeichnet als ein Finanzmarktprodukt.“

Du sollst nicht privatisieren! „Werden sich die neoliberalen Kräfte, die für Privatisierungen und für einen schwachen Staat plädieren, wieder durchsetzen?“Werner Faymann, 2011


Die Liste der erledigten Privatisierungen der ÖIAG“ sei „eine Liste von Flops“, befundete Andreas Schieder im Februar. Verantwortlich für die angeblichen Flops sind unter anderen Parteifreunde des SPÖ-Finanzstaatssekretärs – von Franz Vranitzky bis Viktor Klima. Unter roter Ägide wurden partiell oder total privatisiert: OMV, Voestalpine, VA Tech, Flughafen Wien, Staatsdruckerei, Austria Tabak, AMAG, Böhler. Die vorerst letzte Großprivatisierung unter Kanzler Faymann war der Verkauf der Austrian Airlines an die Lufthansa. Die Wiener SPÖ wickelte die größte Privatisierung in der Geschichte der österreichischen Kreditwirtschaft ab: den Verkauf der Bank Austria an die bayerische HypoVereinsbank 2000 – nachdem drei Jahre zuvor Vranitzky und Klima die Creditanstalt privatisiert und der Bank Austria einverleibt hatten.

Du sollst den Reichen nehmen und den Armen geben! „Die Wiener Sozialdemokratie ist dem Geist verpflichtet, alle Politikbereiche ­wohlfahrtsstaatlich zu durchfluten“Wiens Sozialstadträtin Sonja Wehsely, 2009


Hätte die SPÖ die absolute Mehrheit, wären die parteiintern angedachten Vermögensteuern wahrscheinlich schon auf legislativer Schiene. Die Ärmeren der Gesellschaft würden von einer SPÖ-Alleinregierung nicht zwingend profitieren. Im Februar stellte der Wiener Pflegedienstleister Sozial Global knapp 400 Beschäftigte vor die Wahl, Gehaltskürzungen zu akzeptieren oder den Job zu verlieren. Begründung laut Geschäftsführung: „Relikte aus der Vergangenheit im Gehaltsschema“. Eleganter hätte es ein zahlendes Mitglied der Industriellenvereinigung auch nicht formuliert. Eigentümer von Sozial Global sind allerdings nicht kühl kalkulierende Privatunternehmer, sondern die Wiener SPÖ-Frauen. Auch die Gemeinde spart: Mindestpensionsbeziehern kürzte die Wiener Stadtregierung für 2011 den Heizkostenzuschuss von 200 auf 100 Euro. Die Kostenbeiträge für ambulante Pflege wurden erhöht. In der Steiermark zog Franz Voves in Kooperation mit der ÖVP ein Sparprogramm mit tiefen Einschnitten im Sozialbereich durch. Behindertenverbände zeigten sich entsetzt.

Du sollst die Menschen nicht schröpfen! „Die ÖVP setzt auf die Politikkonzepte von vorgestern. Und die lauten: Pensionisten und Lohnsteuerpflichtige inklusive Mittelstand schröpfen“SPÖ-OÖ-Chef Josef Ackerl, 2011


Als Bankmanager im Herbst 2010 ankündigten, die von der SPÖ durchgesetzte Bankenabgabe auf die Kunden abzuwälzen, war Feuer am roten Dach. Der Kanzler warnte: „Wir werden ein wachsames Auge auf die Gebührenentwicklung richten und genau aufpassen, ob es Preisabsprachen unter den Banken gibt.“ Vergangene Woche richteten sich alle wachsamen Augen auf Wien. Die Stadtregierung kündigte an, die Gebühren für Abfall, Parken und Kanal um sechs Prozent anzuheben. Das Wiener Wasser wird gar um 33 Prozent teurer. Begründung laut Umweltstadträtin Ulli Sima: „notwendige Investitionen in die Infrastruktur“. Im Vorjahr hatte der Rechnungshof allerdings aufgedeckt, dass die Stadt Wien aus Kanal-, Wasser- und Müllgebühren ihrer Bürger allein in den Jahren 2005 bis 2007 Überschüsse in der Höhe von 390 Millionen Euro erwirtschaftete. Diese flossen allerdings ins klamme Stadtbudget, anstatt als Rücklagen für künftige Investitionen zu dienen.

Du sollst kein böser Kapitalist sein! „Die wahren Sozialschmarotzer sind Investmentbanker, Spekulanten, Vorstände multinationaler Konzerne“Landeshauptmann Franz Voves, 2010


Brigitte Ederer müsste sich von Franz Voves angepöbelt fühlen. Nach ihrer Politikkarriere (EU-Staatssekretärin, SPÖ-Bundesgeschäftsführerin, Wiener Finanzstadträtin) wechselte sie zu Siemens Österreich und stieg dort zur Generaldirektorin auf. Im Mai 2010 wurde sie in den Vorstand der Siemens AG in München berufen. Als Österreich-Chefin baute Ederer 800 Jobs ab, als Konzernleiterin des Bereichs Corporate Human Ressources ist die Kündigung Tausender Siemens-Mitarbeiter Teil der Job Description. Über das besondere Leid, gerade als Sozialdemokrat Beschäftigte abbauen zu müssen, kann sich Ederer mit Ex-Finanzminister Hannes Androsch austauschen. Der Großindus­trielle, Miteigentümer des Leiterplattenerzeugers AT&S, strich im Werk Leoben-Hinterberg vor zwei Jahren 370 Jobs und verlagerte Arbeitsplätze nach Shanghai. Ein ehemaliger Regierungskollege von Ederer und Amtsnachfolger von Hannes Androsch, Ferdinand Lacina, vereinbart seine Kritik am internationalen Kasinokapitalismus locker mit seiner Rolle als Aufsichtsrat der in den Skandal um den US-Finanzzampano Bernard Madoff verwickelten Bank Medici in Wien. Dass auch ehemalige rote Top-Manager ihr Erspartes in „Steueroasen verstecken“ (Werner Faymann), beweist Beppo Mauhart. Der frühere Austria-Tabak-Chef, vom Kanzler 2010 in den ORF-Publikumsrat entsandt, veranlagte sein Vermögen lieber in Liechtenstein als am PSK-Sparbuch in Wien.

Du sollst Keynes und Kreisky ehren! „Wir müssen uns aus der Krise hinausinvestieren und dürfen uns nicht in die nächste Krise hineinsparen“Michael Häupl, 2010


Das rote Glaubensbekenntnis im Zeichen der Krise entstammt den Büchern von Keynes und Kreisky: Schulden sind gut, wenn sie die Wirtschaft ankurbeln. Realiter dominieren in der SPÖ längst die Sparkurssetzer. In Wien werden die Wartelisten für geförderte Mietwohnungen immer länger, da aufgrund der gekürzten Wohnbauförderung Neubauprojekte rarer werden. In der Steiermark drückten Rot und Schwarz gemeinsam ein Doppelbudget 2011/2012 mit Einsparungen in Höhe von 1,5 Milliarden Euro durch ­(siehe oben). In Salzburg mutierten Landeshaupt­frau Gabi Burgstaller und SPÖ-Finanzlandesrat David Brenner („Es werden harte Zeiten, und zwar für alle“) zu Festungssparern. Dank zweier Kürzungspakete mit Nulllohnrunden für Beamte wurden gesamt 170 Millionen Euro weniger ausgegeben. Das Burgenland plant laut SPÖ-Landeshauptmann Hans Niessl bis 2015 ein ausgeglichenes Budget durch Kürzungen bei landesnahen Unternehmen und Krankenhäusern. Nationalbankchef Ewald Nowotny, langjähriger Finanzsprecher der SPÖ, wirkt als höchstinstanzliche Schuldenbremse: „Zum Zeitpunkt einer Budgetkonsolidierung ist meine klare Meinung: je früher, desto besser."

Du sollst nicht stiften! „Es ist nicht einzusehen, warum ein Arbeitnehmer, der einen Notgroschen auf ein Sparbuch legt, dafür mehr zahlen muss als ein Millionär für Gelder, die in einer Stiftung geparkt werden“ SPÖ-Gewerkschafter Wolfgang Katzian, 2010


In der nach unten offenen SPÖ-Sympathieskala rangieren Privatstiftungen deutlich im Minusbereich. Abseits der offiziellen Parteilinie war das Millionärs­vehikel auch ein beliebtes Gestaltungs­instrument unter Genossen. Die steirische SPÖ parkte ihr Vermögen im Jahr 2001 in der Zukunft Steiermark Privatstiftung. Nach heftigen Auseinandersetzungen löste SPÖ-Chef Franz Voves die Stiftung vergangenes Jahr auf. Dank gefinkelter rechtlicher Konstruktion fiel dabei kein Cent Steuer an – im Gegensatz zum Katzian’schen Arbeitnehmer-Notgroschen. Die Genossen ob der Enns gründeten im Oktober 1995 die Sozialdemokratische Partei Oberösterreich Privatstiftung. Stiftungszweck laut Urkunde sind „die Verwaltung des übernommenen Vermögens nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen und ein maximaler Ertrag“. SPÖ-Medienstaatssekretär Josef Ostermayer war von Oktober 2003 bis Oktober 2004 Vorstand der Urbania Privatstiftung, die Teil des komplizierten Eigentümergeflechts um die Gratiszeitung „Heute“ von Eva Dichand ist. Die Gemeinde Wien verwaltet ihre Anteile an Zentralsparkasse, Bank Austria und UniCredit über die AVZ-Stiftung (Anteils-Verwaltung-Zentralsparkasse).

Du sollst für Fairness sorgen! „Fairness ist die Voraussetzung für eine soziale und gerechte Politik“ Werner Faymann, Mai 2011


In einem vorwöchigen „Standard“-Interview beklagte der Vorsitzende der oberösterreichischen SPÖ, Josef Ackerl, die Unfähigkeit seiner Partei, „einen alternativen Vorschlag zum gesellschaftlichen System zu postulieren“. Die von Ackerl erhoffte rote Rückbesinnung auf linke Werte dürfte ausbleiben. Erbschaftssteuern, wie sie auch die roten Gewerkschaften fordern, schließt die aktuelle SPÖ-Führung eher aus. Massensteuern und Kürzungen ­greifen dagegen voll. Im Herbst 2010 beschloss die rot-schwarze Regierung ein umfassendes Sparpaket: Erhöhung der ­Mineralölsteuer und der Tabaksteuer, Einführung einer Flugticketabgabe. Familienbeihilfen und Pflegegeld wurden gekürzt, Zugänge zur Hackler- und der Invaliditätspension verschärft. Während Reformgegner eine Großdemo vor dem Kanzleramt organisierten, sah der Rechnungshofpräsident im Sparpaket „bestenfalls ein Pflaster auf die Wunden“. Kritik von allen Seiten kann durchaus ein Nachweis für Qualität und Ausgewogenheit politischen Handelns sein. So gesehen mag Werner ­Faymann zufrieden sein. Sein Parteifreund Josef Ackerl ist es nicht: „Die SPÖ befindet sich heute in der pragmatischen Politik des Alltags.“

Du sollst kein Loblied auf den freien Markt singen! „Es darf keine Liberalisierung und Privatisierung von Dienstleistungen im öffentlichen Interesse geben“ Michael Häupl, 2009


Entgegen der eigenen Rhetorik dominiert auch unter den SPÖ-Kadern bisweilen Marktgläubigkeit. Der bekennende linksgläubige Publizist Robert Misik warf der Sozialdemokratie 2009 vor, sie habe sich „Flexibilisierung der Arbeitswelt, das Loblied auf die Effizienz freier Märkte und auf den schlanken Staat antrainiert“. So begründete etwa die Wiener Stadträtin Renate Brauner die Ausgliederung der ­Bestattung aus der Stadtverwaltung 2008 mit mehr Kundenfreundlichkeit: „Wiener Friedhöfe werden nunmehr flexibler und serviceorientierter.“ Zentrale Versorgungsbereiche der Gemeinde Wien laufen nicht mehr über Magistratsabteilungen, sondern über ausgegliederte, privatwirtschaftlich operierende Gesellschaften wie Wien Energie oder Wiener Linien. Die Sozialagenden der Stadt wurden an den Fonds Soziales Wien übertragen. Im staatsnahen Bereich versucht ÖBB-Generaldirektor Christian Kern mit voller politischer Deckung der SPÖ, bei der Bahn endlich Marktprinzipien einzuführen. Die frühere Justizministerin Maria Berger ließ Teile der Häftlingsbetreuung in eine Justizbetreuungsagentur ausgliedern. Und Ministerin Doris Bures drohte 2007 der Beamtengewerkschaft unmissverständlich: „Der Druck nach Ausgliederungen wird immer dann größer, wenn der öffentliche Dienst teurer wird.“ Als Infrastrukturministerin scheint Bures ihren anfänglichen Widerstand gegen die Schließung von Postämtern mittlerweile aufgegeben zu haben.

Gernot   Bauer

Gernot Bauer

ist Innenpolitik-Redakteur.